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Susanne Roth bietet in Günsberg alten und neuerdings auch jungen Grautieren eine Heimat.
«Iaaaaaaa», schreit Ignaz lautmalerisch. Wer einen Esel schon mal schreien gehört hat, weiss, das ist untertrieben. Der Schrei, eine Mischung aus Anklage und Tollheit, Schmerz und Freude, geht durch Mark und Bein. Er beginnt mit einem hohen Ton, als ob der Esel die Stimmer verloren hat, und endet mit einem lauten Tröten. «Er hat wahrscheinlich Hunger und denkt, nun kommt das Essen», kommentiert Susanne Roth das Gebaren des grossen Esels mit dem auffallend dunkelbraunen Fell. Er steht mit seinem Gespann schon seit Minuten am gleichen Fleck auf der frisch verschneiten Wiese.
Susanne Roth ist auf dem «Glutzenberg» aufgewachsen. Hier hat die 56-Jährige, die heute in Flumenthal lebt, ihre Kindheit verbracht. Seit fünf Jahren führt sie hier ein privates Eselheim «aus Freude, und weil mir das sehr viel gibt». Zudem habe sie hier perfekte Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Haltung der Esel.
Die beiden braunen Grossesel Ignaz und Czadas, Wallache, das heisst kastrierte Hengste, leben seit zwei Jahren auf dem Hof. «Es ist die einfachste Art, Esel zu halten. Stuten sind schwierig und Hengste sind sehr schwierig, weil sie unberechenbar sein können.» Auf den Wiesen rund um den Bauernhof leben auch noch der eineinhalb Jahre alte graue Chicco und der achtjährige dunkle Nero, Geschenke ihres Bruders, sowie schon seit fünf Jahren die 18-jährigen Sämi und Cello. Letztere hat Roth vom bekannten Eselheim Merlin in Deutschland übernommen. Der frühere Besitzer von Sämi und Cello konnte nicht mehr für seine Tiere schauen.
Auch Czadas und Ignaz waren vorher im deutschen Tierheim. Sie konnten auf einem Transport von Ungarn nach Italien in eine Metzgerei erworben werden. «Dieser lange Weg, nur weil es billiger ist. Ein Teil der Esel überlebt den Transport jeweils nicht.» Die zwei Braunen sind ängstlich, trotz ihrer Grösse, und springen weg, wenn sich ein Fremder nähert.
Beim Stall, gut hundert Meter vom Bauernhof entfernt, warten Sämi und Cello auf Susanne Roth. Cello schmust gerne und zeigt seine Zuneigung. Da lässt er sich von Fremden nicht stören. «Sie brauchen einen Unterstand, weil sie oft lange stehen und dann pitschnass werden.» Das Heu kann sie von den Pächtern des Landes rund um den Hof kaufen. Rüebli und Äpfel ergänzen das Menü der Esel.
«Esel sind feinfühlig und eignen sich gut für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Manche Menschen sagen, sie seien störrisch. Das stimmt aber nicht. Sie bleiben einfach stehen und überlegen sich den nächsten Schritt. Dann muss man sie überzeugen, dass es richtig ist, diesen Weg zu gehen. Wenn man ihr Vertrauen erhält, sind sie sehr treu und anhänglich.»
Vom Bauernhof nähert sich Liselotte Allemann, die 79-jährige Mutter von Susanne Roth. «Sie hilft mir beim Füttern. Esel sind Steppentiere und haben einen kleinen Magen, weshalb man sie mehrmals täglich füttern sollte.» Sämi beginnt aufgeregt zu keuchen und drängt mit aller Macht zum Gatter. Er hat Hunger. Aber noch gibt es nichts. Roth tröstet ihn. «Wenn ich mal nicht mehr für die Esel schauen kann, darf ich sie ins Tierheim nach Deutschland zurückgeben. Das kann gut passieren. Esel können bei guter Haltung fünfzig Jahre alt werden.»