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Solothurn
Lebern-Bucheggberg-Wasseramt
War es Vergewaltigung oder nur eine Anzeige aus Rache? Ein Fall, der auch die Staatsanwaltschaft herausforderte. Doch am Schluss war die Sachlage klar. Der Mann wurde trotzdem wegen Verletzung des Einreiseverbots ausgeschaft.
Exakt 216 Tage sass Janko S.* unschuldig im Gefängnis. Nun wurde der 22-jährige Serbe, der in Deutschland aufgewachsen war, durch das Amtsgericht Solothurn-Lebern vom Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung freigesprochen. Angezeigt hatte ihn seine Frau, eine Schweizerin mit serbischen Wurzeln. Insgesamt 18-mal sei sie im Juli und August 2016 zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden. Ihr Mann habe jeweils ein Messer aus der Küche geholt und gedroht, er werde ihr und ihrer Familie etwas antun, falls sie nicht mit ihm schlafe. Dann habe er das Messer demonstrativ neben das Bett gelegt.
Kennen gelernt hatten sich die beiden im März 2016 über Facebook. Im Mai trafen sie sich zum ersten Mal persönlich, und nur zwei Monate später heirateten sie in Serbien. In der Befragung des vermeintlichen Opfers wurde deutlich, dass Krankheiten und Schicksalsschläge das schwierige Leben der jungen Frau geprägt hatten. Seit einiger Zeit ist sie in psychologischer Behandlung.
Zwei Wochen nach der Hochzeit, als sich das Paar auf der Einwohnerkontrolle in Grenchen anmelden wollte, kam aus, dass Janko S. als Jugendlicher in München straffällig geworden war und dass Deutschland gegen ihn ein Einreiseverbot in den Schengenraum verfügt hatte.
Einen Monat später stellte Ivanka F.* fest, dass sie schwanger war. Am Tag darauf kam aus, dass Janko S. auch noch mit anderen Frauen Kontakt pflegte. Ihre Eltern wollten den Schwiegersohn zur Rede stellen. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten. Danach wurde er als Vergewaltiger angezeigt.
«Wir haben es mit einem typischen Vieraugendelikt zu tun, objektive Beweise existieren nicht», sagte Staatsanwältin Claudia Scartazzini in ihrem Plädoyer. Die Aussagen des Opfers seien glaubwürdig. «Im Kulturkreis, in dem Janko S. aufgewachsen ist, halten es die Männer für eine Pflicht der Ehefrau und sie fordern den Sex ein», beschrieb sie das Motiv für die Vergewaltigung praktisch im Stil einer rechtspopulistischen Politikerin.
Als Verteidiger fasste Rechtsanwalt Reto Gasser die vielen Widersprüche zusammen, in die sich das vermeintliche Opfer verstrickt hatte: «Sie hat die Ärzte nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden und so ein medizinisches Attest verhindert. Das erste Handy meines Mandanten hatte sie den Eltern gegeben, und es kam auch heute wieder wie aus der Pistole geschossen, dass eine Auswertung der Handydaten nicht infrage kommt. Vermutlich wären entlastende Beweise im Handy gespeichert», argumentierte der Anwalt.
Das Gericht war derselben Meinung. «Im Chat schreibt sie über viele Seiten ihren Freundinnen, wie sie hintergangen und betrogen wurde. Das klingt wie Hass, ein Motiv der Rache wird ersichtlich. Und sie bestätigt damit, ohne es zu wissen, alle Aussagen, die der Beschuldigte bei der Vernehmung durch die Polizei machte.» Zudem sei es die Mutter gewesen, die nach dem Streit das Wort Vergewaltigung erstmals äusserte. «Dies war die Geburtsstunde des Verdachtes», meinte das Gericht. «Wir haben mit aussergewöhnlicher Klarheit ein stimmiges Bild einer Falschbezichtigung aus Rache wegen Fremdgehens erhalten», sagte Amtsgerichtspräsident Rolf von Felten. Er rügte die Untersuchungsbehörden in seltener Deutlichkeit: «Es liegen 600 Seiten mit erfassten Konversationen vor. Den wesentlichen Aussagen ist die Staatsanwaltschaft aber nicht nachgegangen.»
Janko S. wird nun nach Serbien ausgeschafft. Für den Verstoss gegen das Einreiseverbot wurde er zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Pro Tag in Untersuchungs- und Sicherheitshaft bekommt er 100 Franken Genugtuung. Davon werden die 90 Tagessätze Geldstrafe abgezogen, und so erhält Janko S. nach sieben Monaten unschuldig im Gefängnis eine Entschädigung von 12 600 Franken.
Auf die Frage, warum der junge Mann 216 Tage unschuldig im Gefängnis verbringen musste, sagte Staatsanwältin Claudia Scartazzini nach dem Prozess: «Die Staatsanwaltschaft klagt im Zweifel an, das Gericht spricht im Zweifel frei. Das Problem in diesem Fall war, dass der Beschuldigte illegal in der Schweiz verweilte und er sich wahrscheinlich dem Prozess entzogen hätte. Hätte keine Fluchtgefahr bestanden, wäre er viel früher aus der Sicherheitshaft entlassen worden.»
Reto Gasser kündigte an, dass er seinem Mandanten eine Strafanzeige empfehlen wird, falls die Staatsanwaltschaft nicht von Amtes wegen Anklage gegen das vermeintliche Opfer und dessen Mutter wegen falscher Anschuldigung erheben will.
Namen von der Redaktion geändert.