Fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Gefährdung durch Verletzung der Regeln: So lautet die Anklage gegen einen Vorarbeiter, einen Bauunternehmer und einen Architekten nach einem Unfall, bei dem sich ein Lehrling schwer verletzt hatte.
Es war ein tragischer Unfall, welcher beim Opfer, einem damals 30-jährigen Maurerlehrling, schwere körperliche Schäden hinterlassen hat. Bei Schalungsarbeiten für einen Wintergarten in Bettlach war der Maurerlehrling im Juni 2006 aus rund fünf Metern abgestürzt (wir berichteten).
Dabei hatte er sich schwerste Knochenbrüche an beiden Füssen und Fersen zugezogen. Nach über 20 Operationen und jahrelanger Therapie steht heute fest, dass ihm für den Rest des Lebens jeder einzelne Schritt grosse Schmerzen verursachen wird. Wäre der Unfall zu verhindern gewesen? Hat jemand fahrlässig gehandelt und so den Unfall mitverschuldet? Hat jemand seine Sorgfaltspflicht verletzt? Dies waren die Fragen, mit denen sich das Solothurner Obergericht unter der Leitung von Daniel Kiefer, dem Präsidenten der Strafkammer, am Mittwoch beschäftigen musste. Ein Vorarbeiter, ein Bauunternehmer und ein Architekt waren der fahrlässigen Körperverletzung und fahrlässigen Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde angeklagt.
Vom Richteramt Solothurn-Lebern waren sie im erstinstanzlichen Prozess zu bedingten Geldstrafen verurteilt worden. Der Architekt wurde zu 75 Tagessätzen à 360 Franken, der Bauunternehmer zu 90 Tagessätzen à 130 Franken und der Maurer zu 3 Tagessätzen à 120 Franken. Alle drei akzeptierten die Verurteilungen nicht und appellierten an das Obergericht. Durch das Akzeptieren des Schuldspruchs wären sie für die schwerwiegenden finanziellen Folgen haftbar geworden.
Vorschriften missachtet
Die Vorschriften sind eindeutig, und sie wurden nicht eingehalten. Ab einer Höhe von drei Metern müssen Bauarbeiter gesichert werden, aber in Bettlach wurde glattweg vergessen, ein Sicherungsgerüst zu erstellen. Der Architekt sagt, er habe den Auftrag an den Bauunternehmer erteilt. Der Bauunternehmer stritt ab, je einen solchen Auftrag erhalten zu haben. Das Baugerüst sei nicht in der Offerte enthalten, die seinen Arbeiten zugrundelag. «Es ist Sache des bauführenden Architekten, ein solches Gerüst zu stellen, weil es viele andere Handwerker ebenfalls nutzen», erklärte sein Anwalt David Lüthi. Fakt ist, dass kein Sicherungsgerüst stand, als der Vorarbeiter und der Maurerlehrling mit den Schalungsarbeiten begannen. Der Architekt besuchte morgens um 8.30 Uhr die Baustelle und bemerkte dies. Er sagt, die beiden Arbeiter seien noch am Boden beschäftigt gewesen, weshalb er keine unmittelbare Gefahr gesehen habe. Die beiden Arbeiter dagegen sagten aus, sie seien bereits in der Höhe am Arbeiten gewesen, und der Architekt habe gesagt: «Das ist ja gefährlich wie die Sau.»
Der Architekt erreichte den Bauunternehmer etwa um 10.30 Uhr telefonisch und informierte diesen, dass er sofort ein Baugerüst organisieren müsse. Aber es war zu spät. Um 11.30 Uhr geschah der Unfall, der Mauerlehrling stürzte in die Tiefe, weil ein Brett kippte und noch immer kein Sicherungsgerüst vorhanden war.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Die Anwälte jedes Angeklagten hoben hervor, dass die Fehler der beiden anderen Angeklagten zum Unglück führten. Der Bauunternehmer habe aufgrund der Gespräche mit dem Vorarbeiter am Vorabend und am Morgen des Unfalls gewusst, dass ungesichert in gefährlicher Höhe gearbeitet wird. Der Architekt habe gesehen, dass die Arbeiter in gefährlicher Höhe arbeiteten, aber ebenfalls keinen Baustopp verfügt. Der Vorarbeiter wiederum hätte seine Obhutspflicht gegenüber dem Lehrling wahrnehmen müssen und dass die gefährlichen Arbeiten stoppen sollen.
Eine Frage von Oberrichter Marcel Kamber zeigte dann aber Wirkung: «Sie wurden um 10.30 Uhr vom Architekten informiert, dass die Arbeiten jetzt in einer Höhe erfolgen, wo es ein Gerüst braucht. Warum haben Sie nichts unternommen?» «Ich bin davon ausgegangen, dass sie nicht gefährdet sind», antwortete der Bauunternehmer, und gab zu: «Ja, es war eine Situation, da hätte man reagieren sollen.» Das Urteil ist in den nächsten Tagen zu erwarten.