Der Kanton Solothurn fordert bis Ende Jahr in einem Versuch zum Tanz mit der Polizeistunde auf. Mit einem zeitlich begrenzten Versuch soll die heute maximal mögliche Öffnungszeit von Ausgehlokalen von 4 auf 5 Uhr hinausgeschoben werden können.
Faktisch wird damit die Polizeistunde aufgehoben. Diese Änderung des Wirtschaftsgesetzes hat der Solothurner Kantonsrat letzten Sommer mit der Überweisung eines überparteilichen Vorstosses beschlossen. Nach der verwaltungsinternen Vernehmlassung wird die Regierung in den nächsten Wochen die Versuchsanordnung erlassen. «Vorgesehen ist», so Jonas Motschi, Chef Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), «den Versuch auszuschreiben.» Voraussichtlich bis Ende Jahr läuft die Anmeldefrist. «Danach werden die Gesuche geprüft, bevor dann die Regierung die Teilnehmer bestimmt.»
Nach dem Grundsatz der Rechtsgleichheit sind laut Motschi alle Gastronomiebetriebe teilnahmeberechtigt, die Hürden aber hoch. Erstens müsse die örtliche Baubehörde dem Gesuch zustimmen und zweitens «kann nur am Versuch teilnehmen, wer die baupolizeilichen Auflagen erfüllt.» Damit trägt der Versuch der Schnittstellenproblematik zwischen Wirtschaftsgesetz und Baugesetz Rechnung. Die gewerbepolizeiliche Bewilligung gemäss Wirtschaftsgesetz ist leicht erhältlich. Ausgestellt vom AWA ist sie an den Antragsteller gebunden. Geprüft wird primär, ob dieser einen reinen Leumund hat. Entscheidend für die Betriebsbewilligung und damit die Öffnungszeiten sind aber die baupolizeilichen Vorschriften. Die Betriebsbewilligung der örtlichen Baubehörde ist an den Standort und die Nutzung des Lokals gebunden.
Es nützt also einem Gastronomen nichts, wenn er gemäss der gewerbepolizeilichen Bewilligung bis 4 oder eben neu 5 Uhr offen halten kann, das Lokal aber für die vorgesehene Nutzung am falschen Ort steht. Können etwa die Zonenvorschriften oder die Lärmschutzbestimmungen – notabene eidgenössisches Recht – nicht eingehalten werden, löschen die Lichter früher.
Ad absurdum geführt
Der Regierungsratsbeschluss mit den bestimmten Versuchslokalen kann – wie jeder Regierungsratsbeschluss – angefochten werden. In der Versuchsanordnung momentan ausgeschlossen ist aber ein expliziter Rechtsweg, was auf Nachfrage von Juristen als nicht sauber kritisiert wird. Korrekt wäre, dass die örtliche Baukommission das Gesuch eines Lokals für die verlängerten Öffnungszeiten ausschreiben würde,damit sich allenfalls betroffene Anwohner direkt wehren können. Das Problem dabei: Bis zum Abschluss eines Rechtsstreites wäre der Versuch bereits Geschichte.
Die genannten Hürden schliessen die Kulturfabrik Kofmehl in Solothurn faktisch vom Versuch aus. Ausgerechnet jenen Betrieb, für den Kantonsratsmitglieder die Gesetzesänderung in Gang gebracht haben. Zwar hat das Verwaltungsgericht Mitte Juli die nachträgliche Betriebseinschränkung auf 2 Uhr der städtischen Baukommission aufgehoben und neu mit der Auflage, einen Lärmschutztunnel zu bauen, auf 3 Uhr festgesetzt. Mit 3 Uhr, statt aktuell maximal möglich 4 Uhr, beinhaltet das Urteil aber explizit immer noch eine baupolizeiliche Betriebseinschränkung. Konkret schreibt das Verwaltungsgericht zu einer allfälligen Teilnahme -des Kofmehl am 5-Uhr-Versuch, dass es der Baukommission unbenommen bleibt, einen solchen Versuch durchzuführen, «wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dazu erfüllt sind». Nun: Eine baupolizeiliche Betriebseinschränkung kann nicht ausser Kraft gesetzt werden, auch versuchsweise nicht, ausser die zu Grunde liegenden Gesetze ändern. Für die Kofmehl-Crew steht momentan aber weniger der 5-Uhr-Versuch im Zentrum, als die strengen Auflagen des Verwaltungsgerichtes erfüllen zu können.
Das AWA arbeitet auch an der Totalrevision des Wirtschaftsgesetzes. Mit ihr soll die Schnittstellenproblematik zwischen Wirtschaftsgesetz und Baugesetz aus der Welt geschafft werden. Motschi: «Vorgesehen ist, dass künftig die Baubewilligung der örtlichen Baukommission Voraussetzung für eine Gewerbebewilligung des Kantons ist.» Beide Bewilligungsverfahren sollen koordiniert werden. In der Praxis war dies eine Zeit lang bereits der Fall, bis das Solothurner Verwaltungsgericht entschieden hat, dass für eine Koordinationspflicht die gesetzlichen Grundlagen fehlen würden.