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Nach 14 Jahren Vorgeschichte wurden gestern die neue Werkstrasse und das «Naturnahe Aareufer Flumenthal» feierlich eröffnet.
Trüber Tag, aber strahlende Gesichter. Nass vom Himmel, Wasser und Kies überall. Sogar auf den Tischen im Festzelt liegt Kies. Als Dekoration in Eierschachteln gefüllt. Im Grau drin stecken bunte, gebastelte Papierblumen von Flumenthaler Schulkindern.
«Es ist ein Freudentag für uns», sagte Martin Gutknecht von der Vigier Beton Mittelland AG an der Eröffnungsfeier der neuen Werkstrasse und des «Naturnahen Aareufers Flumenthal». Erich Wälti, ebenfalls von der Vigier Beton AG, freute sich vor den mehr als 200 Anwesenden: «Wir sind stolz auf das Vorzeigeprojekt.»
Nach 14 Jahren Vorgeschichte, davon 3 Jahre Bauzeit, steht die Strasse für den Abtransport aus der Kiesgrube unter Umfahrung des Siedlungsgebiets. Nach Widerständen und Skepsis. Mit Koppelung des Strassenbaus an eine Renaturierung des Aareufers wurde sie möglich.
Das Motto der Eröffnungsfeier am Samstag lautete: «Naturnahes Aareufer Flumenthal – Wirtschaft und Umwelt gehen Hand in Hand». Der Flumenthaler Gemeindepräsident Christoph Heiniger sprach von einem «aussergewöhnlichen Tag», einem «schon fast historischen Anlass». Das Projekt habe Optimierungen erfahren, auch durch die Mitwirkung der Bevölkerung.
«Es war lange Thema Nummer 1 im Dorf.» Man habe die Mitwirkenden als «Fantasten» bezeichnet. Zwischen der Dorfbevölkerung und der Vigier AG bestehe nun gegenseitiges Vertrauen. «Vor uns liegt eine durchweg erfreuliche Sache.»
Landammann Roland Fürst lobte die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure. Die «Quadratur des Kreises» sei gelungen, wofür es aber «mehr als bloss Zirkel und Lineal» benötigte. «Es geht nicht, dass einer allein befiehlt», so Fürst. «Hand in Hand» heisse auch, dass private und öffentliche Interessen zusammenkommen.
«Mit bloss einer Hand kann man keine Schuhe binden. Doch: Wer sich die Hände reicht, kann Brücken bauen.» Er strich hervor, dass der Kanton Solothurn gesicherte Rohstoffe wie den Kies brauche.
Gutknecht stellte fest: «Ohne Demokratie läuft in der Schweiz nichts.» Er pries den gegenseitigen Respekt. Verglich das Verhältnis zur Gemeinde mit einer Ehe, wo auch mal «die Fetzen geflogen» sind. Es sei nun aber eine gute Ehe.
«Wir sind uns bewusst, dass unser Gewerbe oft Eingriff in die Natur bedeutet, deswegen braucht es von uns besondere Sensibilität.» Sie hätten mehr Mittel in die Hand genommen als sonst üblich für eine Kieswerk-Erschliessung. Er gab den Anwesenden die Möglichkeit, einen Namen für die Strasse vorzuschlagen.
Heiner Keller von der ANL, AG Natur und Landschaft in Aarau, der das Projekt von Anfang an begleitete, gab auf humorvolle Art Einblick in die Entstehungsgeschichte. Marco Vescovi, Präsident des Kantonalen Fischereiverbandes, würdigte: «Wir Umweltverbände wurden von Anfang an einbezogen.» Heute gälten viel strengere Vorschriften als früher.
Er erklärte die Naturgestaltung. Einer der beiden Teiche sei mehr für Amphibien. Der andere, der durch ein unterirdisches Rohr mit der Aare verbunden ist, sei das «Hinterwasser» der Aare, für Fische. Da kaltes Grundwasser diese Gewässer dominiere, profitierten Fische wie Forellen oder Äschen davon. «Es braucht aber noch zwei bis drei Jahre Geduld, bis es richtig überwachsen ist.»
Er erklärte, dass eine Voraussetzung für kieslaichende Fische geschaffen wurde. Da sei es wichtig, dass der Kies sich bewege, dass ein «Geschiebe» entstehe. Die Kiesbank aareseits des Projekts würde innert sieben Jahren von der Strömung mitgerissen worden sein. Früher habe es ohne Kraftwerke in der Aare eine stärkere Strömung gegeben, Geschiebe sei nicht an Mauern gestaut worden.
Im Regen draussen wurde ein Band durchschnitten und so die Strasse eingeweiht. Ehrendamen befuhren in blumenbestückten Rädern die frisch asphaltierte Strasse. An Ständen konnte man sich eingehender informieren. Bei Kaffee oder Bratwurst wurde viel diskutiert. Jacqueline Fuchs, die nahe der neuen Strasse wohnt, findet das Projekt «super». «Ich höre die Lastwagen gar nicht.
Und sehe sie praktisch nicht, denn sie mussten die Strasse ja absenken.» Sabine Heiniger, Gattin des Flumenthaler Gemeindepräsidenten und «Ureinwohnerin Flumenthals», findet: «Es ist ein Gewinn an Lebensqualität». Sie sähen, dass nun schon mehr Leute die Plätzchen aufsuchten und in der Aare badeten.
Nicole Hirt, GLP-Politikerin und Präsidentin von Pro Natura Solothurn, ist zufrieden, natürlich sehe es «jetzt noch etwas trist aus», da auf dem Kies erst wenige Pflanzen seien. Auf dem parallelen Spazier- und Radweg kann man nun miterleben, wie sich eine interessante, schöne Auenlandschaft bildet.
- 23. Januar 2002: Die Vigier Beton Mittelland AG (vormals Wyss Kieswerk AG, KWW) lanciert die Idee, die Kiesgrube Hobühl in Attiswil für den weiteren Kiesabbau (der durch die bernischen Behörden neu zu bewilligen ist) via Aareufer zu erschliessen. Als Alternative zur seit 1942 bestehenden Erschliessung via Dorf Flumenthal soll ein neues Trassee für den Kiesabbau gebaut und gleichzeitig das Aareufer renaturiert werden.
- 2. Juli 2002: Der Solothurner Regierungsrat lässt die Projektidee prüfen und mit dem «Ist-Zustand» sowie zwei von Flumenthal eingebrachten Varianten «Nord» über Gemeindegebiet Attiswil vergleichen. Ergebnis: Die bestehende Erschliessung wird als genügend beurteilt, die zwei Nordvarianten als ungenügend und die Variante «Naturnahes Aareufer» als sinnvollste.
- 19. Januar 2004: Die Überbauungsordnung für den weiteren Abbau in der Kiesgrube Hobühl Attiswil wird öffentlich aufgelegt. Damit verbunden wird die Erschliessung für die Kiesgrube geregelt. Der Verkehr soll weiter wie bisher über Flumenthal (Werkstrasse, Höflisgasse) führen.
- Februar 2004: Der Gemeinderat Flumenthal erhebt vorsorglich Einsprache gegen die Überbauungsordnung. In der Bevölkerung formiert sich breiter Widerstand gegen das Kieswerk ganz allgemein. Es hagelt Einsprachen.
- September 2004: Die Einwohnergemeinde Flumenthal, die Vigier Beton Mittelland AG und das Solothurner Bau- und Justizdepartement schliessen eine Grundsatz- und Rahmenvereinbarung ab. Ziel: die Projektidee «Naturnahes Aareufer» möglichst bald zu realisieren. Die Gemeinde Flumenthal zieht ihre Einsprache zurück.
- 9. Juni 2005: Die Justiz-, Gemeinden- und Kirchendirektion des Kantons Bern genehmigt die Überbauungsordnung Hobühl. Dagegen wird beim bernischen Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben.
- 10. Juli 2006: Das Berner Verwaltungsgericht gibt den Einsprechern teilweise Recht.
- August 2006: Die Vigier Beton Mittelland AG zieht vor Bundesgericht. Private Einsprecher ebenfalls.
- Januar 2007: Der Gemeinderat Flumenthal gibt die Planungskompetenz für das Nutzungsplanverfahren für das naturnahe Aareufer an den Kanton ab. Dieser setzt eine Arbeitsgruppe ein.
- 14. März 2007: Das Bundesgericht entscheidet über Überbauungsordnung Hobühl und Beschwerden: Das naturnahe Aareufer wird als einzig sinnvolle Alternative zur bestehenden Erschliessung beurteilt, eine Erschliessung über Attiswil als nicht zweckmässig.
- 27. Februar 2009: Erschliessungsplan und Baugesuch für das «Naturnahe Aareufer» werden öffentlich aufgelegt. Elf Einsprachen – auch von Naturschutz- und Umweltverbänden – gehen ein.
- 14. September 2009: Die Vigier Beton Mittelland AG zieht das Projekt zur Überarbeitung zurück.
- 6. Dezember 2010: Die Solothurner Regierung genehmigt die Richtplananpassung für die Erschliessung der Kiesgrube Hobühl.
- 15. August 2011: Die Richtplanung wird auch vom Bund genehmigt.
- 24. Oktober 2011: Die kantonale Nutzungsplanung für das «Naturnahe Aareufer» wird öffentlich aufgelegt.
- März 2012: Nach dem Eingang von Einsprachen gegen die Nutzungsplanung werden bei einem Augenschein des Bau- und Justizdepartements die letzten Anliegen der Einsprecher vor Ort besprochen. Es wird eine Einigung erzielt, die Einsprache zurückgezogen.
- 5. Juni 2012: Der Regierungsrat genehmigt die kantonale Nutzungsplanung «Naturnahes Aareufer Flumenthal». Damit verbunden ist gleichzeitig die Baugenehmigung.
- 20. August 2013: Mit dem Spatenstich erfolgt der Baubeginn für das Projekt «Naturnahes Aareufer» und der neuen Werkstrasse zur Erschliessung der Kiesgrube Hobühl in Attiswil.
- 17. September 2016: Offizielle Eröffnung des Areals mit Landammann Roland Fürst. (rm)