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Wann wird ein Ausländer ausgeschafft und wann darf er bleiben? Diese Zeitung hat die «Solothurner» Bundesgerichtsurteile zu den Bewilligungsentzügen der vergangenen zehn Jahre ausgewertet, um 12 Fragen zu beantworten.
Nein. Die Solothurner Behörden nehmen Ausländern regelmässig die Erlaubnis, in der Schweiz zu leben. Das zeigen etwa Zahlen des Solothurner Migrationsamtes zum Widerruf von Niederlassungsbewilligungen: Pro Jahr sind rund ein Dutzend Ausländer betroffen. Konkret widerrief das Amt 2014 15 Niederlassungsbewilligungen, 2013 16, 2012 waren es 9 und 2011 10.
Meist müssen kriminelle Männer zwischen 35 und 45 aus Ex-Jugoslawien, der Türkei oder einem afrikanischen Land die Schweiz verlassen. Frauen sind die absolute Ausnahme. Die Solothurner Behörden kümmern sich regelmässig um Fälle, die in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgten. So entzog das Migrationsamt dem «Todesraser» von Schönenwerd und einem seiner Mitraser die Erlaubnis, in der Schweiz zu leben. Das Bundesgericht hat im Fall der Raser aber die Entscheide der Solothurner Behörden rückgängig gemacht. Noch nicht entschieden ist, ob einer der Mittäter im Luxory-Mord die Schweiz verlassen muss. Auch der kosovarische Parlamentarier Azem Syla, der in Biberist lebte und sich Sozialhilfe erschwindelte, musste gehen.
«Meist waren strafbare Handlungen der Anlass für einen Widerruf, wobei teilweise auch noch zusätzliche Widerrufsgründe wie erheblicher Sozialhilfebezug oder Schulden negativ ins Gewicht fielen», sagt Peter Hayoz, Chef des Solothurner Amtes für Migration. Längere Freiheitsstrafen, schwerwiegende Verstösse gegen die öffentliche Sicherheit können ebenso Gründe sein wie die Summe von strafrechtlichen Massnahmen oder wenn jemand immer wieder rückfällig wird und zeigt, dass ihn die Rechtsordnung nicht interessiert.
Nein. Auch ein hoher Sozialhilfebezug kann Grund sein, weshalb Ausländer die Schweiz verlassen müssen. Gründe können auch falsche Angaben im Bewilligungsverfahren sein.
Das Solothurner Migrationsamt gibt in einer Interpellationsantwort aus dem Kantonsrat folgende Zahlen an: Wegen Sozialhilfebezugs wurden 2012 eine Niederlassungs- und 7 Aufenthaltsbewilligungen entzogen. 2013 waren es drei Aufenthaltsbewilligungen, 2014 zwei Niederlassungs- und sechs Aufenthaltsbewilligungen. «Die Hürden sind bei der Niederlassungsbewilligung hinsichtlich der Bezugsdauer und der Höhe der bezogenen Leistungen höher als bei der Aufenthaltsbewilligung», heisst es in der Interpellationsantwort. Ob der Bezug rechtmässig war oder nicht, ist untergeordnet, Höhe und Dauer spielen eine grössere Rolle – und die Langfristprognose.
Ja. Es gibt heute, anders als bei der Durchsetzungsinitiative, über die die Schweizer am 28. Februar abstimmen, kein Schema X. Jeden Fall beurteilen die Behörden und in letzter Instanz auch das Bundesgericht individuell und wägen verschiedene Faktoren gegeneinander ab. Dazu gehört etwa: Wie sieht die Rückfallprognose aus? Wie lange lebte jemand hier, wie gut ist er integriert, in welchem Alter kam die betroffene Person in die Schweiz. Relevant ist auch, ob es noch Familienmitglieder in der Heimat gibt und ob sich die Person dort wieder integrieren kann. Diesen Aspekten werden die Schwere der Tat und das Sicherheitsinteresse der Schweizer Öffentlichkeit gegenübergestellt.
Ja. Die Schweiz zu verlassen, ist für viele der Betroffenen nicht einfach. Sie kämpfen deshalb oft durch alle Instanzen hindurch. Doch das Bundesgericht gibt den Solothurner Behörden in den meisten Fällen recht; von «Kuscheljustiz» kann kaum die Rede sein. Das zeigt der Blick auf die Bundesgerichtsurteile zu Solothurner Fällen. In etwa neun von zehn Fällen erhalten die Behörden in Lausanne recht.
Grundsätzlich lässt sich sagen: Das Bundesgericht ist etwas zurückhaltender, wenn es darum geht, dass durch den Entscheid Kinder von ihren Vater getrennt werden könnten; insbesondere wenn die Kinder eine starke Beziehung zum Elternteil haben oder teils auf diesen angewiesen sind.
Zwei extreme Beispiele: Korrigierend eingegriffen hat das Bundesgericht, als die Solothurner Behörden einen lange drogenabhängigen, hier geborenen Italiener ausweisen wollten, Er war meist nur wegen Beschaffungskriminalität straffällig geworden. Sein Sohn hätte ohne Elternteil bei den Grosseltern in der Schweiz bleiben müssen, denn die Mutter war gestorben. Korrigiert hat das Bundesgericht auch, als ein 39-jähriger Türke – auch er hier geboren, wegen mehrfachen Diebstahls verurteilt – gehen sollte. Die Kinder lebten im Heim. Die Mutter kam fast nie zu Besuch, der Vater sei aber extrem um seine Kinder besorgt, urteilte das Gericht.
Auch bei jungen Ausländern der zweiten Generation hat sich das Bundesgericht in ein, zwei Fällen schon zurückhaltender gezeigt, insbesondere wenn es Anzeichen sieht, dass die Person nicht rückfällig wird und die Tat in jungem Alter begangen wurde. So etwa im Falle von Nekti T., dem «Todesraser» von Schönenwerd. Er war bei der Tat 18 Jahre alt. Die Prognose im Gutachten it positiv.
Ja. Je länger jemand hier ist, umso mehr fällt dies ins Gewicht. «Die Angehörige der zweiten Migrationsgeneration, die entweder in der Schweiz geboren sind oder sich seit der Kindheit in der Schweiz befinden, werden selten weggewiesen», heisst es in der Studie zum Thema. Das heisst aber nicht, dass die Behörden keine Ausländer zweiter Generation ausweisen. Dabei spielt etwa die Schwere der Tat eine Rolle: 2013 wurde ein 40-jähriger Türke, der hier geboren war, weggewiesen, obwohl seine Frau und sein Sohn hier leben. Er war im Bereich Menschenhandel straffällig geworden. Auch ein junger Türke, der an der Schraubenzieher-Attacke am Solothurner Märetfest beteiligt war, musste die Schweiz verlassen, obwohl er sein Heimatland nur aus den Ferien kannte. Auch bei sexuellem Missbrauch zeigte das Gericht Härte.
Kinder sind immer wieder Leidtragende von Entscheiden. Manchmal muss ein Elternteil die Schweiz verlassen und Kinder zurücklassen. Bei den Solothurner Entscheiden war 2013 durch jeden vierten Widerruf der Niederlassungsbewilligung ein minderjähriges Kind mitbetroffen. Grundsätzlich wägt das Bundesgericht das Recht auf das Familienleben sorgfältig gegen die Gründe ab, die für eine Ausschaffung sprechen. In den Begründungen des Gerichts spielt dabei eine Rolle, ob sich ein Vater zuvor tatsächlich um die Kinder bemüht hat oder nicht. Jedoch kommt es immer wieder vor, dass ein Elternteil gehen muss und eine Familie getrennt wird. Es gibt Urteile, wo Gerichte schreiben, die Beziehung zwischen Vater und Sohn könne durch neue Techniken wie Videotelefonie weiterbestehen.
Das kann man für den Kanton Solothurn nicht sagen. Denn für die Zeit vor 2010 sind laut dem Chef des Migrationsamtes, Peter Hayoz keine Zahlen verfügbar. 2013 allerdings reichte der Luzerner SVP-Nationalrat Felix Müri in Bundesbern eine Interpellation ein. In dieser finden sich auch Zahlen zum Kanton Solothurn: Demnach hätte der Kanton 2008 5 Niederlassungsbewilligungen wegen Straffälligkeit (andere Gründe nicht mitgerechnet) entzogen, 2009 lediglich eine einzige. 2010, im Jahr der Diskussion um die Ausschaffungsinitiative wären es dann sieben gewesen, 2011 10. In Solothurn beteuert man aber, dass diese Zahlen nicht bekannt seien.
«Die Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative erfolgte im November 2010. Ab dem Jahr 2011 wurde intern eine entsprechende Statistik angelegt», sagt Peter Hayoz, Leiter des Solothurner Migrationsamtes. «Das Zentrale Migrationsinformationssystem des Bundes, welches unser Hauptarbeitsinstrument ist, bietet keine Erfassungs- bzw. Auswertungsmöglichkeiten bezüglich des Widerrufs von Niederlassungsbewilligungen aufgrund von Straffälligkeit.» Dass vor 2010 keine Statistik geführt wurde, ist auch in anderen Kantonen der Fall.