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Die 39-jährige Nicole Stuber lebt als Partnerin und Mutter auf dem Zieglerhof in Brunnenthal. Als sie auf den Hof zog, hatte sie Angst vor den Erwartungen. Die war unbegründet. Auf dem Hof ist man offen für alle Formen.
Brunnenthal zählt 200 Seelen. Nicole Stuber (39) ist eine von ihnen. 2013 ist sie der Liebe wegen zugezogen. Sie und ihre Familie wohnen im ausgebauten Dachstock eines ehemaligen Pferdestalls mit Baujahr 1956.
Hier, an der Aspistrasse 4, leben vier Generationen. Der Betrieb mit 15 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, davon 2 ha Obstbau und 0,5 ha für Weihnachtsbäume, gehört ihrem Partner Andre Ziegler. Er ist Landwirt und hat 2009, als 23-Jähriger, den Hof seines Vaters übernommen. Inklusive den Ställen für die sechs eigenen und die zehn Pensionspferde.
Seine Eltern und seine Schwester wohnen gleich nebenan, seine 94-jährige Grossmutter Frieda Ziegler lebt im Erdgeschoss. Stuber weiss aus Erfahrung:
Wo Generationen aufeinandertreffen, treffen Welten aufeinander.
Stuber hat Glück. Sie ist in einen Familienkontext gekommen, der von Offenheit und Verständnis geprägt ist. Was nicht selbstverständlich ist. So war denn Stubers Angst anfänglich gross. Angst vor Erwartungen, die das familiäre Umfeld an sie stellen könnte, Angst vor dem Leben auf dem Land. Die Sorgen haben sich aber rasch in Luft aufgelöst. Die Familie ihres Partners war offen für ihre individuellen Vorstellungen und akzeptierte ihre Entscheidung, auswärts zu arbeiten.
Die Serie «Frauen in der Landwirtschaft» rückt die unterschiedlichsten Bäuerinnen in den Fokus. Frauen übernehmen seit je eine bedeutende Rolle im bäuerlichen Familienbetrieb. Im Kontext des landwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels verändern sich nicht nur das Rollenverständnis, sondern auch die Aufgaben und Funktionen. Das konventionelle Modell der landwirtschaftlichen Betriebsführung nimmt neue Formen an. (vs)
«Ich bin keine Bäuerin», das hat Stuber gleich von Anfang an klar gestellt. Das sei nicht ihre Berufung. Stuber, aufgewachsen in Tscheppach, arbeitet als Schulsozialpädagogin im Bachtelen in Grenchen, in einem Pensum von 35 Prozent. Sie ist froh, hilft neben Andres Schwester auch seine Mutter Monika auf dem Hof mit.
Sie war es auch, die die Grundsteine des heutigen Betriebs gelegt hat. Als junge Kunstschulabsolventin aus Zürich hat die Ehefrau von Alt-Landwirt Ruedi Ziegler in den 90er-Jahren die Obstkultur angelegt. «Damals hat man sie im Dorf ein wenig belächelt. Heute leben wir von der Obstkultur.»
Mit der Grossmutter steht Stuber in engem Austausch. «Frieda hat geheiratet und musste von da an mithelfen, sie hatte gar keine Wahl», weiss sie. Das war kurz nach dem Krieg, als man auch bei Zieglers Pferde eingezogen habe für das Militär. Lebensmodelle wie das von Stuber – damals undenkbar. So habe sie viel erfahren über das Leben in der Landwirtschaft.
Auch darüber hinaus kann sie sagen: Bei Zieglers redet man offen und es wird diskutiert. Über gesellschaftliche und familiäre Erwartungen. Über die heutigen Rollen auf dem Hof. Und manchmal witzeln sie, ob der Zieglerhof vielleicht mal Stuberhof heissen wird. Denn Emilia (6) und Mattia (4), die jüngste Generation auf dem Hof, heissen Stuber, wie ihre Mutter. «Vielleicht will gar keines der Kinder den Hof übernehmen.» Auch das ist eine Option.
Heiraten? Das wollten Nicole Stuber und Andre Ziegler nicht. «Wenn wir heiraten würden, müssten wir Vieles vertraglich regeln.» Denn im Fall einer Scheidung könnte es Andre seine Existenz kosten, sein Vermögen und seine Altersvorsorge stecken im Betrieb. «Geld spaltet Familien», weiss sie.
Deshalb musste auch im Konkubinat Einiges festgehalten werden, wie zum Beispiel die finanziellen Gegebenheiten oder das gemeinsame Sorgerecht für die Kinder bei einer Trennung. Über Rechtliches hatte sich Stuber in einem Kurs am Wallierhof informiert. Heute gibt sie dort selber ihre Erfahrungen mit ihrem Rollenmodell in Gesprächen und Vorträgen weiter.
Vor allem regt sie zum Dialog innerhalb der Familien an. «Über Konflikte wird oft geschwiegen, weil es im Moment einfacher erscheint. Aber das ist Gift.» Auf einen heiklen Punkt muss sie immer wieder aufmerksam machen: «Eine gut ausgebildete junge Frau, die auf einen Betrieb kommt, will oft nicht einfach alles übernehmen, wie es bisher war.»
Ebenfalls sei es wichtig, dass junge Menschen an die Pensionskasse denken. «Im landwirtschaftlichen Bereich sind es immer noch oft die Frauen, welche ihr Arbeitspensum und somit auch ihr Einkommen reduzieren, um dem Partner mit der Arbeit im Haus und der Familie den Rücken freizuhalten. Häufig heisst das jedoch, dass sie mit dem verminderten Einkommen, die Eintrittsschwelle der Pensionskasse nicht erreichen und somit nicht mehr obligatorisch in der zweiten Säule versichert sind.» Dies führe zu Lücken im Pensionsalter.
Ihre Vision: «Wir wollen unseren Kindern vorleben, dass beide Geschlechter gleichgestellt sind. Und dass die Kinder in ihrem Leben nichts müssen, was sie nicht wollen.» So koche und wasche Andre, wenn sie tagsüber weg sei. «Für ihn ist das selbstverständlich.» Mancherorts sei das noch ein Tabu.
Stubers Leidenschaft ist ihre Familie. Sie ist dankbar dafür, dass sie in einem Job sein kann, in dem sie sich entfalten kann. Mit der Hilfe ihres Partners hat sie sich einen Garten angelegt, der Gemüse für den Eigenbedarf liefert. Sie freut sich, dass ihre Kinder einen guten Umgang mit der Natur und den Tieren lernen.
Neben den Familienmitgliedern seien oft Pensionäre oder Lernende auf dem Hof. «Dies ist bereichernd. Es ist immer jemand da, der hilft, ein Auge auf die Kinder zu haben.» Gleichzeitig sei Privatsphäre eine Seltenheit. Deshalb setzt sie sich für regelmässige Familienwochenenden ein, in denen sie auftanken können. Mal mit Kindern, mal ohne.
«In einer Ehe reicht die Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die mitarbeitende Partnerin als absolutes Minimum, weil das Erwirtschaftete im Trennungsfall – ausser bei der Gütertrennung – geteilt wird», so Sandra Contzen von der Berner Fachhochschule, die zum Thema «Frauen in der Landwirtschaft» forscht. Anders im Konkubinat: «In diesen Fällen sollte die Partner/in nicht nur sozialversichert, sondern auch entlöhnt werden, im besten Fall auch dann, wenn sie oder er ‹nur› für die Familienarbeit zuständig ist.» Dazu sollte ein Arbeitsvertrag oder eine Entschädigungsvereinbarung erstellt werden. Ohne Entlöhnung und ohne Vertrag würde die Partner*in im Trennungsfall leer ausgehen, ergänzt Contzen.
Eine Entschädigungsvereinbarung kann separat oder als Teil eines Konkubinatsvertrags erstellt werden. Damit hält ein unverheiratetes Paar seine Abmachungen betreffend Wohnen, gemeinsame Anschaffungen, Beistandspflicht oder Auflösung des Konkubinats verbindlich fest. Ergänzend für den Todesfall sind ein Testament oder ein Erbvertrag.
Die soziale, gesellschaftliche und rechtliche Situation der Frauen in der Landwirtschaft wird aktuell vermehrt diskutiert. 2011 fand die erste Tagung zum Thema in Bern statt, mit 150 Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft und Praxis. Am 14. November 2012 reichte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates WAK-SR die Motion «Frauen in der Landwirtschaft» ein und beauftragte den Bundesrat, für die ökonomische, soziale und rechtliche Absicherung der in der Landwirtschaft tätigen Frauen zu sorgen. Mit der Zusatzerhebung der landwirtschaftlichen Betriebszählung von 2013 kam der Bundesrat der Forderung nach und schuf damit Grundlagen für politische Massnahmen, die unter anderem in der bevorstehenden Reform Agrarpolitik22+ Eingang finden sollen.
Damit will man die in der Bundesverfassung verankerte Gleichstellung von Mann und Frau auch in der Landwirtschaft sicherstellen. So sollen die Direktzahlungen beispielsweise zukünftig an die Auflage gebunden werden, die Sozialversicherungsbeiträge der auf dem Hof mitarbeitenden Partnerin einzuzahlen. Eine Massnahme, um wenigstens die soziale Absicherung der mitarbeitenden Personen zu garantieren.
Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband SBLV, der sich seit 1932 aktiv für die Frauen und Familien, die im ländlichen Raum wohnen, einsetzt, stützt diese Forderung. «Die Hauptaufgabe des Verbandes ist es, die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse seiner rund 58000 Mitglieder zu vertreten und zu stärken», so Präsidentin Anne Challandes, und weiter: «Der SBLV wird alles unternehmen, um die Ziele zu erreichen, die zur Verbesserung der sozialen Absicherung und der Situation der Partner*in auf den landwirtschaftlichen Betrieben festgelegt wurden.» (vs)