Seit Mai ist Gretzenbach Standort eines kantonalen Durchgangszentrums. Dennoch sucht der Gemeinderat wieder geeigneten Wohnraum. Grund: Schon im April 2017 läuft der Vertrag für das Zentrum, das noch gar nicht bezogen ist, aus.
Da herrscht im Dorf monatelang Aufregung um das Thema. Anfang Februar vermietet der Gemeinderat mit einem 5:2-Entscheid die gemeindeeigene Zivilschutzanlage im Täli für ein Jahr als Unterkunft für 100 Asylbewerber an den Kanton. Ob das gut herauskommt? Ängste stehen im Raum, die Gegner mobilisieren, der Gemeinderat muss sich den Vorwurf anhören, das Volk nicht gefragt zu haben.
Zwei Gemeinderäte schicken eine Beschwerde gegen den Beschluss des eigenen Gremiums nach Solothurn, ziehen sie aber noch vor dem Regierungsratsentscheid zurück. 31 Einwohner drängen Anfang März zur Behandlung eines Wiedererwägungsantrags von SVP-Gemeinderat Werner Ramel als Zuhörer ins Gemeinderatszimmer, 350 Gretzenbacherinnen und Gretzenbacher füllen Ende April die Turnhalle zur Informationsveranstaltung. «Meine bisher schwierigste Zeit als Gemeindepräsident», zieht Daniel Cartier Ende Juni Zwischenbilanz.
Und dann das: Der Mietvertrag läuft seit 1. Mai, doch bis gestern, am 22. September, ist noch kein Asylbewerber ins «Täli» eingezogen. Nun werden die ersten erwartet: «Die Alarmanlagen wurden noch aufgeschaltet», teilt David Kummer vom Amt für soziale Sicherheit (ASO) mit, «in den nächsten Tagen werden die ersten Bewohner eintreffen.» Pro Woche werden dem Kanton Solothurn laut Kummer derzeit 12 bis 15 neue Gesuchsteller zugewiesen. Doch bald sind die ersten fünf Monate der einjährigen Mietdauer verstrichen, Ende April 2017 endet der Vertrag. Bis dahin steht die Anlage in Gretzenbach dem Kanton gerade noch sieben Monate als Durchgangszentrum zur Verfügung.
Mietertrag hatte die Gemeinde bisher keinen, es wurde vereinbart, dass der Zins nur für die Zeit der tatsächlichen Belegung geschuldet ist. «Unser Ziel sind aber auch nicht Mieteinnahmen», erklärt Gemeindepräsident Daniel Cartier auf Anfrage, «sondern ein wesentlicher Beitrag an die Reduktion unseres Rückstands auf das Aufnahmesoll an Asylbewerbern.»
Die Vermietung der Zivilschutzanlage Täli hat den Rückstand Gretzenbachs auf sein Aufnahmesoll dieses Jahr erheblich reduziert. Aber: «Prognostiziert wird, dass Gretzenbach Ende 2016 noch immer 16 Asylbewerber aufnehmen muss», heisst es im neusten Gemeinderatsbericht. «Dieser Rückstand resultiert aus den vergangenen Jahren, da die Gemeinde Gretzenbach mangels Wohnungen ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.»
Diesbezüglich geht die Rechnung für Gretzenbach auf: Für die ganze Vertragszeit vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2017 werden der Gemeinde unabhängig von der effektiven Belegung der Anlage 50 Asylbewerber angerechnet, davon 34 für das Jahr 2016 und 16 für das Jahr 2017. Ein attraktiver Deal: Die Aufnahmepflicht erfüllen, ohne dass die Gemeinde für die Unterbringung sorgen muss – und bisher sogar ohne die Anwesenheit von Asylbewerbern.
Dennoch hat sich der Gemeinderat an seiner letzten Sitzung erneut mit der Suche nach Unterkünften für Asylsuchende befasst. Grund ist, dass Gretzenbach nach wie vor einen Rückstand auf seine Aufnahmepflicht aufweist (siehe schmale Spalte). Als er sich im Februar für das Durchgangszentrum entschied, hatte der Gemeinderat veranlasst, dass die Sozialregion Unteres Niederamt (SRUN) keine weiteren Asylbewerber in Gretzenbach zuweisen dürfe. Entsprechend habe die SRUN denn auch einzelne Angebote von Wohnungen für Asylbewerber in Gretzenbach ausgeschlagen, ist von Daniel Cartier zu erfahren.
Doch jetzt sieht der Gemeinderat der Tatsache ins Auge, dass sich der Rückstand auf das Aufnahmesoll mit einer Schliessung der Zivilschutzanlage Ende April rasch verschärfen könnte. Einstimmig hat er darum beschlossen, «dass die SRUN künftig wieder geeignete Wohnungen oder Liegenschaften mieten und für Asylbewerber freigeben darf», ist dem Gemeinderatsbericht zu entnehmen. Im Moment seien ihm aber keine konkreten Wohnungsangebote bekannt, so Cartier.
So oder so muss der Gemeinderat entscheiden, ob die Vermietung der Zivilschutzanlage über Ende April hinaus verlängert werden soll. Ursprünglich sollte über diese Frage im November mit dem Kanton verhandelt werden, nach dem ersten halben Jahr Erfahrung mit dem Betrieb des Zentrums.
Nur: «Bis jetzt haben wir ja überhaupt keine Erfahrung und wissen nicht, ob es mit dem Zentrum Probleme gibt oder nicht», sagt Gemeindepräsident Cartier. Vonseiten des ASO zeigt David Kummer Verständnis für einen späteren Entscheid: «Im Dezember oder Januar sollte es möglich sein, den Zentrumsbetrieb zu beurteilen.»
Ob der Kanton die Zivilschutzanlage in Gretzenbach überhaupt noch länger braucht, lässt Kummer offen: «Das ist abhängig vom Bedarf.» Der Kanton sei auf jeden Fall interessiert, die Anlage als Reservemöglichkeit zu belassen. Dies wäre für die Gemeinde nicht unattraktiv, wie Cartier erwähnt: Selbst bei ausbleibender Belegung werden der Gemeinde in diesem Fall 10 Prozent der Kapazität, also 10 Plätze, an ihr Aufnahmesoll angerechnet.
Die SVP Gretzenbach wiederum will einer möglichen Verlängerung des Mietvertrags nicht passiv zuschauen: In einem Inserat im «Anzeiger» ruft sie mit einem Mini-Fragebogen jedermann zu Meinungsäusserungen auf – «da der Gemeinderat sicher keine Abstimmung machen wird». Die Lust an der Provokation hat die SVP nicht verloren, bezeichnet sie doch in dem Inserat die Asylbewerber als «Sozialmigranten» und die unterirdische Zivilschutzanlage als «Ferienunterkunft». Weitere Aufregung im Dorf ist also garantiert, unabhängig von der Anwesenheit leibhaftiger Asylbewerber.
Gemeindepräsident Cartier seinerseits unterstreicht, dass der Gemeinderat wie versprochen vor einer Mietverlängerung die Bevölkerung orientieren werde.