Thal
Aus Balsthal kommt Bahnbrechendes fürs Land: Wie die künstliche Intelligenz gezähmt werden soll

Souverän im digitalen Zeitalter? Führende Fachleute grübelten über Spielregeln für künstliche Intelligenz – ausgerechnet im Thal. Das weckt Erinnerungen.

Sven Altermatt
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Neues Recht für neue Technik: Expertinnen und Experten befassen sich mit der Frage, wie künstliche Intelligenz reguliert werden soll.

Neues Recht für neue Technik: Expertinnen und Experten befassen sich mit der Frage, wie künstliche Intelligenz reguliert werden soll.

Visualisierung: Pixabay

Es ist ja nicht so, dass in Balsthal noch nie die Souveränität des Volkes erstritten worden ist. In den turbulenten Revolutionstagen der 1830er-Jahre wurde auf der Treppe des Gasthauses Rössli der Sturz der aristokratischen Herrschaft im Kanton besiegelt.

2500 freiheitlich Gesinnte forderten in Balsthal die Anerkennung der Volksrechte. Ihr Wortführer Josef Munzinger, der später zu den ersten sieben Bundesräten gehören sollte, zerzauste den Verfassungsentwurf der Regierung. Für die Solothurner Freisinnigen war es der Ausgangspunkt ihrer Geschichte. Munzingers Credo lautete:

«Die Souveränität des Volkes soll ohne Rückhalt ausgesprochen werden.»

Bald zwei Jahrhunderte später lassen sich da bemerkenswerte Parallelen ziehen. Diesmal geht es um ein aktuelles Megathema: um die digitale Souveränität im Zeitalter der künstlichen Intelligenz. Und um die Frage, wie der Mensch die Oberhand über die Technologie behalten kann. Braucht es dafür neues Recht?

Die «Rössli»-Treppe in Balsthal: Hier votierte Josef Munzinger 1830 für die Volkssouveränität.

Die «Rössli»-Treppe in Balsthal: Hier votierte Josef Munzinger 1830 für die Volkssouveränität.

Bruno Kissling

Wieder kommen wichtige Impulse dazu aus Balsthal. Ausgelöst wurden sie nun jedoch fernab der Öffentlichkeit: Bereits im August traf sich dort eine illustre Gruppe aus Rechtsgelehrten, Mathematikerinnen und Informatikern. Sie alle zogen sich für drei Tage in Balsthaler Seminarräume zurück, um über einen «Rechtsrahmen für künstliche Intelligenz» zu grübeln. Die Fachleute folgten einem Ruf der Digital Society Initiative, die von der Universität Zürich gegründet wurde. Im Thal, quasi auf unverfänglichem Boden, waren neben 16 Forschenden verschiedener Institutionen auch drei hochrangige Vertreter der Bundesverwaltung dabei.

Braucht es keine eigenen Gesetze?

Herauskam ein breit abgestütztes Positionspapier, das soeben veröffentlicht worden ist. Darin finden sich Empfehlungen für eine «kluge Regulierung». Selbstfahrende Autos oder menschenähnliche Roboter in der Pflege – das sind vielleicht die plakativsten Beispiele für künstliche Intelligenz. Doch Technologie, die mit Algorithmen Entscheidungen trifft, durchdringt schon heute den Alltag: Sie ermöglicht etwa die Echtzeiterkennung von Sprache, strukturiertere Arbeitsabläufe oder die bessere Diagnose von Krebs.

Die Autoren des Positionspapiers raten dennoch davon ab, ein eigenes Gesetz für künstliche Intelligenz zu schaffen. Vielmehr plädieren sie dafür, bestehende Regulierungen anzupassen. Dies dürfte angesichts der vielen Einsatzgebiete «in nicht wenigen Fällen erforderlich sein», wie der Zürcher Informatikprofessor Abraham Bernstein bei der Präsentation des Papiers betonte.

Betroffene und die Gesellschaft als Ganzes dürften keine Nachteile erfahren, wenn algorithmische Systeme eingesetzt werden. Deshalb müssten deren Funktionsweisen stets «erkennbar und verständlich sein». Im gleichen Atemzug fordern die Forschenden ein Antidiskriminierungsgesetz: Oft besteht die Aufgabe von künstlicher Intelligenz darin, Unterscheidungen zu treffen. Problematisch sei dies dann, wenn Personen aufgrund von geschützten Merkmalen wie Herkunft oder Geschlecht anders behandelt werden.

«Balsthaler Impulse» im Bundeshaus präsentiert

In den Raum stellen die Autoren aber auch ein Moratorium für «besonders heikle Anwendungen», die in die Grundrechte eingreifen. Deren Auswirkungen müssten erst noch näher untersucht werden. Explizit verweisen sie auf die Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.

In der Pflicht sehen die Expertinnen und Experten jetzt die Politik. Die Schweiz ist ihrer Meinung nach gut beraten, rasch neue Normen zu erarbeiten. Und sich nicht einfach passiv an den Spielregeln anderer Länder zu orientieren. Vergangene Woche haben die Autoren ihre Positionen interessierten Parlamentsmitgliedern in Bern vorgestellt. Ob die «Balsthaler Impulse» das Bundeshaus wachrütteln?