Der Dichter und Autor Wilhelm Kufferath von Kendenich aus Trimbach berichtete in Erlinsbach SO von einer besonderen Zusammenkunft.
Die Stühle reichten nicht aus. Galeristin Beatrice Wittwer liess aus dem Keller noch weitere herbeischaffen, so zahlreich strömte das Publikum gestern Sonntagmorgen in die Galerie am Bach in Erlinsbach SO. Zur Finissage der Ausstellung von Nadette Bamert Kissling und Doris Walser lud Wittwer einen alten Freund für eine Lesung ein: Wilhelm Kufferath von Kendenich. Man sieht dem hageren, hellwachen Trimbacher seine 86 Lebensjahre nicht an. Jugendlich frisch blickten seine hellblauen Augen von einem Notenständer aus, wo er sein Manuskript ausbreitete, in den bilderbehangenen Raum. Viele besondere Episoden hat Kufferath in seinem Beruf als Papiertechnologe und Manager, als Universitätsdozent und als Künstler erlebt. Für diese Matinee hat er «noch so eine verrückte Geschichte aus meinem Leben» angekündigt.
Auch Madeleine Schüpfer ist zum Auftritt ihres langjährigen Freundes gekommen. Kufferath sei «ein einmaliger Mensch», sagt die ehemalige Oltner Stadträtin und Kulturjournalistin voller Begeisterung. Kufferath habe eine «sehr hohe Sensibilität für das Wort.» Ihr und Beatrice Wittwer fühlt sich der Schriftsteller auch sehr verbunden, wie er zu Beginn seiner Lesung dem Publikum mitteilte. In einer schweren Lebenskrise hatten die beiden Damen ihm den Weg zur Kunst gewiesen, den er seither beschreite. Kufferath hat sich mittlerweile als Dichter und bildender Künstler einen Namen in der Region und darüber hinaus geschaffen.
Gespannt folgte das Publikum seinen Erinnerungen an eine Fachtagung, die vor etwa fünfzig Jahren in Paris stattfand. Kufferath, der von sich wegen seiner zahlreichen Berufe sagt, «mehrere Leben» gehabt zu haben, reiste als Kader-Vertreter einer Firma für Filtrationsgewebe an die Verbandszusammenkunft. Noch gut erinnere er sich an den Präsidenten, der als korpulenter «Grandseigneur» mit seiner zierlichen Sekretärin erschien. Ob sich die beiden «das Nachtlager teilten», wurde an der Tagung als «wahrscheinlich-eventuell-gegebenenfalls» kommentiert. Dass der schwergewichtige Präsident wegen der schmalen Betten auf der grazilen Blondine zu liegen kommen könnte, war für Kufferath ein unerträglicher Gedanke, den er aber für sich behielt. «Meine Zwangserdrückungs-Vorstellungen blieben bis zum heutigen Tage geheim», bekannte er vor der sichtlich amüsierten Zuhörerschaft.
Nachdenklich stimmte den feinfühligen Beobachter des Unscheinbaren die Begegnung mit einer Prostituierten. Die junge Frau im kurzen Rock versuchte an einer Ampel erfolglos, seinen Begleiter zu einem Zimmerbesuch zu überreden. Aus Mitleid, dass sie dieser bitteren Tätigkeit nachgehen müsse, wollte Kufferath ihr einen Schein geben. Doch darauf reagierte die Dirne empört: «Ich bin doch keine ‹mendiante›, keine Bettlerin!» habe sie ausgerufen und ihm den Hundert-Franc-Schein vor die Füsse geworfen. Sein «Pardon, je m’excuse» habe die Dirne im Weggehen mit einer Handbewegung und einem «Okay déja» quittiert. Rückblickend stellte er fest, dass er unbewusst die junge Frau in ihrer Würde verletzt habe, obschon er ihr eigentlich etwas Gutes tun wollte. An Geschichten wie dieser zeigte Kufferath, wie wichtig ihm die Mitmenschen sind, auch besonders diejenigen, die nicht im Scheinwerferlicht der Gesellschaft stehen. Seine hohe Achtung vor dem Wort wird offenkundig, wenn man beim freien Erzählen zuhört. Ein glänzender Unterhalter, der sich daneben die grossen Lebensfragen stellt.