Als ich nach Aedermannsdorf kam, standen im Dorfkern neun Gebäude leer oder wurden nicht mehr genutzt. Die ehemaligen Bewohner waren «gezügelt» oder verstorben und die Jüngeren bauten lieber auf der grünen Wiese etwas Neues. Heute, zwölf Jahre später, steht im Dorfkern nur noch ein Gebäude leer. Alle anderen wurden saniert, renoviert oder umgebaut und haben neue Bewohner gefunden.
Warum erzähl’ ich Ihnen das? Nun ja, meine Befürchtung damals war, dass das Dorf im Innern veraltet und sich gleichzeitig an den Rändern in die Landschaft ausbreitet, wie das an manchem Ort zu beobachten ist. Die Jungen haben heute die Mittel, nicht mehr warten zu müssen, bis die Immobilie der Eltern frei wird. Und überhaupt: Neu bauen, ist unter Umständen günstiger als altes zu sanieren und den modernen Bedürfnissen anzupassen.
Alles verständlich, aber was ist in der Zwischenzeit mit den alten Häuser geschehen? Soweit ich das beurteilen kann, kamen deren neue Bewohner, bis auf zwei Ausnahmen, von ausserhalb ins Dorf. Manche nutzen ihr neues Domizil als Ferienhaus, andere sind gekommen, um zu bleiben. Ich freue mich über neue Gesichter im Dorf und ebenso freue ich mich, dass durch gelungene Sanierungen der Charakter des Dorfkerns erhalten und neu belebt wird. Gebäude sind Kultur – lebendige Kultur, wenn sie genutzt werden.
Etwas ausserhalb des Dorfes, unten an der Dünnern, gibt es ein geschichtsträchtiges Gebäude, das als Hammerschmiede bekannt ist und im Dorf, offensichtlich nach den letzten Bewohnern, auch «Steinerhaus» genannt wird. Das Wohnhaus mit Stall und Scheune wurde 1779 von der Solothurner Eisenhandlung Felix Brunner & Cie als Hammerschmiede errichtet, gehörte Anfang des 19. Jahrhunderts als erster Produktionsstandort zur Von Roll und war danach abwechselnd mal eine Gerberei, eine Weberei, eine Wollspinnerei und eine Schalenfabrik. 1973 ging das Anwesen an den Kanton Solothurn, mit dem Ziel, es abzubrechen, um Platz für die neue Thalstrasse zu gewinnen. 1976 konnte das historisch wichtige Gebäude mit Hilfe des Denkmalschutzes gerettet und saniert werden, weil für die Thalstrasse eine alternative Linienführung gewählt wurde. Danach, wieder in privater Hand, stand es zunächst Vereinen zur Nutzung zur Verfügung, bevor es abermals den Besitzer wechselte. Ich habe das «Steinerhaus» als Schandfleck kennen gelernt. In den letzten Jahren war das Haus, obwohl es unter Denkmalschutz steht, eigentlich nicht mehr sichtbar. Rundherum haushoch zugewuchert, dazwischen Schrott, abgestellte Container und Fahrzeuge, das Dach an mehreren Stellen eingebrochen.
Im vergangenen Jahr wurde das gegenüberliegende, ebenfalls leerstehende ehemalige Restaurant Eisenhammer verkauft. Die neuen Besitzer, die übrigens zu den erwähnten Zugezogenen zählen, haben begonnen, den «Eisenhammer» zu sanieren. Leben ist eingekehrt. Ich selbst durfte mein Atelier dort einrichten. Wir sitzen oft vor dem Haus beim Kaffee und schauen auf das «Steinerhaus». Dieses Jahr wollten besagte neue Besitzer des «Eisenhammers», den Anblick des Schandflecks direkt vor unserem Kaffeeplatz nicht mehr ertragen. Kurzerhand haben sie das «Steinerhaus» ebenfalls erworben, die Umgebung von Schrott und Wildnis befreit und das eingefallen Dach flicken lassen. Und siehe da, ein wunderschönes Gebäude kommt zum Vorschein, das obendrein für die gesamte Geschichte der Industrialisierung im Thal steht. Da geht was im Dorf.