Patrick Kappeler brilliert im Einpersonenstück «Der Herr Karl» als ein durchschnittlicher Wiener aus dem Volk und resümiert sein Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Der Radetzky-Marsch symbolisiert die militärische Macht der Donaumonarchie und wird später durch die fröhlichen und zugleich melancholischen Walzerklänge abgelöst. Das ist das Wien, wie wir es aus unzähligen Operetten kennen und das im Chaos des Ersten Weltkrieges versinkt und nicht wieder kommt.
Die nun kleine Alpenrepublik Österreich erlebt bis zum Staatsvertrag von 1955 stürmische Zeiten und existiert eine Zeit lang überhaupt nicht mehr. Das 1961 uraufgeführte Einpersonendrama von Carl Merz und Helmut Qualtinger «Der Herr Karl» lässt diese wildbewegte politische Zeit wieder auferstehen.
David Gnägi, der Regie führte und am Bühnenbild mitwirkte, gibt vor Spielbeginn eine kurze Einführung zu den Hintergründen und hat sowohl ein Glossarium von Wiener Ausdrücken wie auch eine politische Abhandlung verfasst, die den Besuchenden abgegeben werden.
Die Bühne ist der Lagerkeller einer Wiener Feinkosthandlung mit vielen Gestellen, Flaschen, Schachteln, einem Tisch und Stuhl. In dieses Warenlager kommt nun mit Berufsschürze der Lagerist Herr Karl. Ab und zu spricht er zu seiner Chefin oben im Geschäft, aber in der Hauptsache zu einem imaginären Twen des Jahres 1961, um ihm von seiner Lebenserfahrung zu erzählen und ihm Weisheiten mit auf den Weg zu geben.
Der Einakter wuchs sich nach seiner Premiere zu einem richtigen Theaterskandal aus, denn so schonungslos hat vorher noch niemand über die politische Vergangenheit und Anpassung gesprochen. Der Herr Karl war erstmals katholisch-konservativ, mutierte dann zu einem Befürworter des Ständestaates und schliesslich gar zum Anhänger des Anschlusses Österreichs ans Deutsche Reich, um schliesslich mit den Besatzern Schwarzhandel zu treiben und sich in der heutigen Staatsform wohlzufühlen.
Patrick Kappeler hatte die Realisation dieses Einpersonenstückes seit Jahren im Visier, schreckte aber immer wieder zurück, weil er nicht wusste, wie das Solothurner Publikum auf dieses doch durch und durch wienerische Werk reagieren würde. Seit diesem Sommer hat er sich jedoch konkret mit diesem Text auseinandergesetzt und es ist diesem siebzigminütigen Monolog nicht anzumerken, wie viel Anstrengung er dem Interpreten abverlangt. Ganz nonchalant tritt er auf, spricht den Wiener Dialekt, wie es seine Muttersprache wäre, und zieht mit seiner ruhigen Art das Publikum in seinen Bann.
Carl Merz und Helmut Qualtinger, die Autoren und Letzterer als Interpret des Herrn Karl, kamen aus der Wiener Kabarett-Szene. Deshalb enthält dieser Monolog viele satirische Elemente und verzichtet auch nicht auf den unverwechselbaren Wiener Humor, der in die Kategorie des schwarzen Humors fällt. Carl Merz, 1906 geboren, entsprach ungefähr dem Alter des Antihelden Karl, und machte auch Karriere als Drehbuchautor. Helmut Qualtinger hatte als Schauspieler Kult-Status erreicht und schuf sich einen Namen als Rezitator.
So gibt es denn viel zu schmunzeln und zum Nachdenken, wenn Patrick Kappeler die Bühne betritt: «Ich war schon immer der Herr Karl.»
Weitere Aufführungen: Freitag/Samstag, 27./28. November, Freitag/Samstag, 4./5. Dezember je 20 Uhr,
Sonntag, 6. Dezember, 17 Uhr.