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Solothurn
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Nach dem Nein zur ausserordentlichen Gemeindeorganisation mit einem Parlament steht in Solothurn ein kleinerer Gemeinderat mit echter Exekutivfunktion zur Diskussion. In Luterbach ging man den umgekehrten Weg: Der Gemeinderat wurde von 9 auf 19 Mitglieder aufgestockt, die Bevölkerung zur Mitsprache in einem «Zukunftsrat» eingeladen.
Den Gemeinderat von neun auf 19 Mitglieder vergrössern? Als Gemeindepräsident Michael Ochsenbein diese Idee zum ersten Mal öffentlich äusserte, zogen nicht wenige Skeptiker die Augenbrauen hoch. «Ich habe nie bezweifelt, dass das funktioniert und wir genügend Leute finden», meint er, nachdem das neue System seit eineinhalb Jahren in Luterbach gelebt wird.
Zuerst aber ein Blick zurück: Viele Jahre mussten die Luterbacher den Gürtel enger schnallen. Die finanzielle Lage der Gemeinde sah düster aus, Verzichtsplanung war angesagt. Im Gemeinderat wurde jeder noch so kleine Budgetposten infrage gestellt. Später wurde in Solothurn der Fusionsprozess mit den Nachbargemeinden gestartet. Luterbach entschloss sich, an diesem Prozess ebenfalls teilzunehmen. «Wir erhofften uns dabei unter anderem auch die letzte Antwort, welche wir aus der Verzichtsplanung pendent hatten: Soll man auf die Gemeinde Luterbach verzichten?», so Ochsenbein.
Die Luterbacherinnen und Luterbacher wollten nicht und sich demzufolge der Hauptstadt nicht anschliessen. In der Fusionsdiskussion wurde vielen Einwohnern bewusst, dass sie sich künftig stärker engagieren müssen, wenn die Gemeinde tatsächlich eigenständig bleiben soll. «Mit den 19 Sitzen im Gemeinderat haben wir den Interessierten die Möglichkeit gegeben, sich politisch zu engagieren», so Ochsenbein. Als Nebeneffekt erhofft er sich, dass damit auch die politischen Parteien im Dorf mehr Zulauf erhalten und so gestärkt werden.
Der Gemeinderat sei von Gesetzes wegen zuständig für die Ortsplanung, die Finanzen, alle Geschäfte in denen es um die Beziehungen zu den Nachbargemeinden geht und lade zur Gemeindeversammlung ein. Der Gemeinderat habe strategisch wichtige Aufgaben zu lösen. «Er tagt aber nur vier bis fünf Mal im Jahr. Das ist eine zeitliche Belastung, die gerade für Neueinsteiger ideal ist», so Ochsenbein. Selbstverständlich erhoffe man sich, dass Gemeinderäte Lust an der Politik bekommen und später in die Gemeinderatskommission (GRK) nachrutschen. Für ein GRK-Mitglied wird die zeitliche Belastung aber schnell höher. Nicht nur die Zahl der Sitzung verdreifacht sich, auch das Führen eines Ressorts und möglicherweise auch die Teilnahme an Kommissionssitzungen braucht Zeit. Auch für die GRK fanden sich bisher genügend Bewerber. Per Ende Mai hat das GRK-Mitglied Hans Rothenbühler demissioniert. Dann wird sich zeigen, wie leicht die Nachfolge gelöst werden kann.
Im August 2017, mit dem Start der neuen Legislatur, wurde in Luterbach ein neues politisches System eingeführt. Seither gibt es eine Gemeinderatskommission (GRK) mit neun Mitgliedern. Jedes GRK-Mitglied führt ein Ressort. Die GRK tagt rund 10 Mal im Jahr. Nur vier bis fünf Mal kommt der 19-köpfige Gemeinderat zusammen. Dieser besteht aus den 9 GRK-Mitgliedern und zehn weiteren Gemeinderäten, die kein Ressort führen.
Gleichzeitig wurde in Luterbach auch das Instrument des Zukunftsrates eingeführt. Im Zukunftsrat können sich alle Luterbacherinnen und Luterbacher einbringen, auch Nicht-Stimmberechtigte, sprich Jugendliche oder Ausländer. Der Zukunftsrat findet vier bis fünf Mal pro Jahr statt.
«Meiner Meinung nach ist die Arbeit innerhalb des neuen Systemes gut angelaufen», erklärt Michael Ochsenbein in einem Gespräch. Es seien noch gewisse Feinjustierungen im Gang. Häufig sei es auch so, dass Gemeinderat und Gemeinderatskommission gleichzeitig tagen würden, was zu Beginn nicht so vorgesehen war. «Bei einigen Geschäften stimmen dann nur die GRK-Mitglieder ab. Der Vorteil liegt aber darin, dass die Informationen über die behandelten Themen gleichzeitig auch in den Gemeinderat fliessen.» Es sei schwierig, nach eineinhalb Jahren eine Bilanz zu ziehen, meint Ochsenbein deutlich. «Im Gemeinderat haben wir noch keine solche Diskussion geführt», macht er denn auch klar. Es brauche mindestens eine Legislatur lang Erfahrung, bevor sich ein erstes Fazit ziehen lasse.
Eine positive Bilanz zieht Ochsenbein aber bereits jetzt über den Zukunftsrat, der ebenfalls mit Beginn der Legislatur eingeführt wurde. «Wir heissen in diesem Gremium bewusst alle willkommen.» Wie das gewünscht ist, konnten auch schon Jugendliche oder Ausländer an einem Anlass begrüsst werden. «Die Diskussionen im Zukunftsrat haben nichts mit dem politischen Tagesgeschäft zu tun. Erlaubt sind auch illusorische Ideen, gewagte Ideen, ketzerische Ideen», erklärt er. Wie es der Name sagt, soll sich der Zukunftsrat mit der Zukunft beschäftigen. Nicht nur mit den nächsten fünf, sondern mit den nächsten 50 Jahren. «Darum müssen die Ideen, die im Zukunftsrat diskutiert werden, auch nicht in erster Linie realistisch sein.» Es gehe darum, Visionen zu äussern. Auch aus Fantasien könnten reale Projekte entstehen.
Der Zukunftsrat wird vom Gemeindepräsidenten geleitet. Er bereitet die Diskussionsabende zusammen mit einem Team vor. Normalerweise gebe es ein Inputreferat, nachher finde eine Diskussion statt. «Als Abschluss gibt es einen Apéro. Die Teilnehmer erhalten kein Sitzungsgeld, aber wenigstens ein Getränk. Und dabei werden die Diskussionen eigentlich immer weitergeführt», meint Ochsenbein.
Im ersten Zukunftsrat habe man Stärken und Schwächen der Gemeinde aufgelistet und analysiert. Danach wurde diskutiert, welche Themen der Zukunftsrat konkret angehen soll. «So kamen insgesamt rund 40 Themen zusammen», meint Ochsenbein. Diese wurden dann erneut im Zukunftsrat vorgelegt und schliesslich konkretisiert. Als Erstes ging es um «Energie». Der Zukunftsrat hat als Folge der Diskussionen eine Resolution verfasst und diese beim Gemeinderat eingereicht. «Das Ziel der Resolution ist, dass Luterbach in 50 Jahren energieautark sein soll.»
Der Gemeinderat hat nun die Aufgabe, die Resolution zu diskutieren und sie danach anzunehmen oder abzulehnen. Thema war in der Zwischenzeit auch die Gestaltung des öffentlichen Raumes und Ende Januar ging es um «das Dorfzentrum der Zukunft». Das Thema für die nächste Diskussion ist ebenfalls bereits klar, es soll um die Jugend gehen. «Wir werden explizit auch Jugendliche anschreiben und einladen.»
Die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte wurden bisher nicht in die Diskussionen des Zukunftsrates eingeladen. Man wolle bewusst die Meinung der Basis hören und unbeeinflusst Querdenken können. Unbeeinflusst von der politischen Garde. «In der Zwischenzeit haben wir aber gemerkt, dass die Inputreferate im Zukunftsrat durchaus auch für die Gemeinderäte spannend sind.» So nahmen am letzten Zukunftsrat auch einige Gemeinderäte teil. «Sie haben sich aber in der anschliessenden Diskussion bewusst nicht unter die Teilnehmer gemischt, sondern in einer eigenen Gruppe diskutiert.»