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Kanton Solothurn
Nur ein Thema bei Merkel oder Macron? Der heftig umstrittene Unkrautvertilger beschäftigt auch die regionale Politik. Im Kanton Solothurn könnten sich nun erste Verbote durchsetzen.
Giftig oder nicht giftig? Krebserregend oder nicht krebserregend? Der Streit um Glyphosat scheint nicht enden zu wollen. Das weltweit am häufigsten eingesetzte Totalherbizid, entwickelt vom Saatgutkonzern Monsanto, erspart Landwirten die aufwendige Unkrautbekämpfung mit mechanischen Werkzeugen. Zur Anwendung kommt es ebenso entlang von Schienen und in privaten Gärten. Doch Umweltschützer warnen: Glyphosat gefährde die Gesundheit von Menschen und bedrohe die Artenvielfalt.
Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ist vor allem in Europa umstritten: Vom US-Konzern Monsanto entwickelt, kommt es seit 1974 zur Vernichtung von Unkraut und Gräsern zum Einsatz. Als Totalherbizid wirkt es auf sämtliche grüne Pflanzen und hat damit ein so breites Spektrum wie nur wenig andere herbizide Wirkstoffe. Vereinfacht erklärt, blockiert es ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen. Glyphosat steht im Verdacht, in Nahrungsmittel zu gelangen und Krebs auszulösen. Bewiesen ist das aber nicht. Ebenso warnen Umweltschützer vor möglichen Schäden für Tiere und Natur. Der Bundesrat will Glyphosat analog zur EU nicht verbieten. Im November dieses Jahres lehnte er eine entsprechende Motion der Grünen ab und bekräftige somit seine bisherige Haltung. (sda/sva)
Seit Jahren ringen Experten um Deutungshoheit. Bisweilen haben sie völlig gegensätzliche Haltungen, was die Schädlichkeit des Unkrautvertilgers angeht. Die Weltgesundheitsorganisation etwa deklarierte Glyphosat im Jahr 2015 als «wahrscheinlich krebserregend» für Menschen. Die EU-Lebensmittelbehörden und das Bundesamt für Landwirtschaft in der Schweiz kommen hingegen zum Schluss, dass die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine solche Einstufung nicht ausreichten.
Glyphosat birgt politische Sprengkraft. Wie sehr die Fronten verhärtet sind, zeigt der jüngste Beschluss der Europäischen Union, die Zulassung um fünf Jahre zu verlängern. Ein Leitentscheid. In der deutschen Bundesregierung von Angela Merkel liegen die Nerven blank, nachdem CSU-Agrarminister Christian Schmidt im Alleingang für die Verlängerung stimmte. Derweil hat die französische Regierung von Emmanuel Macron genug und will Glyphosat bis 2022 verbieten.
Längst jedoch durchdringt das Thema auch die Niederungen der Regionalpolitik – auf Kantonsebene und selbst in den Gemeinden. Die viel zitiere Globalisierung des Lokalen, sie lässt sich am Beispiel Glyphosat eindrücklich beobachten. «Global denken, lokal handeln»? Ein Herbizid könnte sinnbildlich dafür stehen.
Der Solothurner Kantonsrat wird sich in den nächsten Monaten mit der Frage beschäftigen, ob die Kantonsbehörden künftig auf den Einsatz von Glyphosat verzichten müssen. So verlangt es der SP-Kantonsrat Stefan Oser in einem parlamentarischen Auftrag. Der Regierungsrat wird kommende Woche dazu Stellung beziehen; zuerst wollte man in Solothurn offenbar den Richtungsbefehl aus Brüssel abwarten. Osers Vorstoss wird von 36 weiteren Kantonsräten mitgetragen. Zu den Unterstützern zählen Parlamentarier aus den Reihen von SP, CVP, Grüne und GLP. Stimmen ihre Fraktionen geschlossen für den Auftrag, darf dieser im Kantonsrat bereits auf eine komfortable Mehrheit zählen.
Es bestehen also gute Chancen, dass der Einsatz von Glyphosat im Solothurnischen eingeschränkt wird. Sozialdemokrat Oser sieht darin eine grosse Chance: «Der Kanton kann ein Zeichen dafür setzen, dass er sich für eine umweltverträgliche Unkrautbekämpfung starkmacht.» Glyphosat sei nicht nur wegen seines potenziellen Krebsrisikos umstritten, sondern auch, weil es bei unsachgemässer Anwendung die Schleimhäute und die Augen reizen könne. Oft wirke es zudem dort, wo sich gar keine Schadorganismen befinden.
Der SP-Kantonsrat aus Hofstetten-Flüh betreibt ein eigenes Pflanzengeschäft. Den Einsatz von Herbiziden beobachtet er seit Jahren kritisch. Auf dem Markt gibt es mittlerweile genügend Alternativen, davon ist Oser überzeugt. Er spricht von regelmässigen Strassenreinigungen und Ausreissen nach feuchter Witterung, von Spritzbehandlungen mit Pelargonsäure und von Behandlungen mit Zuckerschaum. «Zudem könnten bei diesen Methoden anstelle des US-Multis Monsanto eher Schweizer Unternehmen berücksichtigt werden», sagt er.
Wo Glyphosat auf Pflanzen gesprüht wird, wächst sprichwörtlich kein Gras mehr. Auf Kantonsstrassen, Böschungen und Grünstreifen sind heute sogenannte Einzelstockbehandlungen von Problempflanzen mit Herbiziden erlaubt. Als Oser mittels parlamentarischer Anfrage wissen wollte, ob man sich bei den Behörden den Einsatz von Alternativen vorstellen könnte, zeigte sich der Regierungsrat offen. «Aus unserer Sicht steht diesem Anliegen nichts entgegen und wir sind bereit, die aufgezeigten Alternativen in den Kreisbauämtern testen zu lassen», hiess es im Herbst 2016 dazu. Bereits heute werde Glyphosat im Strassenunterhaltsdienst «sehr zurückhaltend eingesetzt». Genaue Zahlen dazu nennt das zuständige Baudepartement allerdings keine.
Unabhängig davon gibt man beim Kanton zu bedenken, dass die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Erst im November hat sich der Bundesrat abermals gegen ein Verbot von Glyphosat ausgesprochen. Einerseits seien andere zugelassene Herbizide für die Umwelt noch schädlicher. Andererseits gebe es für viele Anwendungsbereiche derzeit als Alternative bloss die mechanische oder thermische Vernichtung, relativiert die Landesregierung. Diese Bekämpfungsmethoden erforderten mehr Energie und Arbeit. Auf dieses Paradox verweist auch das Solothurner Baudepartement. Im Bucheggberg liess es im Jahr 2016 testen, wie sich Unkraut mittels Wasserdampf beseitigen lässt. Das Resultat habe «nicht überzeugen können».
Glyphosat nicht verbieten, den Verbrauch aber einschränken: Diese Haltung ist gerade bei Vertretern der Landwirtschaft verbreitet. Beim Solothurner Bauernverband hält man wenig von einem «voreiligen Totalverbot». Man müsse sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft stützen, sagt Bauernsekretär Peter Brügger. «Entscheidend ist, was die Behörden erlauben und was nicht. Derzeit gibt es keinen Anlass, die Zulassung zurückzuziehen.»
Unbestritten sei das Anliegen, den Verbrauch von Herbiziden zu reduzieren. Und in der Landwirtschaft herrsche Bereitschaft, den Einsatz wenn nötig zu überdenken und Ausschau nach Alternativen zu halten. Brügger unterstreicht, in der Schweiz werde Glyphosat «restriktiver und im weltweiten Vergleich relativ wenig eingesetzt». Tatsächlich ist es unter anderem verboten, das Mittel direkt auf Nutzpflanzen und kurz vor der Ernte auszubringen. Ausserdem gibt es Vorschriften, die beispielsweise den Abstand zu Gewässern betreffen.
Manchen Gemeinden geht das trotzdem zu wenig weit. Sie wollen nicht warten, bis die höheren Staatsebenen den Einsatz von Glyphosat doch noch einschränken, und verfügen eigene Verbote. Die Aktion «Meine pestizidfreie Gemeinde» von Greenpeace verzeichnet mehrere Dutzend Ortschaften, die auf Glyphosat verzichten. Hofstetten-Flüh findet sich bisher nicht auf der Liste. Gleichwohl hat die örtliche Werkkommission, der auch SP-Politiker Stefan Oser angehört, schon vor Längerem vorgesorgt: Die technischen Dienste sind angewiesen, auf dem Boden der Leimentaler Gemeinde keine Herbizide mehr zu versprühen.