In der Klus zwischen Oensingen und Balsthal betreibt die Marti AG das einzige Tübbingwerk der Schweiz. Nachdem es die Tübbinge für den Autobahntunnel am Belchen geliefert hat, ist nun seit Mitte Oktober die Produktion für den Eppenbergtunnel der SBB angelaufen.
«Manche sagen unserer Umlaufanlage auch Karussell. Oder Geisterbahn», schmunzelt Oskar Gisler. Der auf Baustellen in aller Welt erfahrene Urner ist Produktionsleiter im Tübbingwerk der Marti AG in der Klus, an der Grenze von Oensingen und Balsthal. 35 Männer arbeiten hier.
Die Umlaufanlage ist tatsächlich so etwas wie ein Karussell für Bau- und Technikfreaks. Die grünen Schalungen – metallene Modellformen – werden auf fahrbaren Rahmen im Takt von Position zu Position geschoben.
Als Erstes kommt ein leeres, gebogenes Stahlgitter darauf, die Armierung oder Bewehrung. Dann wird unter stetem Rütteln und Vibrieren der flüssige Beton in die Schalung gefüllt. Faszinierend, dass in dieser komplexen Produktionsstrasse Handarbeit offenbar unersetzlich ist: Zwei Arbeiter streichen mit einem quer über die Schalung geführten Stab den Beton glatt, dann wird mit der flachen Maurerkelle (Taloche) Hand angelegt. «Das ist das Finishing», erklärt Gisler für die Laien – der Fachausdruck lautet Talochieren. Danach verschwinden die Schalungen mit den Tübbingen im Wärmekanal, der nun tatsächlich an eine Geisterbahn erinnert. In der Guetzlizeit könnte man auch sagen: Bei 40 bis 45 Grad Unter- und Oberhitze für 6 Stunden gut durchbacken.
Nach der «Backzeit» im Wärmekanal werden die Segmente gereinigt und aus der Schalung gehoben. Eindrücklich, wie sich jetzt der gelbe Vakuumgreifer an der glatten Beton-Oberfläche festsaugt und so die 11 Tonnen schweren Tübbinge einzig mit der Kraft des Vakuumdrucks hochhebt, senkrecht stellt, seitlich verschiebt und auf ein Lagergestell absetzt. «Da kommt aus, ob sie vorher sauber talochiert haben», lacht Gisler: Der Greifer muss auf eine glatte und saubere Beton-Oberfläche treffen, sonst würde das Beton-Segment krachend zu Boden stürzen. Als Zuschauer möchte man sich lieber nicht darunter stellen, auch wenn Gisler beruhigt: «Bis jetzt hat der Greifer noch immer gehalten.»
Ein Tübbing ist in der Fachsprache der Tunnelbauer ein vorgefertigtes Segment aus Stahlbeton für die Versteifung der Tunnelwand. Im Eppenbergtunnel bilden je sechs oder sieben Segmente einen Ring. Der Tübbingring sichert den von der Tunnelbohrmaschine ausgebrochenen Hohlraum und ermöglicht so die Arbeit in der Tunnelröhre. Im Eppenbergtunnel baut die Tunnelbohrmaschine 1278 Ringe mit total 8023 Tübbingen ein. Tübbinge werden zurzeit auch im Belchentunnel sowie im neuen SBB-Bözbergtunnel eingebaut. (cva)
Noch wären die Tübbinge jetzt zu weich für den sofortigen Einbau im Tunnel. Um die vorgeschriebene Festigkeit zu erreichen, müssen sie noch mindestens 28 Tage lang im Lager aushärten, bis sie bei Bedarf an die Baustelle geliefert werden können. Auf dem Areal in der Klus verfügt das Marti-Tübbingwerk über eine Lagerkapazität von rund 1100 Ringen, das wären rund 7000 Tübbinge und würde für 2,2 Kilometer Tunnel reichen.
Die Anlage der Bauunternehmung Marti AG ist das einzige Tübbingwerk in der Schweiz, wie Projektleiter Paul Freudiger erklärt. Bis vor kurzem wurden hier die Tübbinge für die 3. Röhre des Belchentunnels der A 2 produziert: In grossen Mengen lagern sie zurzeit noch in der Klus und werden kontinuierlich per Lastwagen zur Baustelle oberhalb von Hägendorf geführt.
Doch Mitte Oktober ist nun die Produktion für den neuen Bahntunnel durch den Eppenberg angelaufen.
Die Tübbinge für Belchen- und Eppenbergtunnel unterscheiden sich, denn sie sind genau auf die jeweilige Tunnelbohrmaschine abgestimmt. Auch für den Eppenbergtunnel braucht es zwei verschiedene Typen: In den 1846 Meter Fels sogenannte Spreiztübbinge – laut Paul Freudiger eine spezielle Schweizer Eigenentwicklung –, von denen die Tunnelbohrmaschine pro Tag acht 2 Meter breite Ringe verbauen kann und damit 16 Meter Tunnel bewältigt.
Vor dem Durchstich beim Portal Gretzenbach warten dann 710 Meter Lockergestein: Dort braucht es sogenannte Nasstübbinge, die zusätzlich verschraubt und gedichtet werden. Davon schafft die Tunnelbohrmaschine pro Tag lediglich sechs Ringe, also 12 Meter Tunnel. Das Tübbingwerk produziert noch bis Mitte April 2017 Spreiztübbinge, von Ende April bis Ende August 2017 folgen dann die Nasstübbinge für den Eppenbergtunnel.
Die ersten Tübbinge werden am 12. Dezember von der OeBB nach Oensingen und dann von den SBB zur Tunnelbaustelle transportiert. Am 9. Januar nimmt die Tunnelbohrmaschine den Betrieb auf, und ab der letzten Januarwoche finden von Montag bis Donnerstag jede Nacht (zwischen 22 und 5 Uhr) Tübbingtransporte in die Wöschnau statt.