Biolandwirtschaft
«Ich wollte nie etwas anderes»: Gossliwilerin hat Ausbildung zur Landwirtin abgeschlossen

Marlene Jaggi aus Gossliwil war immer klar, dass sie Landwirtin werden und den elterlichen Hof übernehmen will.

Vanessa Simili
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Mutter Marianne unterstützt Tochter Marlene auf ihrem Berufsweg zur Landwirtin, wo sie kann.

Mutter Marianne unterstützt Tochter Marlene auf ihrem Berufsweg zur Landwirtin, wo sie kann.

Barbora Prekopová

Marlene Jaggi ist gerade mit der Lehre fertig geworden. Die diplomierte Landwirtin EFZ im biologischen Landbau verbringt ein paar Tage auf dem Elternhof in Gossliwil – pünktlich zur Zuckermais-Ernte – bevor sie zu Fuss südwärts aufbricht. Nach Italien, mit dem Zelt, auf unbestimmte Zeit. Nur in Begleitung der verspielten Appenzeller Mischlingshündin Lotta.

Dass es ihrer Mutter Marianne etwas bange zumute sein muss, ist selbsterklärend. «Den Mutigen gehört die Welt», beschwichtigt Marlene. Zu ihren Schafen, die sie pflegt, seit sie 12 Jahre alt ist, wird ihr Vater schauen. Über den Sommer ist nur die Hälfte auf dem Hof in Gossliwil, die andere Hälfte sömmert auf der Alp im Kiental.

Warum Schafe? «Ich habe das in den Genen», antwortet Marlene. Der Grossvater hatte auch Schafe. Und dass sie Landwirtin werden wollte, war ebenfalls schon immer klar. «Ich wollte nie etwas anderes.» Die Eltern hatten versucht, ihr andere Berufe schmackhaft zu machen, vergebens. «Es hat sich früh abgezeichnet, dass von den drei Kindern das jüngste, Marlene, den stärksten Bezug zur Landwirtschaft hat. Vor allem der Tiere wegen», so Marianne Jaggi. Der Weg als Nachfolgerin ist eingeschlagen, was das Leben dann tatsächlich bringt, wird sich zeigen.

Bäckerin und Schönwetter-Marktfahrerin

Die Familie Jaggi lebt heute von den 18 Mutterkühen, vom Ackerbau, von der Waldwirtschaft und dem Direktverkauf von Fleisch, Eiern und Brot. Marianne Jaggi holt es jeden Freitag vor den Augen ihre Kundschaft aus dem Holzofen, der unter dem Vordach des Bauernhauses steht; seit 28 Jahren bäckt sie verschiedene Brote und Züpfen.

Das Angebot hat sie durch Trockenwürste, Honig, Eier, Knöpfli und Cantucci ergänzt. «Als ich neu auf dem Hof war, habe ich etwas für mich gesucht. Ich wollte mir ein eigenes Standbein aufbauen», erzählt sie. Zudem war sie jahrelang jeweils von Mai bis Oktober «Schönwetter-Marktfahrerin», wie sie sagt. Erst in Grenchen, dann in Solothurn. «An unserem Marktstand waren wir drei Generationen, meine Mutter, Marlene und ich», schaut Marianne Jaggi zurück. Im Übrigen habe sich Marlene dort durch den Verkauf von Goldmelissensirup das Geld für die Schafe verdient, erinnert sie sich.

Die Freiheit, die sie in ihrem Zweig hat, schätzt sie. «Der Selbstwert ist ein anderer, wenn man finanziell unabhängig ist», sagt Marianne Jaggi. Deshalb wollte sie sich nicht einfach «nur» anstellen lassen durch ihren Mann.

Als Bauerntochter hat sie im Anschluss an die Handelsschule die Bäuerinnenausbildung gemacht. Nach der Heirat kam sie nach Gossliwil, auf den Hof ihres Mannes, wo auch ihre Schwiegereltern wohnten. «Ich war mir gewohnt, dass alle unter einem Dach leben, mit einem Wohnzimmer und einer Küche.» Hier hatte sie von Anfang an für ihre Familie ihre eigene. Das erlebte sie als positiv. «Dass die Grosseltern gleich unten wohnten, hatte auch viele Vorteile», differenziert sie das oft konfliktbehaftete generationenübergreifende Zusammenleben. Ihre Schwiegereltern hätten lange mitgeholfen und die Umstellung auf den biologischen Anbau in bewundernswerter Weise mitgemacht.

Frauen in der Landwirtschaft

Die Serie «Frauen in der Landwirtschaft» rückt die unterschiedlichsten Bäuerinnen in den Fokus. Frauen übernehmen seit je eine bedeutende Rolle im bäuerlichen Familienbetrieb. Im Kontext des landwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels verändern sich nicht nur das Rollenverständnis, sondern auch die Aufgaben und Funktionen. Das konventionelle Modell der landwirtschaftlichen Betriebsführung nimmt neue Formen an. (vs)

Sich die Offenheit bewahren

Den 26 Hektaren grossen Betrieb leiten Marianne und ihr Mann zusammen, der Hof aber mit dem 300-jährigen Bauernhaus gehört ihrem Mann. «Die bisherigen Generationen hier lebten vorwiegend von der Milchwirtschaft, dem Getreide- und Kartoffelanbau. Vor sechs Jahren haben wir auf die Mutterkuhhaltung umgestellt und die Kartoffeln durch Zuckermais ersetzt», sagt Marianne Jaggi. Vier bis fünf Weiderinder pro Jahr gehen in die Direktvermarktung. Das heisst, Marianne Jaggi kauft die Tiere ihrem Mann ab und verkauft das Fleisch an ihre Kundschaft weiter.

Dass ihre Tochter den Betrieb anders gestalten möchte als die Eltern, stört die Mutter nicht. Marlene möchte die Betriebsleiterschule absolvieren und Meisterlandwirtin werden. Sie könnte sich vorstellen, Angestellte zu haben, Gemüse zu produzieren und eventuell sogar auf den biodynamischen Anbau umzustellen. Ihre beiden Lehrbetriebe waren Demeter-Betriebe, so hatte sie Einblick in den biodynamischen Gemüseanbau. Und statt Kühe würde sie dann vielleicht Schafe halten. Ihre Vision ist ein vielfältiger Betrieb.

Sollte tatsächlich die Tochter den Betrieb mal übernehmen, würde Marianne Jaggi gern weiterhin mithelfen. Vielleicht würde sie in naher Distanz zum Hof wohnen und sich Freiheiten herausnehmen, die sie als Bäuerin nicht hatte. Doch noch sind das alles Zukunftsgedanken, an die sie und ihr Mann sich langsam annähern. «Wir hoffen, dass wir uns die Offenheit bewahren können», so Marianne Jaggi, und weiter: «Wir möchten Vertrauen haben, dass wir Marlene unterstützen können, auch wenn wir die Verantwortung abgeben.»