Solothurn
Wie Niklas Raggenbass vom Taxifahrer zum Mann Gottes wurde

Der Solothurner Stadtpfarrer Niklas Raggenbass ist seit zwei Wochen im Amt. Für den promovierten Theologen war es nicht von Anfang an klar, dass er ein Mann Gottes wird. Mit 18 hat er noch Fahrgäste im Taxi herumgeführt.

Silvia Rietz
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Stadtpfarrer Niklas Raggenbass beim Aufgang zur Kanzlei.

Stadtpfarrer Niklas Raggenbass beim Aufgang zur Kanzlei.

Silvia Rietz

Mit achtzehn besass der Schulabbrecher aus Kreuzlingen den Lernfahrausweis und ein Taxigeschäft. Sass er selbst am Steuer, eröffnete sich Niklas Raggenbass ein Kaleidoskop an Schicksalen. Einige Fahrgäste traf er später erneut, als Croupier in den Spielkasinos Konstanz und Baden-Baden. Elend und Verwahrlosung begegneten ihm auf Schritt und Tritt.

Sie machten den Sprachgewandten stumm und hilflos. «Da keimte der Vorsatz, die Matura nachzuholen und Jura zu studieren», erinnert sich Raggenbass, der sich für sozial Benachteiligte, Drogenabhängige und unterdrückte Frauen starkmachte.

Der promovierte Theologe ist seit zwei Wochen Seelsorger von St. Ursen und St. Marien. Als Jurist, Journalist, Kulturvermittler und Erwachsenenbildner bringt er einen breiten Erfahrungshorizont mit. Der Benediktiner wird am 18. August mit einem grossen Pfarreifest offiziell als Stadtpfarrer eingesetzt.

Eine bewegte Geschichte

Als der Rechtsgelehrte in beruflicher Mission das Kloster Engelberg aufsuchte, war er von der Atmosphäre nachhaltig fasziniert. Spontan fragte er den damaligen Abt Bechtold Müller: «Brauchen Sie einen Juristen?». – «Nein», kam es unmissverständlich zurück. «Aber einen Menschen könnte ich brauchen.» Von einem Tag auf den anderen kehrte Niklas Raggenbass dem Staatsdienst und dem Kanton Thurgau den Rücken.

«Aha, da kommt der Aussteiger», begrüsste ihn ein Ordensbruder. «Nein, der Einsteiger», antwortete der Ankömmling. Ein prophetischer Wortwechsel für den Benediktiner, der bei der Profess gelobte: «Oboedientia» (Gehorsam), «Stabilitas in congregatione» (Beständigkeit in der Gemeinschaft) und «Conversatio morum» (klösterlicher Lebenswandel).

«Stabilitas» verstehe er nicht ortsgebunden, sondern spirituell, sagt er. Er blieb dem Orden, nicht aber Engelberg treu. Wechselte für das Theologiestudium in die Benediktinerabtei St. Bonifaz in München. Hier betreute er Obdachlose, organisierte kulturelle Veranstaltungen im Kloster Andechs, dem Wirtschaftsgut der Abtei, war Stiftsbibliothekar und in der Pfarreiseelsorge aktiv.

Intellektueller Schöngeist

Die facettenreiche Persönlichkeit des intellektuellen Schöngeistes mit dem sozialen Herzen offenbart eine Anekdote aus der Münchner Zeit. Als Kaplan von St. Bonifaz gehörten Trauergespräche mit zu seinen Aufgaben. So bereitete er auch die Beerdigung eines dem Kloster wohlgesonnenen Metzgers vor. Die Witwe wollte ihm dafür hundert Euro geben und liess sich trotz des Hinweises, ihr Mann habe so viel für das Kloster getan, nicht davon abbringen. Raggenbass: «Und schon überlegte ich, was ich mir dafür alles kaufen könnte, bestellte ein Buch.»

Eigentlich hätte er das Geld ja dem Prior für die gemeinsame Kasse bringen müssen. Kurz darauf wurde er an die Klosterpforte gerufen. «Eine Frau mit krankem Ehemann bat um einen Zustupf. Ich dachte an das Beerdigungs-Geld, an das Buch – und gab ihr den Hunderter.» Am nächsten Tag sprach die Frau mit dem Pförtner. «Mit der Geschichte vom kranken Mann habe ich mich schön erwischen lassen, dachte ich. Da drehte sie sich um, gab mir eine Rose und lächelte. Seither begleitet und ermutigt mich diese Rose.»

Niklas Raggenbass erzählt die Begebenheit eloquent. Der wortmächtige Theologe kehrte aus Bayern nicht ins Kloster zurück, sondern auf den Chefredaktorenstuhl der Zeitschrift «Der Sonntag». Hier sehnte sich der Aussteiger nach der Seelsorge und kam als Wiedereinsteiger in die Pfarrei St. Michael in Zug. Bis ihn der Kirchgemeinderat als Priester der Solothurner Pfarreien St. Urs und St. Marien wählte und Abt Christian Meyer ihn dafür freistellte.

Nun beginnt ein neues Kapitel, welches Niklas Raggenbass mit Innovationen in der Jugend- und Seniorenarbeit zu prägen hofft. Er will die Türe für alle öffnen. Konservative wie Progressive begrüssen und begleiten. Die dafür notwendige Empathie hat er sich als Aussteiger und als Einsteiger erworben.