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Die Ära des analogen 35-Millimeter-Films ist definitiv vorbei. Beim Blick hinter die Kulissen der Filmtage zeigt sich, woraus die bewegten Bilder heute bestehen – und durch welches Know-How sie zu laufen beginnen.
Mit dem Geräuschpegel von gefühlten 100 Haartrocknern wird es im so genannten Ingest-Raum in der Filmtagezentrale auf einmal ziemlich laut.
Rebecca Siegfried, die als Videofachfrau diesen Prozess betreut, bringt per Knopfdruck sechs verkabelte Kinoserver zum Heulen. Dabei hat der staunende Laie mehr als bloss ein Stück ausgefeilter Technik vor Augen.
Hier entscheidet sich das Schicksal des cineastischen Vergnügens für die kommenden acht Tage. Von den Filmemachern oder von Produktionsfirmen trudeln hier täglich Filmdaten ein: Festplatten oder USB-Datenträger.
Diese werden geprüft und entsprechend des jeweiligen Spielorts auf die offiziellen Kinoserver «eingeimpft» – Ingest nennt sich der Prozess, den Siegfried verantwortet.
Nur eine Chance für den Operateur
Vor, während und nach dem Ingest-Prozess ist Datensicherheit das A und das O, was auch die Arbeit von Max Aeschlimann zeigt:
«Im Gegensatz zum regulären Kinobetrieb, wo Filme jeweils mehrfach gezeigt werden, hat jeder Operateur am Festival nur eine einzige Chance, seine Arbeit richtig zu machen.»
Aeschlimann stieg selbst vor zehn Jahren als Operateur im «Kino im Uferbau» ins Filmtageteam ein. Heute begleitet er als technikaffiner Supporter die Prozesse rund um die sensiblen Kinodaten und hält das Schlagwort der Redundanz hoch: So bilden in jedem Kinoserver vier Festplatten zusammen ein Datenpaket mit allen Filmen für den jeweiligen Spielort.
Eine dieser vier Platten darf ausfallen, ohne dass Daten verloren gehen. Und auch die Netzteile, die für die Stromzufuhr sorgen, sind doppelt vorhanden.
Ausserdem werden die Daten nach dem Ingest Bit für Bit auf Übertragungsfehler überprüft.
DCP – «Digital Cinema Package» nennt sich der Standard, der sich in der Kinobranche seit dem Siegeszug des Digitalkinos durchgesetzt hat. Sämtliche Einzelbilder – in der Regel 24 pro Sekunde –, sechs Audiospuren, Untertitel-Daten sowie Inhaltsverzeichnis und Abspielliste werden zusammen in ein Datenpaket geschnürt.
«Es braucht einiges Wissen, um die Funktionsweise von DCP zu verstehen und um ein Paket anzufertigen», sagt Siegfried.
Was tatsächlich ein komplexes technisches Verständnis voraussetzt, vereinfacht auf der anderen Seite den Transfer der Daten vom Filmemacher zum Server am Aufführungsort.
Im Idealfall sind die Daten so benannt, dass der Operateur den Film, das Bildformat, die Filmsprache sowie die Untertitelsprachen mit einem Blick herauslesen kann.
Da aber aus kleinen wie aus grossen Produktionsstätten Filme eintrudeln, kann sich Rebecca Siegfried nie sicher sein, welche technische Herausforderungen sie für den Ingest-Prozess antrifft: «Es kommt manchmal vor, dass Filmemacher in Eigenregie agieren, sodass unsaubere Daten eintreffen.»
Und: «Treffen wir auf Ungereimtheiten, so melden wir diese dem entsprechenden Absender», ergänzt Aeschlimann.
Dass nämlich die Filme inhaltlich stimmen – also beispielsweise frei sind von Pixelfehlern, Tonausfällen oder asynchronen Untertiteln –, ist die Aufgabe des Filmemachers, beziehungsweise der Produktionsfirma, die die DCP-Pakete für die Filmtage vorbereitet.
«Ich kann zwar bei einzelnen Unsicherheiten in die Filme hineinschauen. Um aber alle zu sichten, haben wir zeitlich gar nicht genügend Kapazitäten», so Siegfried.
Und so wie der Produzent für die Güte der angelieferten Daten verantwortlich ist, versteht man sich in den Reihen der Filmtage auch nicht als Produzent solcher DCP-Pakete.
Raubkopierer aufgepasst
Eine weitere technische Hürde ergibt sich mit dem Verschlüsselungsschutz gegen Raubkopien. Dank dieser lässt sich mit forensischen Mitteln nachträglich erkennen, ob ein Film durch einen Zuschauer per Handy oder sonstiger Kamera mitgeschnitten wurde.
Visuelle oder akustische Wasserzeichen geben gar Aufschluss auf das Kino, in dem der Film lief. Zwar ist unter den über 200 Filmtage-Filmen lediglich jeder zehnte verschlüsselt.
Dennoch dürfen die technischen Herausforderungen auch hier nicht ausser Acht gelassen werden: Jeder so codierte Film läuft nur mit einem bestimmten Schlüssel auf einem bestimmten Gerät in einem bestimmten Zeitfenster.
«Weil wir in kürzester Zeit eine grosse Menge an Daten für mehrere Spielstellen einlesen müssen, sind für uns die unverschlüsselten Filme einfacher zu handhaben», sagt Max Aeschlimann.
Ist neu wirklich besser?
Symbolisch haben die lauten DCP-Server das Rattern des guten alten 35-Millimeter-Projektors längst übertönt. Der Wechsel von analog auf digital ist seit dem Sprung ins neue Jahrtausend schleichend erfolgt.
So sind die Filmtage ein Abbild einer weltweiten Entwicklung: Nicht mehr als eine Handvoll Filme – 2015 waren es deren fünf – kommen auf der Filmrolle daher.
Der Transport der grossen Spulen per Velo, an den sich Kinonostalgiker schwärmend erinnern, ist passé. Aber: Beispielsweise wird für die Rencontre-Reihe, in der Reprisen einer ausgewählten Filmpersönlichkeit im Vordergrund stehen, noch ab und zu auf die analoge Technik zurückgegriffen.
Doch ist neu auch besser? Filme in vierfacher HD-Auflösung (4K) kämen bereits an die Qualität eines 35-Millimeter-Films heran, bestätigt Siegfried.
«Und beim Kontrastumfang sind die digitalen Formate den analogen bereits voraus.» Das digitale Bild sei schärfer und, wenn zudem mit hoher Bildrate (HFR) abgespielt, «fast schon hyperrealistisch».
Die erhöhte Bildwiederholungsrate verringere die Bewegungsunschärfe. «Dadurch wirkt das Bild beim 35-Millimeter-Film für viele nach wie vor organischer.»
Mit Herzblut fürs Festival
Viele Filme gehen durch Siegfrieds Hände, aber nur die wenigsten bekommt sie auch zu Gesicht. «Es ist eine abstrakte Geschichte, die hier abgeht.»
Sie ist zum zweiten Mal als Ingest-Verantwortliche dabei und macht die Arbeit sehr gerne. Auch Aeschlimann, der die Entwicklung aus der technischen Warte mitverfolgt und mit Enthusiasmus begleitet hat, blickt auf spannende Filmtage-Momente hinter der Kulisse zurück.
«Ich bin mit Herzblut fürs Festival dabei», sagt er, wohlwissend, dass die technischen Herausforderungen mit zunehmender DCP-Standardisierung abnehmen werden.
«Deshalb gebe ich das Wissen im Team weiter und dokumentiere die technischen Grundlagen und Abläufe.» Denn eines weiss Aeschlimann:
Wenn erst einmal die Technik verrückt spielt und sich plötzlich nicht mehr beherrschen lässt, zahlt man als Festivalbetreiber ein teures Lehrgeld – und erntet die Enttäuschung der Filmfans.