Er gilt als Urgestein der Sozialdemokratie und wichtiger Zeitzeuge der Schweizer Politlandschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Helmut Hubacher faszinierte in Solothurn eine kleine Abendrunde.
«Wir haben ihm einfach einen Brief geschrieben, und er hat zugesagt», kündigt Journalist Michael Hug den prominenten Besuch in der Bürogemeinschaft Frohsinn am Riedholzplatz an. Dort ist ein weiteres ungezwungenes Stammtischgespräch im kleinen Rahmen angesagt - und die Gäste haben ihr Kommen während mehr als zweieinhalb Stunden nie zu bereuen. Dazu trägt auch Hubachers Gattin mit einigen Anekdoten bei.
Die lange Jahre in Basel als Wirtin tätige Gret Hubacher hatte ihren späteren Mann anfänglich stets mit dem Velo begleiten wollen – «doch er fuhr mir immer davon». So griff sie zu einer List: «Ich liess an Helmuts Velo die Luft raus.» Womit die Begleitung sichergestellt war. Resolut auch ihr Statement zur Nichtwahl von Liliane Uchtenhagen als Bundesrätin, dem damaligen Super-Gau der SP, ausgelöst durch die Wahl des Schwarzbuben Otto Stich. «Ich habe ihn nie mehr gegrüsst.» Und auf Nachhaken aus der Runde: «Nein, solange es ihn gab.»
Geboren am 15. April 1926 im bernischen Krauchthal lernte Helmut Hubacher SBB-Stationsbeamter. 1953 wurde er Gewerkschaftssekretär des VPOD, 1963 Chefredaktor der Basler AZ. 1956 bis 1968 war er Baselstädter Grossrat, von 1963 bis 1997 sass er 34 Jahre lang für die SP im Nationalrat. 1975 bis 1990 fungierte Hubacher als Präsident der Schweizer Sozialdemokraten. Noch immer ist der bald 91-Jährige als Autor von Büchern und Kolumnist aktiv. (szr)
Eingestiegen ist Helmut Hubacher mit einem heiklen Besuch in Honeckers DDR.. Noch immer wehrt er sich gegen den Vorwurf, er habe damals mit anderen SP-Mitgliedern eine «Wallfahrt» nach Ostberlin unternommen. Im Gegenteil: Mit regimekritischen Dissidenten sei intensiv diskutiert worden und «wir haben sie zum offiziellen Empfang der Regierung mitgenommen. Die waren darüber stinksauer.»
Eine wichtige Rolle spielte für Helmut Hubacher auch der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, die Galionsfigur der deutschen SPD. «Er hegte Sympathien für die Schweiz wie vor und nach ihm kein anderer Bundeskanzler», erinnert sich der SP-Doyen an die guten Kontakte zu Bonn, aber auch zum schwedischen Premier Olof Palme oder Österreichs legendärem SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky.
Breiten Raum nimmt das verhinderte AKW Kaiseraugst ein - wo übrigens Gret Hubacher aufgewachsen ist. Mit der Besetzung des für den Bau vorgesehenen Areals durch weite Bevölkerungskreise - «alle waren dabei, vom Grossrat bis zum Grosi» - drohte die Situation aus dem Ruder zu laufen. Erwog doch der Bundesrat den Einsatz der Armee. Der damalige Solothurner SP-Bundesrat Willi Ritschard brachte aber klipp und klar zum Ausdruck, dass er bei einem Armee-Einsatz zurücktreten werde. Plastisch und verblüffend exakt dank seines exzellenten Namen-Gedächtnisses lieferte Hubacher eine anschauliche Schilderung der kritischen Tage von 1975. «Zuletzt wurde Kaiseraugst 1988 begraben – durch Christoph Blocher. Damit war der Bau von fünf weiteren Atomkraftwerken in der Schweiz vom Tisch.»
«Die CVP hat ja zwei Sitze bei Euch verloren», streift er kurz die hiesigen Kantonsratwahlen. «Die verlieren ja nur noch Wahlen», meinte er mit auch die FDP, seit dass sich beide Parteien der SVP angenähert hätten. Immer wieder kommt Hubacher auf Blocher zu sprechen. «Er braucht ein Feindbild. Jetzt ist es die EU.» Aber er könne viel einstecken. «Und Blocher wird zu einer Figur in den Geschichtsbüchern, ob wir wollen oder nicht», lässt der grosse alte Mann der SP fallen. Womit er unweigerlich beim entscheidenden Nein zum EWR von 1992 landet. Mit seinem 4:3-Entscheid für ein EU-Beitrittsgesuch – Adolf Ogi sei das Zünglein an der Waagschale gewesen – habe der Bundesrat den EWR versenkt und Blocher in die Hände gespielt, hadert Hubacher noch heute mit dem damaligen Vorgehen.
Doch altersmilde ist er mit radikalen Strömungen wie der JUSO in seiner Partei geworden. Auch seinen alten Spezi Jean Ziegler verteidigt er immer wieder. Ohnehin: «Im Alter ist es wichtig, Freundschaften zu pflegen.» Und zu schreiben. Eine wöchentliche Zeitungs-Kolumne beispielsweise – auf der Schreibmaschine. Tippex inklusive. «1991 wollten sie mir im Nationalrat zwei Laptops geben. Ich blieb bei der Schreibmaschine.» Oder wie Hubacher ätzt «kommunikativ in der Steinzeit.»