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Kanton Solothurn
Viele Wahllokale im Kanton Solothurn blieben am Wochenende verwaist. Grund ist der hohe Anteil von brieflichen Wählern. 94 Prozent entschieden sich bei den Kantonsratswahlen für die «bequemere» Stimmabgabe.
Der Akt des Wählens hat etwas Erhabenes. Man spaziert am Sonntagmorgen durch das Dorf, betritt das Wahllokal und wirft den Zettel unter den wachsamen Augen der Wahlhelfer in die Urne. Man fühlt sich als mündiger Bürger, spürt den Geist der direkten Demokratie. Doch der Gang ins Wahllokal ist heutzutage ein einsamer. Die grosse Mehrheit wirft ihre Entscheidung lieber durch den gelben Briefkastenschlitz anstatt in die mausgraue Urne.
Das zeigt auch die neueste Statistik der Solothurner Staatskanzlei. So suchten bei den Kantonsratswahlen vom letzten Wochenende noch 3837 Solothurner das Wahllokal in ihrer Gemeinde auf, was 6 Prozent der Wähler entspricht. Anders ausgedrückt: 15 von 16 Personen gaben ihre Stimme über den Postweg ab oder gaben das Couvert direkt bei der Kanzlei ab. Ein neuer Höchstwert bei Kantonsratswahlen. 2005 besuchten noch 12.8 Prozent ein Wahllokal auf (siehe Tabelle unten).
Die tiefe Zahl Urnengänger hat vor allem Auswirkungen auf kleine Gemeinden. Das extreme Beispiel ist Beinwil. Obwohl die Gemeinde die höchste Wahlbeteiligung im ganzen Kanton hat, blieb das Wahllokal am Sonntag verwaist. Niemand warf einen Zettel in die Urne, alle 124 Wähler gaben ihre Stimme per Brief ab. Ein trauriges Szenario für Wahlbüromitarbeiter, die vergeblich auf «Kundschaft» warten. Besser hatten es ihre Kollegen in allen anderen Solothurner Gemeinden. Hier kreuzte zumindest ein Wähler auf.
Untätig herumstehen frustriert. Darum haben viele Gemeinden reagiert, die Anzahl Wahllokale reduziert oder die Öffnungszeiten verkürzt. Letzteres ist erst seit einer kantonalen Gesetzesänderung möglich. Bis dahin musste jede Gemeinde zumindest am Sonntagmorgen zwischen 10 bis 12 Uhr das Wahllokal offen halten. Seit 2007 können die Gemeinden nun eine verkürzte Öffnungszeit beantragen.
«Wir erhalten regelmässig neue Gesuche von Gemeinden, die die Öffnungszeiten ihres Wahllokals verkürzen möchten», sagt die Stellvertretende Staatsschreiberin Pascale von Roll. Die Gesuche werden in der Regel bewilligt. Vorausgesetzt, die beantragte Öffnungszeit beträgt noch mindestens eine Stunde. 64 Gemeinden haben bisher die Öffnungszeiten ihrer Wahllokale reduziert. Seewen bereits zweimal. Zuerst auf eineinhalb Stunden, seit dem letzten Jahr hat das Wahllokal im Dorf nur noch eine Stunde geöffnet. Dies reicht auch aus.
Rund 1000 Menschen leben in der Gemeinde, 5 von ihnen suchten am Sonntag das Wahllokal. Die anderen Stimmberechtigten wählten brieflich oder gar nicht. «Das ist meistens so», gibt Gemeindepräsident Thomas Müller-Vögtli Auskunft. «Spätestens sobald gar niemand mehr kommt, bräuchte es eigentlich kein Wahllokal mehr.» Eigentlich. Denn die Gemeinde ist gesetzlich verpflichtet, ein Wahllokal zu führen. «Man sollte die Abschaffung dieser Pflicht zumindest diskutieren», fordert der Gemeindepräsident.
Für die Abschaffung müsste das Bundesgesetz geändert werden. Darin heisst es: «Der Stimmberechtigte kann seine Stimme sowohl persönlich an der Urne oder brieflich abgeben.» Eine Änderung stehe derzeit nicht zur Debatte, teilt die Bundeskanzlei auf Anfrage mit. Bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen hätte der Kanton Spielraum für eigene Regeln. «Dies macht aber aus rein praktischen Gründen keinen Sinn», sagt Von Roll von der Staatskanzlei. Zudem ergänzt sie: «Das Wahllokal hat Tradition. Es gibt noch ein paar, die lieber an der Urne wählen, als per Brief.» Für die Gemeinden sei der Betrieb eines Wahllokals nicht mit einem grossen Mehraufwand verbunden. «Die Wahlbüromitarbeiter sind sowieso im Einsatz und vor Ort.» Von Roll weiss, wovon sie spricht. Die stellvertretende Staatschreiberin ist auch noch Gemeindepräsidentin von Balm bei Günsberg. Hier, wo am Sonntag nur eine Person ins Wahllokal kam.
Auch für Politologe Uwe Serdült vom Zentrum für Demokratie in Aarau ist die Zeit der Wahllokale noch nicht abgelaufen: «Man muss so viele Wahlkanäle wie möglich offen halten», sagt er. «Vor allem für die kurzfristigen Wähler gibt es sonst keine Alternative». Ein Zweck, den das Wahllokal selbst bei einer allfälligen Einführung von E-Voting weiterhin erfüllen müsste. Denn aus Sicherheitsgründen könnte man E-Voting nur bis Samstagmittag ermöglichen. Doch Serdült hat Verständnis für Gemeinden, für welche die gesetzliche Pflicht eine Last darstellt. «Man muss immer Leute finden, welche die Wahlurne betreuen.»
Dass diese Tätigkeit in kleinen Gemeinden nicht immer gleichbedeutend mit Langeweile ist, zeigt Kienberg. Hier wird noch an der Urne gewählt. 20 der 114 Wähler gaben ihre Stimme im Wahllokal ab. Den besseren Schnitt weist nur die Kleinstgemeinde Kammersrohr auf: 3 gingen hier zur Urne – 33 Prozent aller Wähler.