«Auf einen Kaffee mit...»
Roberto Zanetti: "Wahlkämpfe gehen an die Substanz"

Roberto Zanetti hat über zwanzig eigene Wahlkämpfe erlebt und war an etlichen weiteren als Mitstreiter beteiligt. Unser Gesprächspartner kann also bestens nachfühlen, wie den Kandidaten an Tagen der Entscheidung zumute ist.

Theodor Eckert
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Ständerat Roberto Zanettis erster Wahlkampf geht auf das Jahr 1977 zurück. Seinen letzten hat er 2015 geführt. Da gibt es einiges zu berichten.

Ständerat Roberto Zanettis erster Wahlkampf geht auf das Jahr 1977 zurück. Seinen letzten hat er 2015 geführt. Da gibt es einiges zu berichten.

Andreas Kaufmann

Morgen Sonntag geht für die Kandidatinnen und Kandidaten des künftigen Solothurner Parlaments der Wahlkampf zu Ende. Gleiches gilt für die Anwärter auf einen Sitz in der Regierung – zumindest, wenn ihr Resultat zu wünschen übrig lässt. Wahlkämpfe sind kein Zuckerschlecken. Wer hoch hinaus will, kann sich keine Schwächen leisten. Verlangt werden psychische und physische Dauerpräsenz. Erfolgsgarantie gibt’s keine.

Wenn im Kanton Solothurn einer ein Lied davon singen kann, so ist es Roberto Zanetti. Bis auf den Bundesrat hat er für alles kandidiert und ist überall durchmarschiert. In der Boxersprache würde man sagen: 22 Kämpfe hat er seit 1977 bestritten, lediglich einen hat er nach Punkten verloren. Das war 1989 als Kantonsrats-Aspirant. Doch das Gemeindepräsidium in Gerlafingen hat der Jungspund damals erobert. Einmal ging er allerdings auch K.o. Richtig, das war 2005, als er im Nachgang zu einer verzwickten Spendengeschichte bei der Wiederwahl als Regierungsrat voll in den Hammer lief. Doch aus allen anderen Wahlkämpfen ging er siegreich hervor. Zuweilen glanzvoll, als bestgewählter Kantonsrat. 2009 gar mit einer Stimmenzahl, die ihm zuerst jemand nachmachen muss. Eine beachtliche Bilanz, wenn man sich die ewig erfolglosen Dauerkandidaten vor Augen hält.

Stehaufmännchen

Einen roten Wahlkampf-Faden über all die Jahre erkennt der heutige Ständerat nicht. Es sei wirklich jedes Mal anders gewesen, erinnert er sich. Immerhin, früher sei bei Diskussionsveranstaltungen zuweilen ein Bier aufgetischt worden und nicht bloss ein stieres Mineralwasser ohne Blöterli, frotzelt er mit einem Augenzwinkern. Überhaupt, wenn es dann einen Sieg zu feiern gab, wie zum Beispiel 1989 als Gemeindeammann, sei die Post abgegangen. Im Gerlafinger «Kreuz» hätten weit über 200 Personen vorbeigeschaut. Freund und Feind, und trotzdem habe er am anderen Morgen mit der Rechnung lediglich zwei zerschlagene Biergläser und zwei kaputte Aschenbecher bezahlen müssen. Zanetti schmunzelt heute noch, wenn er in solchen Erinnerungen schwelgt.

Eine ernste Miene, begleitet von Stirnrunzeln setzt er auf, wenn er vom Annus horribilis zu erzählen beginnt, als er die regierungsrätliche Bestätigungswahl nicht schaffte. Diese Wunden müssten eigentlich längst verheilt sein. Zu erfolgreich war er seither auf politischer Ebene, und dennoch, es wurmt ihn immer noch. Verstecken kann er es nicht. Eine stille Wut über sich selbst, dürfte es sein. Er, der doch so viel für andere getan habe, sollte über Nacht korrupt geworden sein. Unvorsichtig-gutgläubig ja, käuflich auf keinen Fall. Natürlich wusste er damals, dass es eng werden würde. Der fadengerade Niederschlag tat dennoch weh. Ganz besonders für einen, der ein Liebesverhältnis zu seinen Wählerinnen und Wählern pflegt, wie es Zanetti ausdrückt. «Röbu», wie er von vielen genannt wird, hatte hart daran zu beissen, als ihm die Liebe aufgekündigt wurde. Umso stärker hat sich bei ihm eingeprägt, wie sich selbst politische Gegner um ihn gekümmert haben, als er flach auf den Brettern lag – alle viere von sich gestreckt, Zunge bei Fuss.

Unsinnige Standaktionen

So weit, so schlecht, lieber Roberto Zanetti, aber wie war das generell mit dem Wahlkampf-Feeling. Mit seinen 62 Jahren ist er auf seinem politischen Mount Everest angelangt. Obwohl abgeklärt, erzählt er in seiner von Emotionen geprägten, Anekdoten-geschwängerten Art von den mühsamen Standaktionen («das ist doch Belästigung der Samstag-Einkaufenden»), vom Kribbeln am Wahlsonntag («Adrenalin pur») und der höllischen Unlust gegenüber zweiten Wahlgängen («ganze Maschinerie nochmals herauffahren statt endlich geniessen»).

Zanetti gibt unumwunden zu, dass Wahlkämpfe an die Substanz gehen. Das eigene Konterfei überall am Strassenrand zu sehen, sei auch kein besonderer Genuss. Nein, das habe er nie gebraucht. Gleichzeitig steht er dazu, dass praktische alle Politiker über eine solide Portion Eitelkeit verfügen. «Wer menschenscheu ist, wird in diesem Teich unbemerkt untergehen.» Wer nicht schwindelfrei sei, werde schliesslich auch nicht Dachdecker. In einer medial aufgeheizten Zeit müsse man spätestens auf nationaler Ebene herausstechen oder zumindest irgendwie auffallen.

Proporz- oder aber Majorzwahlen – da ortet der ehemalige Nationalrat (auch das hat er geschafft, ohne in diesem Biotop besonders glücklich zu werden) einen riesengrossen Unterschied. Wer auf einer Parteiliste antrete, sei aufgehoben, mitgetragen von seinen Gesinnungsgenossen, quasi in einem geschützten Rahmen. Anders bei Personenwahlen. Das könne brutal sein, da seien die Weichteile exponiert.

Dementsprechend erinnert er sich an diverse Leserbriefe unter der Gürtellinie. So habe ein Vertreter der selbst ernannten Familienpartei geschrieben, ein Kandidat ohne Familie sei für ein hohes Amt nicht zu gebrauchen. Dem habe dann allerdings seine erboste Mutter telefonisch gesagt, wo Gott hocke. Ihr Sohn sei durchaus Teil einer Familie. Ungeachtet dessen hat sich auch Zanetti dem Spiessrutenlauf Wahlkampf immer wieder gestellt. Nach der 2005er-Rekonvaleszenz kam 2009 die glanzvolle Wiederwahl in den Kantonsrat. 2010, 2011 und 2015 die Wahlen in den Ständerat («dort geht es wesentlich unaufgeregter zu als in der grossen Kammer»). Die Wahlen ins Stöckli waren beileibe keine Selbstläufer, wie der Blick auf die Liste der Konkurrenten zeigt.

Der Politik habe er sehr viele schöne Momente zu verdanken. Auch eindrückliche: So habe ein ausgesprochen harter politischer Gegner einen Zanetti-Wahlplakat-Vandalen auf frischer Tat ertappt und diesen aufgefordert, sich beim offenbar verhassten Sozi zu entschuldigen. Was dann auch tatsächlich geschehen sei.

Eine Prognose, bitte

Selbstverständlich schaut auch Roberto Zanetti diesem Wahlwochenende mit Spannung entgegen. Wie wär’s mit Prognosen, Herr Ständerat? Schweigen. Wir müssen ihm die Würmer richtiggehend aus der Nase locken.

Dann endlich: Eigentlich müssten, könnten, sollten seine Genossen im Nachgang zur Abstimmung über die Steuerreform zulegen können. Richtig siegesgewiss klingt allerdings anders. Bezüglich «seiner» Regierungsratskandidatin glaubt er nicht, dass etwas anbrennt. Am politischen Rucksack fehle es jedenfalls nicht. Und sonst? Die Freisinnigen machten einen leicht nervösen Eindruck auf ihn. Mehr ist ihm nicht zu entlocken. Dafür liefert der Weltmeister aller Klassen in Sachen Wahlkampf ein letztes Müsterchen. Das sei hier ja das Thema.

Abgesehen von seinen eigenen 22 Wahlkämpfen habe er bei einer weiteren Anzahl Wahlkämpfen mitgeholfen. Zanetti der Wahlhelfer. 1991 zum Beispiel, als Schang Hutter mit dem Ständerat liebäugelte. Damals seien sie zusammen mit Ross und Wagen durchs Solothurnerland gezogen. Einseitig bedruckte Zettel hätten sie verteilt. Heute würde man den Dingern wohl Flyer sagen. Ein Bauer am Strassenrand habe ihn kritisch gemustert und gefragt, was er denn für einer sei. Zanetti sei sein Name. Worauf der Bauer geantwortet habe: Aha, auch schon gehört, dann sei er wohl der Bueb des Gerlafinger Gemeindepräsidenten. Zanetti stellte die Sache richtig, worauf der Bauer meinte, dann werde er wohl dem anderen auf dem Karren oben die Stimme geben.

Wahlkampf ist hart, Wahlkampf kann aber durchaus auch Spass machen. Für welche 100 Parlamentarier sich die Ochsentour gelohnt hat, wird sich spätestens morgen Nachmittag zeigen. Sämtliche fünf Regierungsräte werden wir dann kaum schon kennen. Das Thema Wahlkampf bleibt uns ob so oder so erhalten.