Zweimal Gold, zweimal Silber und zweimal Bronze in fünf Wettkämpfen an den Heim-Europameisterschaften und doch erleben die Männer in Neuenburg auch eine seltene Niederlage.
Die 23 Weltmeistertitel von OL-Königin Simone Niggli-Luder sind eine Weile her. Die Berner Läuferin, welche der Schweiz eine sportliche Randerscheinung nachhaltig und auf einmalige Weise ins Gedächtnis brannte, brilliert heute als ebenso fachmännische Expertin am TV-Mikrofon. Ihre sportlichen Nachfolgerinnen und Nachfolger aus dem Schweizer Kader setzten die eindrückliche Erfolgsbilanz im OL auch nach Nigglis Rücktritt 2013 nahtlos fort. Nie gab es seither Welt- oder Europameisterschaften ohne mehrfache Schweizer Medaillengewinne.
In Zeiten der Kostenexplosion von internationalen TV-Rechten im Premium-Segment setzt das Schweizer Fernsehen regelmässig auf Randsportarten. Orientierungslauf mag dabei für den Kenner eine attraktive Sportübertragung sein. Für den Laien hingegen müssen Postensuche, Routenwahlen und GPS-Signale ein höchst komplexes und bisweilen schwerfälliges Live-Spektakel mit wenig Suchtpotenzial sein. Doch ausgerechnet die Weltpremiere «Knockout-Sprint», wo jeweils sechs Athletinnen und Athleten in Viertelfinals, Halbfinals und Finals im direkten Kampf ihre Sieger ausmachen, vermochte an der EM zu überzeugen. Die Disziplin, die vielen Direktbeteiligten zu spielerisch und zufällig erscheint, punktete als attraktives TV-Format. Viele Führungswechsel, wiederkehrender Gegnerkontakt, die Auswirkungen von schlechten Routenentscheidungen oder dem Zögern beim Posten – der K.o.-Sprint bringt die DNA der Sportart im Schnelldurchlauf in die Wohnstube. (rs)
Auch eine beinahe 19-monatige Wettkampfpause wegen der Corona-Pandemie konnte den Lauf der OL-Macht Schweiz nicht stoppen. Die Bilanz der Heim-Europameisterschaften in den Sprintdisziplinen in Neuenburg entspricht den hohen Erwartungen. Die Staffel und Matthias Kyburz im Knockout-Sprint gewinnen Gold, das Jahrzehnttalent Simona Aebersold nimmt einen kompletten Medaillensatz nach Hause und die Tessinerin Elena Roos sowie der Berner Joey Hadorn feiern ihre persönliche Medaillen-Premiere an internationalen Meisterschaften.
Und doch schwingt am Schluss eine Spur Enttäuschung mit. Erstens gewinnt Konkurrent Schweden den Medaillenspiegel und zweitens bleiben die Schweizer Männer im klassischen Sprint erstmals seit der EM 2006 und der WM 2013 ohne Edelmetall an Titelkämpfen. Zwar landen sieben Athleten in den ersten zwölf, die Podestplätze allerdings gehen an Schweden, Belgien und Norwegen. Wohl kein Zufall, dass mit Emil Svensk und Yannick Michiels zwei Läufer mit beträchtlichem Abstand vorne liegen, welche die Strapazen des K.o.-Sprints vom Vortag nicht verkraften mussten.
Auch Titelverteidiger Matthias Kyburz fehlt es am Sonntag an der mentalen Frische. Die Routenwahlen unterwegs überzeugen beim nunmehr siebenfachen Europameister für einmal nicht. Der Aargauer verscheucht die Enttäuschung über Rang 11 aber schnell. «Wenn du zwei von drei EM-Rennen gewinnst, dann hast du vieles richtig gemacht. Ich hätte vor den Wettkämpfen für zweimal Gold sofort unterschrieben», bilanziert der 31-Jährige.
Auch im Hinblick auf den grossen Saisonhöhepunkt, die Weltmeisterschaften in Tschechien von Anfang Juli, darf Kyburz positive Neuigkeiten verkünden. Als aktueller Leader im Weltcup erhält er in allen Einzeldisziplinen der WM einen fixen Startplatz.
Bereits in zwei Wochen wird das Schweizer Kader in Tschechien die Selektionsläufe für die Titelkämpfe im technischen anspruchsvollen Felsgebiet nördlich von Prag absolvieren. Im Frauenteam gilt Simona Aebersold auch für die WM als grösster Schweizer Medaillentrumpf.
Die 23-jährige Seeländerin weist nach ihrem grandiosen EM-Auftritt mit dem Gewinn eines kompletten Medaillensatzes eine schier unglaubliche Erfolgsbilanz an Grossanlässen auf. 2019 feierte sie ihr WM-Debüt bei der Elite. Inzwischen weist sie bereits in allen sechs OL-Disziplinen einen Podestplatz bei internationalen Titelkämpfen vor.
Und an Weltmeisterschaften in Tschechien hat die Familie Aebersold ausgesprochen gute Erinnerungen. Simonas Vater Christian gewann 1991 als Schlussläufer der Staffel die allererste Goldmedaille für den Schweizer OL. Was damals wie ein Weltwunder gegen die Vormacht der Skandinavier gefeiert wurde, ist heute sportlicher Alltag. Für internationalen Erfolg im Orientierungslauf existiert inzwischen so etwas wie ein Schweizer Garantieschein.