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Der Forstbetrieb Niederamt kämpft gegen Trockenheit und Borkenkäfer. Die Revierförster künden eine Katastrophe von unbekanntem Ausmass an. Besonders die Fichten leiden.
«Ich arbeite seit 22 Jahren im Wald. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.» Markus Lüdi zeigt auf seinem iPhone ein Foto, dass er im Frühling dieses Jahres aufgenommen hat. Er steht einige Meter vom Waldweg entfernt auf zerbrochenem Geäst, Rindestücken und Laub. «Genau so sah es vorher aus, von hier habe ich das Foto geschossen», sagt der Revierförster des Forstbetriebs Niederamt.
Beim Besuch der Lichtung am vergangenen Mittwoch erinnern lediglich die entasteten, entrindeten und wertlos herumliegenden Baumstämme an das ehemalige Waldstück. Lüdi: «Wenn ich diese gerodeten Flächen sehe, denke ich im ersten Moment: ‹Heimatland, wo führt das noch hin?›»
Das Gebiet Karbacher in Erlinsbach SO steht symbolisch für unzählige nun brach liegende Flecken in den Niederämter Wäldern. Im Juli informierten die Revierförster Markus Lüdi und Daniel Kleger vom Forstbetrieb Niederamt über den Zustand des Waldes. Ihr Fazit: Nach dem Wintersturm Burglind, den Nachfolgestürmen und den beiden sehr trockenen Sommer leidet der Wald enorm. Seit Juni 2019 sind die Bäume ausserdem von Borkenkäfern befallen.
Im August mussten die Förster mit dem Fällen der betroffenen Bäume anfangen. Lüdi erklärt: «Uns bleibt nur die Symptombekämpfung, wir müssen die gestochenen Bäume aus dem Wald entfernen.» 50 bis 60 Prozent der Fichtenbestände müssen sie aufgrund des Borkenkäferbefalls abholzen. «Das macht weh», sagt Lüdi.
Durch das Abholzen gehe einerseits die Arbeitsgrundlage des Forstbetriebs verloren. «Und wir erleiden einen grossen finanziellen Schaden. Damit verdienen wir nichts mehr», sagt Lüdi und deutet auf mehrere Meter hohen Stapel von Baumstämmen. Ganz Mitteleuropa kämpft mit denselben Schwierigkeiten. Der Markt ist entsprechend gesättigt. «Die Lager der Sägewerke sind übervoll», erklärte Lüdi im Juli gegenüber dieser Zeitung.
Mittlerweile exportiert der Forstbetrieb Niederamt das Schadholz sogar nach China. Denn auch mit dem Verkauf des in grossen Mengen anfallenden Holzes könnte der Forstbetrieb die aufwendige Aufforstung des Waldes nicht finanzieren. «Der Käfer hat Hunderttausende von Franken weggefressen», sagt Revierförster Daniel Kleger.
«Die Fichte war unser Brotbaum. Auch die weiterverarbeitende Industrie ist auf die Fichte ausgelegt», sagt Kleger. Die Vorfahren hätten vor 50 oder gar 100 Jahren «nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und auf die Fichte gesetzt». Diese Baumart ist nun aber stark bedroht.
Die Trockenheit setzt den Fichten besonders zu. Denn: Sie sind Flachwurzler. Die Wurzeln breiten sich tellerförmig an der Erdoberfläche aus und erreichen somit tiefere Wasserreserven nicht. Dies setzt einen Teufelskreislauf in Gang: «Durch den Wassermangel können die Bäume nicht genügend Harz produzieren, um die Schädlinge abzuwehren», erklärt Kleger. Die Borkenkäfer – die Buchdrucker haben es auf die Fichte abgesehen – würden sich ausserdem die schwächsten Bäume als Wirt suchen. Kleger stellt klar: «Geht es so weiter, haben wir bald keine Fichten mehr.»
Er habe schon mal in seiner Karriere ein Baumsterben miterlebt. Das war 1982. «Ich habe immer gesagt: Der Wald wird in irgendeiner Form überleben. Aber er wird nicht mehr so sein, wie er heute ist», sagt Kleger, der seit 33 Jahren für die Niederämter Wälder sorgt. Die Natur werde sich bis zum Schluss wehren, auch wenn einige Arten aussterben. «Vielleicht haben wir dann halt Wälder mit Wärme liebenden Baumarten.» Wie etwa Palmen.
Jede Woche machen Lüdi und Kleger Kontrollgänge durch die Wälder. Dabei sehen sie, wie das Ausmass der Schadholzflächen zunimmt. «Das geht alle etwas an. Denn es ist ein Symptom des Klimawandels», sagt Kleger. Darum nehmen die Revierförster nun den Kanton und den Bund in die Pflicht. Lüdi sagt: «Wir können nicht mehr länger nur die Faust im Sack machen.»
Konkret fordern sie eine finanzielle Unterstützung, wie sie in einigen Kantonen seit vergangenem Jahr bereits üblich ist. Zwölf Franken pro Kubikmeter Holz, das von den Förstern aus dem Wald geschafft wird. Das wäre zwar nicht kostendeckend, «aber eine Soforthilfe für den Abtransport aus dem Wald» – die insbesondere für die Wiederaufforstung der gerodeten Gebiete dringend nötig sei. Ein Baum sei in zwei Minuten gefällt, davor müsse er aber 50 bis 100 Jahre lang wachsen.
Kleger: «Die CO2-Abgabe muss mindestens zu einem Teil in den Wald fliessen. Schliesslich wir stellen das Produkt her, das CO2 bindet.» Bisher seien sie jedoch vertröstet worden – obwohl sie schon nach dem Sturmtief Burglind im Januar 2018 den Kanton «vor einer mittleren Katastrophe gewarnt» hätten.
Rolf Manser leitet das kantonale Amt für Wald, Jagd und Fischerei. Er sagt, der Solothurner Wald leide unter den Folgen von Sturmschäden und Trockenheit, in einem bis heute unbekannten Ausmass. «Der Klimawandel ist im Kanton mit voller Wucht angekommen.»
Darum sei Anfang 2019 ein Sonderstab Wald eingesetzt worden. Dieser spreche Empfehlungen aus und koordiniere Massnahmen. Derzeit sei zudem ein Regierungsratsbeschluss in Vorbereitung: «Der Regierungsrat ordnet damit Massnahmen gegen die Ursachen und Folgen von Schäden an, die die Erhaltung des Waldes gefährden könnten», so Manser. Damit soll den betroffenen Waldeigentümern unter die Arme gegriffen werden.