Rad
Auch Tony sieht da noch nicht durch

Von Jordi-Schweiss, Scratch-Ladies und bubieinfachen Regeln am grossen Bahnsport-Event im Velodrome Grenchen

Michael Schenk
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Marcel Bieri

Am Start stehen sie wie die bunten Blechkutschen zu Ferienbeginn am Nordportal des Gotthards – aufgereiht wie Perlen an einer Perlenkette. Freilich wollen die aufgezogenen Frauen nicht zum Dolcefarniente nach Bella Italia ans Mare blu, sondern mit ihren starrgängigen Karbonschleudern auf die mit 1,5 Tonnen von Hand eingeschlagenen Nägeln zusammengebaute Holz-Velo-Rennbahn am Jura-Südfuss. Nach einer Warm-up-Runde fällt der Startschuss zum Scratch an der Track Cycling Challenge im Velodrome Grenchen. Eines von vielen Rennen an diesen zwei Tagen. An jenem Ort, an welchem im Idealfall im Oktober 2015 die Profi-EM stattfindet.

Für Bahnsport-Blindgänger: Scratch ist, wenn der gewinnt, der als Erster ins Ziel kommt. Klingt bubieinfach, ist es auch, aber logisch ist es nicht. Schliesslich gibt es da ja in dem Metier noch andere Disziplinen wie Madison, Omnium, Keirin, Punktefahren, Ausscheidungsrennen und, und ... Und dabei gewinnt nicht immer der für Laien am Naheliegendste. Der Bahnradsport ist spektakelschwanger und bietet darum reichlich Facetten, was konstruierte Unterhaltung angeht.

Knastromantik im Velodrome

Zurück zum Lady-Scratch. Die sprintstarken Damen versuchen, das Feld während der WM-Distanz von 10 Kilometern, was 40 Runden entspricht, zusammenzuhalten. Die weniger Endschnellen probieren auszureissen und einen Rundengewinn rauszufahren. So bekommt Scratch einen Hauch von Knastromantik – sobald sich eine vermeintliche Unachtsamkeit im Feld einstellt, versucht Mann oder Frau abzuhauen. Die Holländerin Bianca Lust verspürt in dem Fall als erste Lust, auszubüchsen. Allein, die Flucht der Lust ist nur von kurzer Dauer. So wie alle anderen, die folgen. Also rast das Feld mit einem Affenzahn ins letzte Oval Richtung Endspurt. Im Gegensatz zu Strassenrennen, wo es huschhusch finster wird, wenn das Feld an einem vorbeirauscht, kriegt das Bahn-Publikum das ganze Rennen hautnah und mehrdimensional mit. Vor allem auch das horrende Tempo der hochgezüchteten Power-Pedaleure – vorab, wenn es zur Entscheidung kommt. In bahnrekordigen 12,94 Sekunden hat der Schnellste die 250 m lange Bahnrunde an der Track Cycling Challenge «durchgümmelt». Enorm, denn das entspricht einem Stundenmittel von 69,54 km/h. Geradeaus notabene – nicht bergab!

35 000 Franken Preisgeld

Die Französin Laurie Berthon überholt im Scratch-Finale die Norwegerin Anita Sternberg und versaut damit dem 22-jährigen Geburtstagskind die Krönung ihres Festtages. Tja, unzimperlich und zu softy darf man in diesem mit harten Bandagen geführten Business definitiv nicht sein – schliesslich geht es um Kohle. 35 000 Franken wurden da an diesen zwei Tagen verteilt. Genauso unzimperlich wie im Showbusiness. Als Francine Jordi kurz vor acht Uhr ihre mitreissende Showeinlage zelebriert, hat sich die Halle im Innenbereich ziemlich gefüllt. Die Promis aus Politik, Wirtschaft, Unterhaltung und Sport lauschen an den weiss gedeckten Tischen der Ex-Frau von Ex-Radprofi Tony Rominger, der auch unter den Gästen weilt. Und Jordi gibt mächtig Gas – steht den Vollgas-Velojetpiloten in gar nichts nach. Die Bernerin bringt die Halle und sich selber gehörig ins Schwitzen und sorgt definitiv für den heissesten Moment an diesem Abend. Nicht nur, aber auch deswegen, weil jede und jeder ihre klangvollen, harmonischen Lieder versteht und blitzschnell kapiert.

Freilich, das mit dem Verstehen der vielen Bahnsport-Disziplinen versteht Jordi noch nicht so doll: «Ich habe immer noch einen Chnopf», sagt sie. Und: «Tony hat mir diesbezüglich auch nicht weiterhelfen können, dem geht es ähnlich wie mir.» Jordi und Rominger ergeht es wie vielen anderen. So wie dem vielleicht Fünfjährigen, der da in den Armen seines Vaters auf der Tribüne ob der im Oval herumdüsenden Trett-Ferraris friedlich ein Nickerchen nimmt. Spektakelschwanger bringt eben auch seine Wehen mit sich ...