Stadtbummel
Achterbahn der Gefühle

Judith Frei
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Es herrscht Herbststimmung in Solothurn. (Archivbild)

Es herrscht Herbststimmung in Solothurn. (Archivbild)

Hanspeter Bärtschi

Ab wo es genau neblig wird, kann ich nicht sagen. Aber wenn das RBS-Bähnli am Morgen in Solothurn hält, dann hängt über der Stadt ein grauer Vorhang. Nur schemenhaft erkennt man die Altstadt durch den Nebel, dass sie am Fuss des Juras liegt, sieht man nicht, das Grau versperrt die Sicht.

Im Verlauf des Morgens lichtet sich der Nebel, in der Ferne sieht man schon den Jura-Südhang, der in den grauen Wolken verschwindet. Wo hört die steile Wand auf? Was befindet sich auf dem Gipfel des Berges? Ich wäre nicht überrascht, wenn dort oben das brennende Auge von Mordor thront.

Der Wind pfeift durch das Baseltor an der St. Ursenkathedrale vorbei, die in diesem Licht plötzlich grau wirkt. Die Terrasse der Suteria ist verwaist. Die wenigen Leute in den Gassen gehen schnell, den Blick gesenkt, den Schal schützend um den Hals gewickelt, die Hände in den Jackentaschen. Bei der Kreuzackerbrücke zieht der Wind noch schneidender. Die Aare schimmert dunkel zwischen der Vorstadt und der Altstadt.

Noch vor einigen Wochen war dieser – mir jetzt so abstossend erscheinende – Fluss das einzige heilsbringende Mittel gegen die sengende Hitze. Jetzt will ich aber nur noch weg von ihm, meine Finger an einer Tasse wärmen und mich an die hellen Sommertage in der Barockstadt erinnern.
Die Mauer bei der Hafebar lädt nicht mehr zum Verweilen ein, die glitschigen Kastanienblätter kleben auf dem Trottoir. Nichts wie weg hier!

Gegen Mittag wird der graue Himmel immer weisser, durch Löcher in der Wolkendecke schimmert blauer Himmel. Das Kurhotel sitzt friedlich auf dem Weissenstein – Sauron wohnt doch nicht oberhalb von Solothurn. Der gerade noch bedrohlich wirkende Hang lädt zu einer Wanderung ein. Die Tasse wird wieder weggestellt, die Sonne lockt ins Freie.

Der soeben kalte und zugige Kreuzackerplatz ist jetzt voller Leben. Die Berufsschülerinnen und -schüler sitzen auf den Treppen vor ihrem Schulgebäude. Auf der Mauer neben der Aare sind die sonnigen Plätze begehrter als die unter den Kastanienbäumen. Das Laub knistert lustig beim Vorbeigehen.

Die St. Ursenkathedrale funkelt weiss über der Altstadt. Die Sonne spiegelt sich in der Aare, eine Ente sitzt faul auf dem Schwemmholz unter der Kreuzackerbrücke. Die Jacken der Spaziergänger sind offen, die Schals sind locker über die Schultern gelegt. Die ersten dekorativen Kürbisse leuchten orange, gelb und grün und in der Suteria wird der Kaffee auf der Terrasse getrunken.

In dieser goldglänzenden Herbststimmung hat man beinahe die morgendliche Kulisse vergessen. Doch eben nur beinahe. Dass die Tage gezählt sind, wo der Kaffee draussen getrunken wird und dabei die Jacke abgelegt werden kann, versetzt mich in eine nostalgische Stimmung. Wie schön war der Sommer auf dem Aaremüürli! Die kühlende Aare!

judith.frei@chmedia.ch