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Kaspar Zehnder, künstlerischer Leiter von Murten Classics, bringt ab heute bis 2. September Weltklasse an den Murtensee. Unter dem Titel «La Danse» verschmelzen in interdisziplinarischen Konzerten Rhytmus und Melodie, Musik und Tanz.
Das Leitmotiv des diesjährigen Festival-Programms überrascht mit dem Titel «La Danse». Dabei werden verschiedene Tanztypen vorgestellt: Von den barocken Formen in Bachs Suiten über Borodins «Polowetzer Tänze» bis hin zu amerikanischem «Breakdance». Was hat Sie zu diesem Themenschwerpunkt bewogen?
Kaspar Zehnder: Früher haben wir die Programme nach geografischen Themen konzipiert. Wobei Russland noch fehlte. Als Thema ist der Begriff Russland mittlerweile jedoch ein wenig abgedroschen. Unter dem Motto «La Danse» lässt sich die russische Musik hingegen wunderbar einbauen. Tänzerische Musik beschwingt, wirkt emotional. Da liegt auch eine der Stärken (und Aufgaben) der Musik: Die Musik muss mit dem Bauch fühlbar sein, darf nicht als reine Kopfmusik empfunden werden. Musik erfasst die Seele und den ganzen Körper. Zudem bilden die Schlosshofkonzerte unser «Kerngeschäft». Dies verbietet Experimente. Wir wollen und müssen den Publikumsgeschmack treffen.
Resultiert die Affinität zur böhmischen und russischen Musik aus Ihrer Zeit als Chefdirigent der Prager Philharmonie?
Unbedingt! Osteuropa, das Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie, ist mir zur musikalischen Heimat geworden. Auch Rumänien. Meine Frau, die Flötistin Ana Oltean, stammt von dort. Die Mentalität und Musik ist mir sehr ans Herz gewachsen. Nirgends sonst in Europa leben auf engem Raum so viele Idiome und kulturelle Eigenheiten. Da entstand Musik vor einem geschichtlichen und kulturellen Hintergrund, über den sich etwas erzählen lässt. In deren Kontext sich Vorträge für Fachpublikum anbietet. Obschon Musik natürlich als solche wirkt und ohne Erklärungen auskommt. Doch ich schätze Programme, die etwas zu erzählen haben, Hintergründe ausleuchten lassen.
Mihaela Ursuleasa, die kürzlich tragisch verstorbene junge Weltklasse-Pianistin, stammte aus Rumänien, war letztes Jahr in Murten zu Gast. Hatten Sie sonst noch gemeinsame Pläne?
Sie war Artist in Residence, und sie hat an meinem 40. Geburtstag gespielt. Wir waren im Gespräch über gemeinsame Konzerte in Murten und in Biel. Es
ist einfach unfassbar. Wir sind sehr traurig und werden in Murten ein Symphoniekonzert dem Andenken dieser grossartigen Künstlerin und Freundin widmen.
Sie sind Künstlerischer Leiter der Sommerfestspiele Murten Classics, Musikalischer Leiter des Zentrum Paul Klee, Bern, sowie Direktor des
Ensemble Paul Klee. Seit dieser Saison haben Sie die künstlerische Leitung des Sinfonie Orchester Biel übernommen. Wo liegt musikalisch Ihr persönliches Zentrum?
Eigentlich definiert sich dies immer wieder neu. Bei meinen Programmen fällt schon auf, dass die Wende von der Romantik zur Moderne gut vertreten ist: Ravel, Strawinsky, Bartok – um nur einige zu nennen. Die Musik des 20. Jahrhunderts interessiert mich. Vor allem jene Komponisten, die sehr stark aus der «Ur-Musik» schöpfen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Wiener Klassik, das Resultat der Zusammenarbeit mit der Prager Kammerphilharmonie, einem von der Besetzung her typischen und hervorragenden Mozart-Orchester. Und eben die slawische Musik. Da klingt eine nostalgisch-wehmütige Ebene in mir an. Ich selbst bin kein Spezialist, sondern ein Allrounder. Natürlich schätzen wir Koryphäen für gewisse Nischen, für Barock oder die Moderne. Ich bin eher ein Experte für gute Programme und gute Musik.
Sie sind neu einer der wenigen Schweizer Chefdirigenten eines Schweizer Orchesters – und sind im Ausland (noch) bekannter als in der Heimat. Was reizt Sie an der Leitung des Bieler Sinfonie Orchesters?
Als junger Familienvater möchte ich nicht immer im Ausland dirigieren, und so passt die Stelle im Moment ideal. Und ich bin auch stolz, als Schweizer ein Schweizer Orchester zu leiten. Das ist ja eher die Ausnahme. Ich freue mich, mit dem neuen Direktor Dieter Kaegi zusammenzuarbeiten. Mein Vertrag ist auf zwei Jahre befristet, dann sehen wir weiter.
Die Beschränkung ist auch der Laufbahn förderlich. Es ist wohl nicht der Höhepunkt des Karrieretraumes, in Biel auf dem Podium zu stehen?
Dieter Kaegi hat etwas Wunderbares gesagt, dem ich mich voll anschliesse: Es ist nicht so wichtig wo, sondern was, wie und mit wem. Wir sollten vom überbordenden Stardenken wegkommen, von Events zu Musikerlebnissen zurückfinden. Für mich persönlich heisst das Ziel, auch im Kleinen Grosses bewirken.
Das Sommerfestival Murten Classics dauert ab heute Sonntag bis 2. September.
Infos und Programm im Internet unter: www.murtenclassics.ch