Regierungsratswahlen
Wie das Solothurner Volk die FDP zum Glück zwang

Die Regierungsratswahlen, die in einer Woche entschieden werden, führten in der kantonalen FDP zu Spannungen. Diese wecken Erinnerungen an die Wahlen von 1987. Mit der «wilden» Kandidatur von Cornelia Füeg gingen die Wogen damals allerdings noch viel höher.

Urs Mathys
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Die Kontrahenten bei den Regierungs-Ersatzwahlen von 1987 bei einem Streitgespräch (v.r.): Willy Pfund, offizieller FdP-Kandidat, Cornelia Füeg, wilde FdP-Bewerberin, und Rolf Ritschard, der für die SP antrat. (Archiv)

Die Kontrahenten bei den Regierungs-Ersatzwahlen von 1987 bei einem Streitgespräch (v.r.): Willy Pfund, offizieller FdP-Kandidat, Cornelia Füeg, wilde FdP-Bewerberin, und Rolf Ritschard, der für die SP antrat. (Archiv)

Alois Winiger

Wyss, Schaffner oder Meister – welche zwei der drei Kandidatinnen in einer Woche auch gewählt werden: So oder so wird der Kanton erstmals zu einer doppelten Frauenvertretung im Regierungsrat kommen. 30 Jahre verstrichen, seit 1987 mit Cornelia Füeg die erste Regierungsrätin gewählt worden ist.

«Die Freisinnigen haben die Frauen gern», lautete in jenen Jahren zwar ein Wahlslogan der Partei. Doch freiwillig kam die FDP damals nicht zur exklusiven Ehre, als erste Solothurner Partei eine Frau in die Kantonsregierung gebracht zu haben. Ganz im Gegenteil: Die Parteioberen der damals noch «Gelben», mit kleinem «d» geschriebenen FdP, mussten zunächst von der eigenen Parteibasis und dann vom Wahlvolk regelrecht zu ihrem Glück gezwungen werden.

Doch der Reihe nach: Wäre es nach dem Willen der FdP-Spitze gegangen, dann hätte am 18. Oktober 1987 Kantonalpräsident und Nationalrat Willy Pfund (damals 48-jährig, Dornach) zum Nachfolger seines zurücktretenden Parteikollegen Walter Bürgi (Grenchen) gewählt werden sollen. Bei einem ersten Anlauf 1981 war der Vizedirektor des Basler Bürgerspitals bereits bei der parteiinternen Ausmarchung gescheitert, vermochte sich aber in den Folgejahren als Nationalrat und Parteipräsident eine Hausmacht aufzubauen.

«Stunde der Wahrheit» mit ernüchterndem Resultat

Dass Pfund am 20. August 1987 von den freisinnigen Delegierten bereits im ersten Wahlgang nominiert wurde und seine Mitbewerberin Cornelia Füeg (damals 46-jährig, Wisen) mit 169 zu 143 Stimmen (absolutes Mehr 167) überflügelte, hatte mehrere Gründe. Einer war der Umstand, dass die Regierungsrats-Ersatzwahlen gleichzeitig mit den nationalen Wahlen stattfanden: Die 14 Nationalratskandidaten und deren Gefolgschaft konnten darauf spekulieren, dass mit der «Wegbeförderung» des «Bisherigen» Pfund ihre eigenen Chancen auf einen Sitz in Bern steigen würden.

Darüber hinaus legte der ganze Parteiapparat samt Parteisekretariat sein ganzes Gewicht für Pfund in die Waagschale: Im Parteiblatt konnte sich vor der Nomination nur der Parteipräsident gross präsentieren – Cornelia Füeg ging leer aus. Und schliesslich wurde versucht, die Mitbewerberin – die sich seit Jahr und Tag auf allen Stufen für die Partei engagiert hatte – gezielt als nicht wirklich am Parteiwohl interessierte «Karrierefrau» zu diffamieren.

Als «Stunde der Wahrheit» hatte Füeg selber den Nominationsparteitag in ihrem Bewerbungsvotum bezeichnet: Es zeige sich nun, ob die Partei – gleiche Qualifikationen vorausgesetzt – bereit sei, einer Kandidatin den Vorzug zu geben und so mit der Gleichberechtigung ernst zu machen. Dass die Mehrheit der Delegierten offensichtlich noch nicht so weit war, löste an der Parteibasis einen wahren Aufstand aus. Allen voran liefen die freisinnigen Frauen und die Jungliberalen Sturm, dann meldeten sich prominente Exponenten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Region Olten zu Wort, die sich gegen «ein von der Parteileitung abgekartetes Spiel» wehrten, und schliesslich machten sich erzürnte Angehörige der Parteibasis aus dem ganzen Kanton in unzähligen Leserbriefen Luft.

Cornelia Füeg – zuvor schon erste Nationalrätin (1975–1983) sowie erste Gemeindepräsidentin im Kanton – zeigte sich der Partei gegenüber zunächst loyal. «Ich stehe weiterhin zur FdP, auch wenn ich diese jetzt einmal von einer anderen Seite kennen gelernt habe», wies sie in den ersten Tagen Aufforderungen zu einer «wilden» Kandidatur zurück. Doch dann brachen die Dämme: So formierte sich ein Komitee «Freisinnige für eine echte Volkswahl», dem bald über 1000 Personen angehörten. Weil gleichzeitig das Lager um Parteipräsident Pfund immer gehässiger auf die Proteste reagierte, sah sich die Juristin und gelernte Bäuerin ihrerseits auch nicht mehr gebunden. «Ist die Partei für das Volk da oder das Volk für die Partei?», stellte sie rhetorisch die Gretchenfrage, als sie dem Drängen der Basis nachgab und sich zur Kampfkandidatur bereit erklärte. Anhaltender Telefonterror und sogar explizite Morddrohungen gegen die «Verräterin» waren die Folge.

Mit Schützenhilfe gegen «künstlich erzeugte Bewegung»

Die offizielle FdP wurde ihrerseits nicht müde, Füeg als «schlechte Verliererin» und machthungrige Unperson zu diffamieren, die von einer bloss «künstlich erzeugten Bewegung» getragen werde. Willy Pfund gab sich gegen aussen siegessicher und spottete: «Was sind schon ein paar hundert Komiteemitglieder gegen die über 30 000 freisinnigen Stimmen, die zu einer Wahl nötig sind?»

Doch nichtsdestotrotz versuchten der offizielle FdP-Kandidat und seine Partei alles, die Reihen hinter sich zu schliessen: So wurden einerseits 400 freisinnige Parteikader zu einem Komitee «Freisinnige für Fairness und Glaubwürdigkeit» zusammengetrommelt, und zudem riefen auch die Schützen zugunsten ihres kantonalen Verbands-Vize ein Komitee ins Leben. «Wir konnten diese Lawine doch nicht Gewehr bei Fuss über uns ergehen lassen», begründete Pfund damals diese sprichwörtliche Schützenhilfe.

Nach Pfunds Rückzug als in stiller Wahl gewählt erklärt

Doch das ganze Sperrfeuer nützte letztlich nichts: Am 18. Oktober 1987 verfehlte Cornelia Füeg zwar bei einem absoluten Mehr von 45 384 Stimmen mit deren 43 415 die Wahl relativ knapp. Sie lag damit aber deutlich vor den 30 406 Stimmen für Willy Pfund. Sogar SP-Kandidat Rolf Ritschard, der für den freiwerdenden Sitz seines abtretenden Genossen Gottfried Wyss kandidierte, lag um mehr als 9000 Stimmen vor dem offiziellen FdP-Bewerber.

Nach drei Tagen Bedenkzeit gab Pfund schliesslich seinen Verzicht auf den zweiten Wahlgang bekannt: Im Interesse der Partei und um in einem noch härteren Kampf der beiden Lager nicht eine völlige Spaltung der FdP zu riskieren. Nach einem Intermezzo (mit einem ohne dessen Wissen als zusätzlicher Kandidat gemeldeten SP-Mann) erklärte die Staatskanzlei am 22. Oktober schliesslich Cornelia Füeg und Rolf Ritschard offiziell als in stiller Wahl gewählte Regierungsräte.

Willy Pfund bezahlte einen hohen Preis und sass am Ende zwischen Stuhl und Bank: Nicht nur blieb ihm der zuerst als wie selbstverständlich erwartete Einzug in die Kantonsregierung versagt; zudem hatte er im Hinblick auf dieses Ziel auch auf seine Wiederkandidatur für den Nationalrat verzichtet. Politisch trat er später nur noch als Präsident der nationalen Schützen-Lobbyorganisation «Pro Tell» offiziell in Erscheinung.

Cornelia Füeg: «Es war nötig, und es hat sich gelohnt»

Insbesondere Pfunds Weggefährten aus der Region Schwarzbubenland verweigerten sich zunächst einer Versöhnung mit der «Verräterin» Füeg. An einem Parteitag wurde gar mit einer Abspaltung und der Gründung einer (damals noch nicht bestehenden) SVP-Kantonalsektion gedroht. Auch das unterlegene Partei-Establishment brauchte lange, bis es die Schmach seines Scheiterns verdauen konnte.

Nur ein Beispiel dafür: Die FdP-Fraktion im Kantonsrat, zur Mehrheit Pfund-Anhänger, bekundete einen Monat nach den Wahlen in einer öffentlichen Erklärung ihre Bereitschaft zu einer «normalen Zusammenarbeit» mit Füeg. Gleichzeitig wurde mit einer gezielten Indiskretion aber ein Brandbrief bekannt, in dem die Fraktion der neuen Regierungsrätin gewaltig an den Karren fuhr: Füeg wurde vorgeworfen, «Wortbruch begangen» und «gegen Treu und Glauben verstossen» zu haben. An ihr selber liege es nun, «ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen und das fehlende Vertrauen der Fraktion zu gewinnen».

Mit ihrem unabhängigen politischen Denken, ihrem Bemühen auch als Baudirektorin der Umwelt gerecht zu werden, eckte Füeg allerdings in gewissen Kreisen immer mal wieder an. «Ich hätte mir aus der eigenen Partei mitunter mehr Unterstützung erhofft», erklärte Füeg 1997 nach der Ankündigung ihres Rücktritts in einem Interview: «Gerade im Kantonsrat kam die heftigste Kritik nicht selten aus der eigenen Fraktion.» Die Frage, ob sie rückblickend noch einmal gleich handeln würde wie 1987, beantwortete sie dennoch kurz und bündig: «Ja sicher, es war nötig, und es hat sich gelohnt.»

Wer wird Füegs Nach-Nach-Nachfolgerin? Susanne Schaffner, 1962, Olten, Kantonsrätin SP, Rechtsanwältin // Marianne Meister, 1964, Messen, Kantonsrätin FDP, Detailhändlerin // Brigit Wyss, 1960, Kantonsrätin Grüne, Juristin

Wer wird Füegs Nach-Nach-Nachfolgerin? Susanne Schaffner, 1962, Olten, Kantonsrätin SP, Rechtsanwältin // Marianne Meister, 1964, Messen, Kantonsrätin FDP, Detailhändlerin // Brigit Wyss, 1960, Kantonsrätin Grüne, Juristin

az

Im zweiten Wahlgang um die beiden noch freien Regierungssitze wird sich am kommenden Wochenende zeigen, welche zwei Frauen quasi in die Fussstapfen der ersten Solothurner Regierungsrätin Cornelia Füeg treten können: Marianne Meister, die den Sitz der nicht mehr antretenden Esther Gassler für die FDP sichern soll? Susanne Schaffner, die für die SP auf den Sitz des abtretenden Peter Gomm nachrücken will? Oder schafft Brigit Wyss gar eine andere Premiere: Für die Grünen erstmals einen Sitz in der Solothurner Exekutive zu erobern?

Im ersten Wahlgang vom 12. März wurden bei einem achtköpfigen Kandidatenfeld erst die drei Bisherigen im Amt bestätigt: Remo Ankli, FDP, Bildungsdirektor, sowie die beiden CVP-Vertreter Roland Fürst, Baudirektor, und Roland Heim, Finanzdirektor. Unter dem nötigen absoluten Mehr von 30 720 Stimmen blieben die Kantonsrätinnen Susanne Schaffner (SP, Juristin, Olten, 26 278 Stimmen), Brigit Wyss (Grüne, Juristin, Solothurn, 25 027) und Marianne Meister (FDP, Gewerbeverbandspräsidentin, Messen, 23 826). Letztere hatte 2015 bereits erfolglos für den Ständerat kandidiert. Nicht mehr zum kommenden zweiten Wahlgang antreten mochten die am 12. März weit abgeschlagen platzierte Kandidatin der GLP und der Bewerber der SVP.

Seit der Wahl von Cornelia Füeg sass immer eine Frau im Regierungsrat – immer eine Vertreterin der FDP. Nach Cornelia Füeg war es Ruth Gisi (Hochwald), die sieben Jahre als Bildungs- und Kulturdirektorin wirkte, und zuletzt Esther Gassler (Schönenwerd), seit 2005 Vorsteherin des Volkswirtschaftsdepartements.

Nach Angaben der Solothurner Staatskanzlei können die Wahlresultate am kommenden Sonntag gegen 14 Uhr erwartet werden. (ums)