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Es ist eines der komplettesten Firmenarchive der Schweizer Industriegeschichte. Das Archiv der Biberister Papierfabrik wird jetzt von einer Badener Firma systematisch erfasst.
Es gibt wohl nur wenige bedeutende Firmenarchive, die so komplett erhalten geblieben sind», erklärt Andreas Steigmeier. «Es erlaubt eine über weite Strecken lückenlose Dokumentation aller produktiven und kaufmännischen Vorgänge der Papierfabrik Biberist seit der Gründung der Firma 1862.» Steigmeier ist Geschäftsführer und Mitinhaber der Firma Docuteam mit inzwischen 20 Angestellten. Sie hat sich spezialisiert auf die Führung von Archiven (z.B. auch dasjenige der Stadt Solothurn) und weitere Dienstleistungen im Informations- und Archivbereich.
«Wir wurden bereits im Jahr 2007 von Karl Vogel, dem damaligen Personalchef der M-Real, kontaktiert, um das Kulturgut der Papieri bezüglich Erhaltenswürdigkeit zu sichten», erklärt Steigmeier. Man habe damals festgestellt, dass sich viele wichtige historische Dokumente darunter befinden. Nachdem die M-Real-Nachfolgerin Sappi 2011 anlässlich der Werkschliessung das Archiv dem Kanton vermachte, beschloss der Regierungsrat im vergangenen September die systematische Aufarbeitung der Akten. Er sprach dafür einen Kredit von 83 000 Franken aus dem Lotteriefonds.
Letzte Woche haben am Sitz der Firma Docuteam in Baden die Erschliessungsarbeiten begonnen. Simone Steppacher, wissenschaftliche Mitarbeiterin, hat nicht weniger als 108 Laufmeter Akten zu sichten. Steppacher hat zusammen mit ihrer Team- und Projektleiterin Myriam Kamphues eine hierarchische Archivsystematik erarbeitet, welche das rasche Wiederauffinden von Unterlagen ermöglicht.
Detaillierte Pläne
Für (Wirtschafts-)Historiker bietet sich nämlich ein wahrer Fundus: Die detaillierten ersten Pläne für die Fabrik, die klar zeigen, dass von Anfang an eine grossindustrielle Anlage an den Emmekanal gebaut wurde, Produktionsbücher jeder Papiermaschine, umfangreiche Laborunterlagen, die die Entwicklung und Tests neuer Papiersorten akribisch dokumentieren, Musterbücher (auch diejenigen der Konkurrenz...), Papierrezepturen, Kunden- und Lieferantenkorrespondenz inklusive Reklamationswesen, Unterlagen der Personalabteilung, Informationen über Tochtergesellschaften und Beteiligungen usw. Auch zahlreiche Fotos und Illustrationen gehören dazu sowie 33 Filmrollen.
«Die Firmengeschichte von den Anfängen über die Wachstums- und Erfolgsphase bis zum ‹Wirtschaftskrimi› rund um Biber Holding und Biber Nova lässt sich aus unterschiedlichen Gesichtswinkeln dokumentieren. Man kann immer wieder neue, faszinierende Zusammenhänge entdecken», sagt Steigmeier. «Ich stelle auch fest, dass mir etliche der dokumentierten Papiersorten sehr vertraut vorkommen. Ich kenne sie aus den Archiven der Schweizer Gemeinden», lacht er. So schliesst sich ein weiterer Kreis.
Direkt einlagern
Das Material sei in einem Zustand, der keine spezielle Restauration erfordere. Die kompletten Protokolle der Verwaltungsratssitzungen sind beispielsweise bereits gebunden und konnten direkt im Stadtarchiv Olten eingelagert werden. Dort kommt nämlich das Biber-Archiv nach Abschluss der Arbeiten hin.
Die weiteren Akten werden gesichtet, sortiert und beschriftet und gemäss Systematik in alterungsbeständige Archivschachteln verpackt. Pro Laufmeter Unterlagen wird mit einem Tag Arbeit gerechnet. Nach der Sichtung und Systematisierung wird sich die Menge um 10 bis 15 Prozent reduzieren. Nicht alles muss wirklich aufbewahrt werden. Manches wurde nach einer Triage auch gleich in Biberist zurückgelassen.
Muster samt Papier-Rezeptur
Dort befindet sich allerdings noch eine Trouvaille, die man laut Steigmeier unbedingt auch noch retten müsste: Von jeder Sorte Papier, die in Biberist produziert wurde, wurden Muster samt der Papier-Rezeptur aufbewahrt. Dies könne für Bibliotheken und Archive bedeutsam sein. «Wenn man die genaue Zusammensetzung der Papiere kennt, könnte bei Rettungs- bzw. Entsäuerungsaktionen von ganzen Bibliotheken viel selektiver vorgegangen und damit Kosten eingespart werden.»
Wer weiss, vielleicht kommen bis zum Abschluss der Arbeiten im Sommer noch weitere Kuriositäten oder gar Schätze ans Tageslicht. Schon aus heutiger Sicht wären etliche Dokumente ausstellungswürdig, insbesondere Illustrationen oder die farbigen, handgezeichneten Originalpläne aus der Gründerzeit. «Über die Zugänglichkeit muss dann der Kanton Solothurn als Besitzer entscheiden», betont Steigmeier. «Unsere Aufgabe ist es, das Archiv so zu erschliessen, dass es für weitere Forschungen nutzbar ist.»