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Der Solothurner Mädchenchor sang am Wochenende den Barockhit «Gloria» von Antonio Vivaldi in der Alten Werkhalle Attisholz Nord. Das Konzert war ein Spiel mit Gegensätzen, das Überraschungen für Ohr und Auge bereithielt.
Moderne Interpretationen klassischer Stücke gibt es zuhauf, aber kann man jahrhundertealte Musik auch recyceln? Der Solothurner Mädchenchor hat sich zusammen mit dem Capricornus Consort Basel daran gewagt und seinen Konzerten den Titel «Recycling ‹Gloria›» gegeben. Nicht etwa, weil Antonio Vivaldis Meisterwerk auf dem Müllberg der Musik verschwunden wäre und nun aus lauter Gnade wieder zum Leben erweckt wurde. Das galt eher für die gewählte Lokalität. Das «Gloria» wird im Programmheft zu Recht als «barocker Hit» bezeichnet.
Und nach dem Konzertwochenende kann das Fazit gezogen werden, der Mädchenchor hat hier ein Stück der Klassik – das für manche tatsächlich zum alten Eisen gehört – nicht nur neu inszeniert, sondern um ungewohnte Perspektiven bereichert und ihm so zu neuer Attraktivität verholfen.
Das Konzert war ein Spiel mit Gegensätzen, das Überraschungen für Ohr und Auge bereithielt. Alleine die Lokalität versprach viel: So wurde Vivaldis «Gloria» nicht in einer Kirche aufgeführt, sondern in einem nicht-sakralen Raum, der Werkhalle auf dem nördlichen Attisholz-Areal. In dem heruntergekommenen Gebäude, dessen Fassaden mit Spinnweben und losen Kabeln gesäumt sind, sorgten die 25 Sängerinnen und das Capricornus Consort Basel für ein einzigartiges Erlebnis.
Dass der Raum nicht für Konzerte erbaut wurde, spürten einige Zuschauer mit den Betonpfeilern, die teilweise die Sicht einschränkten. Das war aber auch schon der einzige Wermutstropfen. Denn in Sachen Akustik steht die Halle einer Kirche in nichts nach. Der grossartige Gesang der jungen Frauen schwebte richtiggehend durch den Raum. Zudem führten die Musiker Vivaldis «Gloria» auch sonst nicht in gewohnter Manier auf. Stattdessen adaptierten sie das barocke Werk, unterbrachen es dreimal mit modernen Stücken und reicherten es szenografisch an. So sangen die Mädchen die höchst anspruchsvollen Stücke gehend, tanzend, aus luftiger Höhe und am Boden liegend.
Für das zeitgenössische «o magnum mysterium» (Morten Lauridsen) mischten sie sich unter das Publikum und liessen sich von Lea Scherer von der Bühne aus dirigieren. Ein interessanter Perspektivenwechsel, der die sonst versteckte Kunst des Dirigierens für einige Minuten ins verdiente Scheinwerferlicht rückte. Auch die Musiker standen zeitweise im Zentrum, etwa Francesco Capraro an der Barockoboe während des «Domine Deus». Die Noten brauchten die Sängerinnen nur am Schluss – zu reinen Dekorationszwecken. Denn nicht nur die Choreografie, sondern auch Text und Melodie des höchst anspruchsvollen Programms kannten die jungen Frauen komplett auswendig. Eine Meisterleistung.
Gerade letzteres erfüllte Regisseurin Hannah Wirth mit Stolz. «Die Mädchen hatten teilweise Abschlussprüfungen und haben trotzdem so viel Zeit investiert. Einige haben sogar Ferien genommen. Man merkt einfach, dass sie mit Leidenschaft singen.» Zur Entstehung erzählte sie: «Lea Scherer wollte dieses Werk unbedingt aufführen. Uns war dann klar, dass wir dafür einen speziellen Ort suchen mussten.» Irgendwann sei man auf die Werkhalle aufmerksam geworden, und nach einem kurzen Akustik-Test war sie gebucht.
Hinsichtlich der Konzertdaten habe man sich dem Capricornus Consort angepasst, die sie lobte: «Die Musiker sind sehr professionell, gleichzeitig total flexibel und unkompliziert.» Danach habe sich alles «im Flow» entwickelt. «Irgendwann wussten wir, das wird eine grosse Kiste.» Deshalb wurde das Kernteam erweitert. Für die Choreografie zogen die Leiterinnen Laura Imperiali hinzu, während Rosa Bolliger Licht und Bühnenbild übernahm.
Wirths Begeisterung teilte das Publikum, das dem Chor gleich dreimal mittels Standing Ovation seinen Wunsch nach Zugaben signalisierte. Nach dem Konzert wurden die Beteiligten von Laien und Profis mit Lob überhäuft, Sänger Markus Oberholzer etwa zeigte sich «tief berührt». «Das war Eure bisher beste Aufführung!», lautete das Fazit eines Zuschauers. «Das finde ich eben auch», so Wirth bevor sie sich in gespielter Verzweiflung die Hände vor die Augen schlug. Man darf gespannt sein, ob der Mädchenchor 2018 eine weitere Meisterleistung vollbringen und das diesjährige Konzertprogramm toppen kann.