Obergericht
Wild-West nach Blechschaden – «so Bürschtli, jetzt sind ihr alli tot»

Das Obergericht mildert das Urteil gegen einen Schwarzbuben, der nach einem Verkehrsunfall stockbetrunken seine Pistole zückte und abdrückte.

Hans Peter Schläfli
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Russisches Roulette – noch einmal gut gegangen.Symbolbild: Martin Ruetschi/KEYSTONE

Russisches Roulette – noch einmal gut gegangen.Symbolbild: Martin Ruetschi/KEYSTONE

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Wilder Westen im Schwarzbubenland: Nach einem harmlosen Unfall mit leichtem Blechschaden gibt es Streit. Ein offensichtlich betrunkener Fahrer holt seine Pistole mit sechs Schuss im Magazin hervor, zielt aus nächster Nähe auf das Gesicht des anderen Fahrers und drückt im Stile eines Wild Bill Hitchcock dreimal ab.

Obwohl es am 12. Oktober 2012 nur dreimal klickte, weil sich keine Patrone im Lauf befand, verurteilte das Solothurner Obergericht Beat L.* wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 33 Monaten.

«Jetzt sind ihr alli tot»

Das Amtsgericht Dorneck-Thierstein hatte den mittlerweile pensionierten Handwerker noch zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 40 Monaten verurteilt. Das fand Beat L. zu streng und er legte Berufung ein. Die lange Liste der weniger bedeutenden Schuldsprüche für Vergehen gegen das Waffengesetz, Fahren im angetrunkenen Zustand, Fahrerflucht und mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Beamte akzeptierte er.

Der Tathergang war grundsätzlich unbestritten. Nach einer anstrengenden Woche gönnte sich der bis zu diesem Tag unbescholtene Handwerker ein Feierabendbier. Und dann noch einen Schnaps, und noch einen und noch einen. Total betrunken – die Analyse ergab 2,79 Promille Alkohol im Blut – wollte Beat L. nach Hause fahren. Obwohl er ein anderes Auto streifte, fuhr er weiter, bis er vor der Haustür vom anderen Autofahrer gestellt wurde. Im Streit drohte Beat L., eine Pistole zu holen und alle drei Autoinsassen zu töten.

Während diese auf das Eintreffen der Polizei warteten, holte er tatsächlich eine Pistole mit sechs Patronen im Magazin und eine zusätzliche Schachtel Munition aus seiner Wohnung. Der Angeklagte zielte aus einem halben Meter auf das Gesicht seines Opfers. Mit den Worten, «so Bürschtli, jetzt sind ihr alli tot», drückte er dreimal ab – zum Glück erfolglos.

Beat L. habe sich mit seinen eigenen Aussagen immer tiefer in den Schlamassel gebracht, erklärte Staatsanwalt Christoph Fricker in seinem Plädoyer. Er habe mehrfach zugegeben, dass er nicht wusste, ob die Waffe geladen war oder nicht. «Wenn es gekracht hätte, hätte es gekracht. Aber es ist ja gar nichts passiert», zitierte der Staatsanwalt aus den Protokollen.

«Ich wusste, dass nichts im Lauf war», änderte Beat L. vor dem Obergericht seine Aussagen. An den genauen Tathergang könne er sich nicht erinnern. «Ich hatte ein Blackout.» Da wollte Oberrichter Marcel Kamber vom Angeklagten konkret wissen, weshalb er bei der Befragung im Untersuchungsgefängnis, also 40 Tage nach der Tat ausgesagt habe, dass er nicht wusste, ob die Pistole geladen war oder nicht. Daraufhin verweigerte der Angeklagte die Aussage.

So forderte der Staatsanwalt die Bestätigung des Schuldspruchs der ersten Instanz und eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten. Das Mindeststrafmass für diese Tat sei laut Bundesgericht fünf Jahre. «Zwei Seelen wohnen in meiner Brust», zitierte Fricker aus Goethes Faust. «Zentral ist die rechtliche Würdigung. Ob das Mindeststrafmass in diesem speziellen Fall richtig sein kann, ist eine andere Frage.»

Dem Zufall überlassen

«Sein Ziel war es nie, jemanden zu töten», sagte Rechtsanwalt Rudolf Wyss im Plädoyer der Verteidigung. Beat L. habe immer gewusst, dass ohne Ladebewegung kein Schuss abgefeuert werden könnte. «Er wollte den Geschädigten Angst und Schrecken einjagen. Das Klick des Abdrückens war eine unschöne zusätzliche Drohung.» Der Verteidiger forderte einen Freispruch vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung.

Das Obergericht kam zu den gleichen Schlüssen. «Der Beschuldigte hatte es beim gezielten Abdrücken einer möglicherweise geladenen Pistole wie beim Russischen Roulette dem Zufall überlassen, ob er dem Geschädigten in den Kopf schiesst oder nicht. Somit handelt es sich um eine versuchte vorsätzliche Tötung», sagte Oberrichter Kamber.

Trotzdem kam das Obergericht auf eine etwas tiefere Freiheitsstrafe von 33 Monaten – und blieb dabei deutlich unter der an sich kleinstmöglichen Strafe von fünf Jahren. Dass eine Ausnahme angebracht sei, begründete das Gericht mit dem aussergewöhnlich positiven Verhalten nach der Tat. «Nur wegen seiner ehrlichen und offenen Aussagen kam es überhaupt zur Anklage wegen versuchter vorsätzlicher Tötung», erklärte Kamber. Seither habe Beat L. die angeordnete psychiatrische Behandlung erfolgreich abgeschlossen und lebe absolut abstinent. Das Gericht zeigte sich überzeugt, dass es ohne Alkohol niemals zu derart aggressivem Verhalten gekommen wäre.

Die Reduktion der Freiheitsstrafe hat für Beat L. massive Vorteile: Nun werden 24 Monate zur Bewährung ausgesetzt und den Rest kann er wahrscheinlich im elektronisch überwachten Hausarrest verbüssen.

Name von der Redaktion geändert