Alt Stadtpräsident Urs Scheidegger zeigte die Entwicklung des Quartiers Weststadt in einer Tour d’Horizon auf. Der Anlass zog viele Interessierte an - nicht nur Weststädter.
Der ehemalige Stadtpräsident Urs Scheidegger erzählte im Schulhaus Brühl, wie aus einem Gebiet mit wenigen Bauernhöfen ein Quartier geworden ist, in dem heute ein Viertel der Stadtbevölkerung lebt. Namens des Quartiervereins Weststadt konnte Monika Grossenbacher viele Interessierte begrüssen, welche die Aula fast bis zum letzten Platz füllten. Nicht nur Weststädter, die heute im Seniorenalter stehen und die Entwicklung hautnah miterlebt hatten, waren anwesend, sondern auch jüngere Leute und einige der im Quartier wohnhaften Ausländer. Urs Scheidgger referierte in gewohnt nonchalanter Art und sprach immer wieder Anwesende direkt an, um Zusatzinformationen einzuholen.
Mit dem Filmplakat des Erfolgsstreifens «West Side Story» begann er seinen Vortrag. «Jede Stadt hat ihre West Side.» Auf den nun gezeigten historischen Plänen wie auch auf einem 1860 vom Spitalhof her aufgenommenen Bild ist ausser vereinzelten Bauerngehöften nichts zu sehen: «E Huufe Nüt». Den Beginn der eigentlichen Besiedelung der Weststadt unterhalb der Bielstrasse bis zur Aare brachte der Referent in Zusammenhang mit dem tragischen Unglück in der Frauenbadeanstalt oberhalb der Eisenbahnbrücke. So wurde 1930 die heutige Badi erheblich weiter aareaufwärts als erster Bau in diesem Gebiet eröffnet. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde auch der Stadionneubau als zweites neues Bauwerk realisiert.
Gartenstadt in Varianten
Inspiriert von den englischen Gartenstädten stellte der Architekt Walter Adam ebenfalls um 1930 Pläne für eine Gartenstadt unterhalb der Bielstrasse vor. Diese Pläne wurden zwar nicht verwirklicht, doch das Touringhaus an der nordöstlichen Ecke dieser geplanten Siedlung zeugt noch heute von der Weitsicht Adams. Wenngleich Adams Pläne nicht umgesetzt wurden, macht das Quartier mit seinen vielen Ein- oder Zweifamilienhäusern mit vorgelagerten Gärten den Eindruck einer Gartenstadt.
Architekt Eduard Ramseier hat mit dem Bau der Brunnmatt-Siedlung ein ähnliches Konzept verwirklicht. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden die heute das Quartier dominierenden Häuser. Dank staatlicher Hilfe mittels Kreditverbilligungen und Abgabe von günstigem Bauland konnten zwei Fliegen auf einen Schlag getroffen werden: Das Baugewerbe bekam Arbeit, und mittelständische Familien konnten sich ein Eigenheim leisten. Nach Süden wird diese fast kompakte Siedlung durch die Hochhäuser in der Riedmatt, heute Sonnenpark geheissen, abgeschlossen. Diese sind Zeugen von Fehlprognosen der Planer, die in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts einen Bevölkerungsboom prognostizierten, der allein in der Weststadt eine Einwohnerzahl von 10000 Leuten vorsah.
Pläne für den Flughafen Solothurn
Nicht nur Walter Adam hatte Pläne für die Weststadt, die so nicht realisiert wurden. Auch andere, viel spektakulärere Pläne wurden von der Aare fortgespült. Mit einigen Bildern erinnerte Scheidegger an die Zeit, als Flugzeuge in der Weststadt landeten und starteten. Die Pläne für einen Solothurner Flugplatz waren fix und fertig, als sich herausstellte, dass auch Utzenstorf einen Flughafen wollte. Die Solothurner setzten fortan auf Utzenstorf und sahen sich schon im Nabel der Flugwelt.
Bekanntlich entschied sich dann die Eidgenossenschaft für Kloten. Weniger utopisch waren die Pläne für ein Sportzentrum in den Siebzigerjahren. Über 1000 Leute kamen an die Gemeindeversammlung im Konzertsaal, wo die Kredite zwar gutgeheissen, doch in der nachfolgenden Urnenabstimmung verworfen wurden. So ist denn die ehemals grosszügig geplante Anlage auf die privatwirtschaftlich geführte CIS-Halle verkleinert worden. «Hett’s Handbälleler im Publikum?» Keine Reaktion. Ganz anders bei der Frage: «Wer ist in der Klinik Obach geboren worden?» Da schnellten viele Hände in die Höhe.
Als die Essigfabrik brannte
Viele der projizierten Bilder weckten nostalgische Erinnerungen. Vielen Anwesenden wurde dadurch bewusst, welchen gesellschaftlichen Wandel sie in den letzten Jahrzehnten selber miterlebt hatten. Die Klinik Obach existiert noch, aber Fabrikations- und Gewerbebetriebe sind verschwunden. Die Essigfabrik Adam war ein blühendes Unternehmen. «Mit Adams Essig und Senf ist jedes Essen besser!» 1960 brannte die Fabrik ab und wurde nicht mehr aufgebaut.
Auch einige der Bauernhöfe fielen dem roten Hahn zum Opfer. Verschwunden ist auch der Alteisenhandel Kofmehl, die Bäckerei Bitterli und die Schmiedewerkstatt von Richard Ruepp. Vorbei auch das Schlittschuhlaufen in der Hofstatt der Henzihofes, die jährlichen Überschwemmungen der Aare seit der zweiten Juragewässerkorrektion und die Uhrenindustrie in Solothurn und Langendorf, die wesentlich zur Besiedelung der Weststadt beigetragen haben.
Neues Schönes ist entstanden
Die katholische Notkirche aus Holz ist von der stilvollen Marienkirche abgelöst worden. Mit dem Wildbachschulhaus bekam das Quartier auch die erste eigene Schule. Das Bevölkerungswachstum machte den Bau des zweiten Schulhauses im Brühl notwendig. Urs Scheidegger, damals Stadtpräsident, hatte mit dem Bau auch seine Sorgen. «Ich bin glücklich, dass es jetzt in so guten Händen ist.» Er erinnerte an den nicht funktionierenden Laserbrunnen, an dessen Stelle heute Rabatten sind, und ermunterte den Quartierverein, das Thema Brunnen nochmals aufzugreifen.