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Solothurn
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Am 16. Juli tagte der Gemeinderat unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Einwohnerin Ursula Reist blieb ausgeschlossen und sieht sich um ihr gutes Recht betrogen.
Ursula Reist hatte sich den Abend anders vorgestellt. Mit einer Kollegin fuhr die Ärztin ins Restaurant Bad Klus, wo der Oensinger Gemeinderat seine Sitzung abhielt. Die beiden Frauen wollten der Oensinger Exekutive beim Regieren über die Schulter schauen. Dazu hat im Kanton Solothurn jeder das Recht; Gemeinderatssitzungen sind grundsätzlich öffentlich. Doch daraus wurde nichts: Im Restaurant angekommen, erfuhren die Frauen von Gemeindepräsident Markus Flury, dass die Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinde. Reist war überrascht, denn davon war weder auf der Homepage noch auf der Traktandenliste etwas zu lesen. Die Frauen mussten umkehren. «Es war eine unangenehme Situation», sagt Reist. In einem Leserbrief hat sie vorgestern ihrem Ärger Luft gemacht.
Nun ist Ursula Reist keine Unbekannte bei den Oensinger Behörden. Die Ärztin hat nämlich Einsprache gegen den Beschluss der Gemeindeversammlung gemacht, die Südringstrasse auszubauen. Reist will die Zufahrt zur geplanten Schweinezerlegerei der Firma Bell sowie zum Fleischverarbeiter Nutrivalor verhindern.
Unter den elf Geschäften, die auf der Traktandenliste standen, war denn auch der Gestaltungsplan für die Nutrivalor. Umso schwerer wiegt für Reist der Ausschluss. «Wir stehen wohl auf einem Steckbrief für kritische Normaldörfler», heisst es im Leserbrief. «Transparenz sieht anders aus.»
«Wir betreiben Sachpolitik»
Wollte die Behörde eine kritische Bürgerin fernhalten? Keineswegs, sagt Markus Flury. Laut dem Oensinger Gemeindepräsidenten basiert der Vorfall auf einer Unterlassung der Administration. «Die Traktandenliste wurde auf der Homepage nicht von öffentlich auf nicht öffentlich geändert», bedauert Flury. Der Entscheid, die Sitzung nicht öffentlich abzuhalten, sei bereits am Donnerstag zuvor gefällt worden. An der Sitzung selbst sei kein Beschuss in der Angelegenheit Nutrivalor gefasst worden. Der Rat habe nur vom Entscheid der Planungskommission zum weiteren Vorgehen Kenntnis genommen. Und die Bevölkerung werde in einem breiten Mitwirkungsverfahren die Gelegenheit erhalten, sich zu äussern.
«Frau Reist hat am darauf folgenden Mittwoch von uns einen Brief und nach der offiziellen Freigabe auch einen Protokollauszug erhalten. Wir haben uns entschuldigt», sagt Flury. Verheimlichen wolle in Oensingen niemand etwas. «Wir betreiben Sachpolitik.» Zudem sei die Öffentlichkeit am Tag danach von der Gemeinde umfassend informiert worden. Wenn er ein Traktandum als «nicht öffentlich» deklariere, so Flury, dann solle dies die freie Meinungsäusserung im Rat ermöglichen. «Glauben Sie, es sei für die betroffenen Räte und für mich angenehm, mit Telefonaten und Briefen belästigt zu werden, nur weil jemandem eine gemachte Äusserung nicht passt?»
Transparenz sogar im Regierungsrat
Der Kanton Solothurn ist ein Vorreiter in Sachen transparenter Verwaltung. Das Öffentlichkeitsprinzip steht seit 2001 in der Verfassung, sogar der Regierungsrat tagt öffentlich. Klar geregelt ist in langjähriger Praxis, unter welchen Umständen eine Behörde geheim tagen darf. Gründe dafür sind beispielsweise die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen oder wenn ohne Geheimhaltung die freie Meinungsbildung im Rat nicht möglich wäre. Ob diese Bedingungen in Oensingen zutreffen, bleibt fraglich. Unter den elf Traktanden standen jedenfalls Themen wie das Festlegen der Schrift für das Gemeinschaftsgrab, die wohl keinen Ausschluss der Öffentlichkeit rechtfertigen.
Beim Amt für Gemeinden kann man sich zum konkreten Fall nicht äussern. Theoretisch sei es möglich, dass eine ganze Sitzung als nicht öffentlich deklariert werde, wenn alle Traktanden die entsprechenden Kriterien erfüllen, sagt Amtsleiter André Grolimund. Auch noch während der Sitzung sei es erlaubt, Traktanden als nicht öffentlich zu deklarieren. «Wir empfehlen aber, bereits beim Erstellen der Traktandenliste klarzustellen, was nicht öffentlich ist», sagt Grolimund. Um die Situation formell genau zu klären, müsste eine Beschwerde an den Regierungsrat gemacht werden. Dieser würde dann entscheiden, ob das Siegel «nicht öffentlich» korrekt gewesen sei.