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Knapp 30 Jahre ist es her, seit die Solothurner Regisseurin Gertrud Pinkus die tragische Geschichte von Anna Göldin auf die Leinwand brachte. Aber auch vor der Kamera gestalteten Solothurner den Film mit.
Als vor rund dreissig Jahren die Regisseurin Gertrud Pinkus ins Klassenzimmer trat und einige Zeit verweilte, interessierte das die achtjährige Luca Kurt nicht. Auch als Pinkus sich näher für sie interessierte und Probeaufnahmen mit ihr machte, wollte sie nicht wissen, was die ganze Übung soll. Sie machte ohne zu hinterfragen mit. «Ich war eine Träumerin. Ich lebte einfach im Moment», erinnert sich die 38-jährige Sozialpädagogin heute. Genau diese Eigenschaft brachte ihr die Rolle der verträumten Arzttochter Anne-Miggeli in «Anna Göldin – Letzte Hexe».
Nach langer Suche für die Besetzung wurde Gertrud Pinkus mit der Solothurnerin fündig und landete einen Volltreffer: Die Achtjährige verstand sich blendend mit dem ganzen Filmstab, insbesondere mit Cornelia Kempers, der Darstellerin von Anna Göldin. «Es war Liebe auf den ersten Blick», sagt Luca Kurt und lacht. Mit denselben Worten beschreibt auch Mutter Franziska Kurt die erste Begegnung der beiden. «Sie waren ein Herz und eine Seele», ergänzt sie. «Sonst hätte es nicht funktioniert.» Die Harmonie hinter den Kulissen trugen sie auch vor die Kameras, wie sie weitererzählt. Viele der Szenen seien nicht gespielt, sondern die Realität zwischen den beiden. So erinnert sich Luca Kurt beispielsweise auch nicht daran, spezifische Regieanweisungen, wie sie ihre Rolle ausführen soll, erhalten zu haben. «Ich habe die Szenen nicht gespielt, sondern gelebt», sagt sie. Wie als würde sie mit einer Kollegin Zeit verbringen. Und so hätten die Achtjährige weder die vielen Kameras und Scheinwerfer, noch die «intimen» Szenen mit Anna Göldin gestört. «Das war aber sicherlich nur durch die enge Beziehung zu Cornelia Kempers möglich.»
Ähnlich wie Luca Kurt wurde auch Martin Hobi in der Schule entdeckt: Der damals 15-jährige Solothurner wurde gemeinsam mit weiteren Jugendlichen aus der Schule als Statist für die Szene auf dem Zeughausplatz in Solothurn ausgewählt: Sie mussten im Hintergrund eine Schneeballschlacht führen. «Es war ein Erlebnis», erinnert sich der heute 45-Jährige und lacht. «Wie haben gedacht, dass wir nun berühmt werden.» Die Realität habe etwas weniger fabulös ausgesehen: Stundenlang hätten sie sich draussen beim Warten jegliche Gliedmassen abgefroren. Als es ein Jahr später bei der Premiere hiess, man habe sehr viel rausschneiden müssen, schwand dann auch noch die Hoffnung auf einen Auftritt im Film. Doch er wurde nicht enttäuscht. «Es ist ein total anderes Gefühl, wenn man weiss, dass man im Film ist», sagt der Solothurner. «Ich würde es sofort wieder machen.»
Auch der damals 14-jährige Michel Lüthi ist mitten in der Schneeballschlacht auf dem Zeughausplatz. In die Statistenrolle ist auch er über die Schule gerutscht. «Sie suchten damals nach Jugendlichen an der Schule, die bäuerlich aussehen», erinnert er sich. Bis heute habe er die Dokumente festgehalten, mit welchen er vor 30 Jahren über seine Rolle informiert wurde. Dort stehe auch geschrieben, dass er die Haare nicht habe schneiden dürfen oder dass es erlaubt sei, unter dem Kostüm lange Unterhosen zu tragen. «Wir mussten lange draussen stehen und die Szene x-Mal wiederholen», erinnert er sich. Der Schauspieler Dimitri habe jedes Mal seinen Text verhauen. «So konnte ich ihn immer wieder mit Schneebällen anschmeissen – das hat Spass gemacht.» Insgesamt sei es eine eindrückliche Erfahrung für den damals Jugendlichen gewesen. In Erinnerung ist ihm besonders auch eine Sau geblieben, die als tierischer Statist mitwirkte. Sie habe nicht wieder in den Anhänger gewollt. «Dann haben sie sie mit einem Plastikkessel über den Kopf reinlocken müssen», sagt er lachend.
«Wir haben auf dem Set gespürt, dass es eine angespannte und bedrohliche Situation war», erinnert sich Kristin Wirthensohn an die Dreharbeiten vor rund 30 Jahren. Die Solothurnerin spielte damals als Statistin eine Frau aus dem Volk, die gerade Zeugin einer Erhängung auf dem Zeughausplatz in Solothurn wurde. Zu ihrem Auftritt sei durch die Regisseurin Gertrud Pinkus bei einem Treffen an den Solothurner Filmtagen gekommen. «Ich wusste, dass es ein wichtiger Film für die Frauenbewegung würde», sagt sie. Damals sei sie selber in der Frauenbewegung aktiv gewesen. Und als sie erfuhr, dass Gertrud Pinkus noch Statisten brauche, habe sie sich bei ihr gemeldet. «Die Szene hat etwas Geduld gebraucht», erinnert sie sich. «Es war eine eindrückliche Inszenierung und interessant mit so vielen Leuten zu agieren.» 1988 realisierte sie in einem Team einen eigenen Film zum Thema Vergewaltigung an Frauen.
Doch auch ihre persönliche Ähnlichkeit zur Rolle sei sehr hilfreich gewesen bei den Dreharbeiten. «Ich konnte mich sehr gut mit Anne-Miggeli identifizieren», erinnert sie sich. Auch ihre Mutter bestätigt die Parallelen zwischen den beiden Persönlichkeiten: «Luca war sehr fantasiereich, auch was das Aushecken von Streichen betraf», sagt sie schmunzelnd. Sie sei aber auch ein sehr einfühlsames Kind gewesen und habe damit ein weiteres Kriterium für die Rolle als Anne-Miggeli erfüllt. «Sie sollte die Unterschiede zwischen ihrer Filmmutter und der Anna Göldin spüren.» Und das tat die Achtjährige, ohne es damals in Worte fassen zu können. Sie hatte intuitives Verständnis für ihre Rolle. «Anne-Miggel ist in einer gefühlskalten Familie aufgewachsen und erhielt erstmals mütterliche Wärme von Anna Göldin. So entwickelte sich eine Art Liebesbeziehung zwischen den beiden», versteht Luca Kurt ihre Rolle heute.
Eine weitere grosse Rolle hat die heute 38-Jährige nicht mehr gehabt. «Ich hatte nur noch einen kurzen Auftritt in einem Film aber das hat mir überhaupt nicht gepasst», erinnert sie sich. Sie sei schauspielerisch unbegabt. In die Filmszene ist sie also nicht eingestiegen. Aber: «Der Film ist ein wichtiger Teil meiner Kindheit, das ich nicht missen möchte», sagt Kurt, die mittlerweile als Sozialpädagogin in einem Jugendzentrum in Zürich arbeitet. «Es war eine sehr schöne Erfahrung.» Freude am Film hat sie heute noch wie damals und plant beide Aufführungen von «Anna Göldin – Letzte Hexe» an den Solothurner Filmtagen zu besuchen.
Am Samstag, 25. Januar 2020, um 17.45 Uhr (Kino Canva) feiert die neue Fassung von «Anna Göldin – Letzte Hexe» an den 55. Solothurner Filmtagen ihre Weltpremiere, als Teil des Programms «Histoires du cinéma suisse». Neben der Regisseurin Gertrud Pinkus nehmen die Schauspielerinnen und Schauspieler Peter Wyssbrod und Luca Kurt sowie die Filmmusikerinnen und Musiker von sine nomine an der Uraufführung teil. Eine weitere Vorstellung findet am Mittwoch, 29. Januar 2020 um 14.45 Uhr (Kino Palace) statt.