Urs Huber
«Solange ich mich aufregen kann, ist es kein Problem, Kantonsrat zu sein»

Urs Huber ist der dienstälteste Solothurner Kantonsrat. Zum Ende seines Jahres als Kantonsratspräsident blickt der Niederämter SP-Mann auf den Wandel in 25 Jahren Solothurner Politik zurück und analysiert künftige Gefahren.

Lucien Fluri
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2017 war Urs Huber der höchste Solothurner. Der 56-Jährige sitzt seit 1997 ununterbrochen im Kantonsrat.

2017 war Urs Huber der höchste Solothurner. Der 56-Jährige sitzt seit 1997 ununterbrochen im Kantonsrat.

Hanspeter Bärtschi

Als Querdenker ist SP-Mann Urs Huber im Kantonsrat bekannt – seit langem: 1989 wurde er erstmals in den Rat gewählt. Nach einem Unterbruch ab 1993 sitzt er seit 1997 ununterbrochen im Rat. Dieses Jahr wurde es um den meinungsstarken Niederämter etwas ruhiger – weil er plötzlich mehr zu sagen hatte: Als Kantonsratspräsident und höchster Solothurner musste sich der 56-jährige Obergösger in den Kantonsratssitzungen mit eigenen Meinungen zurückhalten, erhielt dafür aber von Amtes wegen die Gelegenheit für zahlreiche öffentliche Auftritte.

Urs Huber, Sie sind mit Abstand der dienstälteste Kantonsrat.

Urs Huber: Ich habe immer gesagt: Solange Du dich aufregen kannst, ist das kein Problem. Würde ich nur halblahm politisieren, hätte ich längst aufgehört.

Ihre Voten im Kantonsrat waren oft pointiert. Als Kantonsratspräsident mussten Sie jetzt ein Jahr lang stillsitzen. Wie schwierig war dies?

Ich hatte mir das schwieriger vorgestellt. Ich dachte: In diesem Amt bist du ein politischer Eunuch. Das stimmt aber nicht. Ich konnte bei Auftritten zahlreiche Reden halten und durchaus pointierte Aussagen machen. Man kann das Amt nutzen, um eine politische Stimmung zu prägen und auch Zeichen zu setzen.

Es hat Sie nie gejuckt, im Kantonsrat in die Debatten einzugreifen?

Manchmal schon. Aber es gab auch Momente, wo ich dachte: Jetzt sollte man nichts mehr zu einem Thema sagen. Man kann etwas zerreden oder ihm mehr Gewicht geben als es verdient. Gerne hätte ich aber etwas zu den Poststellen gesagt. Mich als Gewerkschafter nerven diese Reorganisierungsorgien bei Grossunternehmen. Die Mitarbeitenden gehen da vergessen.

Sie wurden 1989 erstmals gewählt. Wie hat sich die politische Kultur seither verändert?

Natürlich ist die Politik zugespitzter geworden. Ich frage mich aber, ob die Unterschiede so gross sind. 1989 tauchte die Autopartei auf und die Grünen wurden stärker. Die damalige Autopartei und die SVP haben einen ähnlichen Stil. Der grosse Unterschied liegt bei der FDP. Sie hat nicht mehr die frühere Dominanz und politisiert nicht mehr so staatstragend.

Computer gab es damals auch noch nicht.

Ja. 1989 kamen die Vorlagen per Papier und man hat sich dann langsam vorbereitet. Heute kommt etwas digital und die Medien melden sich. Sofort muss man Stellung beziehen. Und zwei Tage später kommt schon das nächste Thema. Ich glaube nicht, dass dies eine gesunde Entwicklung ist. Die Welt als Breaking News halte ich für schwierig.

Inwiefern?

Der Blick fürs Relevante droht verloren zu gehen. Man soll nicht aus allem ein Problem machen. Aber die richtigen Probleme sollte man angehen. Das fehlt manchmal. Wir haben heute einerseits Schönredner und andererseits Skandalisierer. Wenn Du alles schönredest, nimmst Du die Probleme nicht wahr. Und wenn man alles skandalisiert, hebt sich das echte Problem nicht mehr von den anderen ab. Man hat dann stundenlange Diskussionen um einige Zehntausend Franken, die an das Landfrauen-Catering verteilt worden sind. Ein Globalbudget über 110 Millionen winkt man aber relativ schnell durch.

Sie haben kürzlich von der «Prepaid-Gesellschaft» gesprochen.

Prepaid heisst: Ich zahle genau dann, wenn ich etwas brauche; und nur dafür. Dieses libertäre Denken stelle ich immer öfters fest. Ich habe Angst, dass wir nicht realisieren, was wir damit anrichten. Die Schweiz ist, so wie sie heute besteht, ein Gemeinschaftsstaat. Wir beschliessen als Gesellschaft, was wir gemeinsam wollen. Die ganzen Randregionen und die Landwirtschaft könnten wir ohne dieses Gemeinschaftsdenken vergessen. Oder sollen die Leute, die keine Kinder haben, plötzlich nicht mehr für die Schule bezahlen? Das geht doch nicht auf. So entsteht eine Gesellschaft, in der wir uns nicht wiedererkennen.

Sie reisten als höchster Solothurner von Grenchen über Gretzenbach bis Dornach. Was für einen Kanton erlebten Sie?

Was mir an unserem Kanton gefällt: Wir sind normal im positiven Sinn. Niemand hat das Gefühl, wir seien etwas besonderes. Wir verkaufen uns nicht sehr. Vielleicht sollten wir das mehr. Trotzdem haben wir keinen Minderwertigkeitskomplex. Solothurner sind in der Schweizer Politik geschätzt. Sie kommen überdurchschnittlich oft in Ämter, weil man sie für konstruktiv und bodenständig hält. Es gibt in Bern keine blöden Witze über Solothurn.

Es gibt eine Kehrseite: In der Solothurner Politik ist man sehr nett miteinander. Angriffe gibt es nicht.

Man kann doch pointiert und angriffig sein, aber nicht verletzend oder mit dem Unterton, der andere habe keine Ahnung. Ich finde: Prinzipien sind enorm wichtig. Aber wenn es in Prinzipienreiterei oder Ideologie kippt, ist das etwas vom Schrecklichsten, das ich mir vorstellen kann. Es können nicht alle bei ihrer Meinung bleiben und in Schönheit sterben. Jeder Politiker sollte sich da fragen: Machst Du für Dich Politik oder willst Du Lösungen für die Menschen? Vielleicht geht es und gerade deshalb so gut, weil wir zwar unterschiedliche Meinungen haben, aber gemeinsam Lösungen finden. Nach dem Motto: Jede Brücke hat mehrere Pfeiler. Ich bin ein linker Pfeiler. Aber es braucht verschiedene Pfeiler, damit eine Brücke funktioniert.

Ideologien sind aber der SP auch nicht fremd.

Ich nerve mich immer, wenn man die SP so wahrnimmt. Wo sind wir denn ideologisch? Im Regierungsrat des Kantons Solothurn? Wir machen eine reale sozialdemokratische Politik. Und dann sehe ich irgendwelche Leute, die uns als ideologisch abhandeln aufgrund des Parteiprogrammes, das im realen Leben völlig untergeordnet ist.

Sie sind in Ihrer Gemeinde stark verankert. Die Identifikation mit der Gemeinde nimmt ab. Merkt man dies als Kantonsratspräsident?

Ja. Ich stelle fest, dass einige Gemeinden in den Status Schlafgemeinde rutschen. Das finde ich schade. Es erscheinen immer die gleichen an der Gemeindeversammlung und der Musikunterhaltung. Die 1700 anderen bleiben fern.

Was kann man als Politiker dagegen machen?

Ich habe versucht, mit möglichst vielen Leuten in Kontakt zu treten. Als Kantonsratspräsident kommt man überall hin von Amtes wegen und begegnet Leuten, die man nicht kennt. Ich fand das toll. Und ich bin erstaunt, wie sehr die Leute dies schätzen; ob beim Turnfest oder beim Industrieanlass. Und man darf nicht im luftleeren Raum politisieren. Man muss sich immer feedbacken. Ich finde: Politiker, die Umfragen brauchen, um zu wissen, was das Volk denkt, haben ein Problem. Ich hatte ein Privileg; nämlich immer in verschiedenen Welten zuhause zu sein. Ich komme zwar nicht vom Land, aber aus einem Dorf, wo ich immer in Vereinen war. Einen Grossteil meiner Freizeit habe ich trotzdem in der Stadt verbracht. Ich lebte in beiden Welten. Ich habe zudem zehn Jahre Schicht gearbeitet. Das hilft in der Politik. Ich frage mich jeweils: Kann ich meinen Kollegen erklären, was wir machen?

Welches war Ihr schönstes Erlebnis?

Es gibt viele schöne Anlässe. Aber eigentlich war die Obergösger Invasion in Solothurn schon das schönste Erlebnis. An der 1. August-Feier in Obergösgen habe ich die Bevölkerung dort eingeladen, nach Solothurn zu den Politikern zu kommen. 117 kamen und ich war selber baff und glücklich, wie sehr dies die Leute geschätzt haben.

Sie sind erster Ersatzmann auf der Nationalratsliste der Solothurner SP. Wäre es nach dem Jahr als Kantonsratspräsident nicht Zeit, nach Bern zu wechseln?

Das wäre eine spannende Aufgabe.

Dafür müsste Bea Heim zurücktreten. In der SP, so hört man, wünschen sich das einige Leute.

Es ist sicher nicht an mir, hier einen Kommentar dazu abzugeben.