Predigtkurse
«Nachhilfe» beim Predigen: Seelsorger sollen Kirchgänger besser ansprechen

Bischof Gmür schickt seine Seelsorger in Predigtkurse. Sie sollen näher bei den Menschen predigen, sagt Thomas Kyburz, Bildungsverantwortlicher des Bistums. Um zu überleben, brauche die Kirche die Brücke zu den Leuten.

Lucien Fluri
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Bischof Felix Gmür liest die Predigt. Er wünscht sich, dass das, was die Seelsorger verkünden wollen, bei den Menschen auch ankommt und etwas auslöt. (Archiv)

Bischof Felix Gmür liest die Predigt. Er wünscht sich, dass das, was die Seelsorger verkünden wollen, bei den Menschen auch ankommt und etwas auslöt. (Archiv)

Michel Lüthi

Salopp gesagt, schickt der Bischof seine Prediger in die Nachhilfe. Was ist schlecht an den Predigern im Bistum Basel?

Thomas Kyburz: Pauschal kann man sicher nicht sagen, dass die Predigerinnen und Prediger im Bistum Basel schlecht sind.

Wo hapert es denn?

Es gibt nicht ein klares Defizit. Die Anregung des Kurses soll sein, sich der Herausforderung zu stellen. Denn es ist eine bleibende Herausforderung für Predigerinnen und Prediger, dass das, was sie verkünden wollen, bei den Menschen auch ankommt und etwas auslöst. Das gelingt nicht immer. Wenn Beispiele gebracht werden, die nichts mit mir und meiner Lebensrealität zu tun haben, dann hat die Predigt nicht funktioniert. Deshalb braucht es die Kenntnis der Lebenswelten von heute. Wenn zum Beispiel einem Prediger die Realität der Jugendlichen fremd ist, wird es für ihn schwierig.

«Eine gute Predigt löst etwas aus», sagt Thomas Kyburz-Boutellier, Bildungsverantwortlicher des Bistums Basel.

«Eine gute Predigt löst etwas aus», sagt Thomas Kyburz-Boutellier, Bildungsverantwortlicher des Bistums Basel.

Lucien Fluri

Sie wollen näher bei den Menschen sein und ein grösseres Publikum erreichen?

Das ist ganz klar die Anforderung an alle, die predigen. Es geht nicht nur darum, diejenigen anzusprechen, die jeden Sonntag kommen. Es gibt immer wieder Anlässe, wo Leute in die Kirche kommen, die selten oder nie im Gottesdienst sind; etwa an Firmungen, Taufen, Weihnachten oder Ostern. Das sind Gelegenheiten. Wenn wir diese Leute nicht abholen können, haben sie keinen Anreiz, wiederzukommen. Wenn es uns nicht gelingt, die Leute anzusprechen, werde die Kirche untergehen, hat der deutsche PR-Mann Erik Flügge gesagt. Vor dieser Herausforderung stehen wir als Kirche heute tatsächlich. Die Predigtausbildung soll wie einen frischen Wind ermöglichen. Es braucht ein Gespür: Wie erreiche ich die Leute.

Es ist auch eine Aufforderung, zu den Leuten rauszugehen und weniger vom Buch her zu predigen?

Ja. Eine gute Predigt kann nicht nur am Schreibtisch entstehen, sondern braucht die Begegnung mit Menschen, mit ihren Hochs und Tiefs. Bischof Felix ist da ein gutes Beispiel. Ihm ist wichtig, mit vielen Leuten in Kontakt zu sein.

Zur Person

Thomas Kyburz-Boutellier (52) ist Bildungsverantwortlicher des Bistums Basel. Er hat Theologie studiert und lange Jahre in der Jugendseelsorge gearbeitet. Er lebt mit seiner Familie im Aargau und arbeitet im Ordinariat in Solothurn.

Wann ist denn eine Predigt gut?

Es muss gelingen, die Brücke zu schlagen zu den Leuten, die vor mir sind. Eine Predigt ist dann gut, wenn die Menschen, die im Gottesdienst sind, angestossen werden, über ihren Glauben nachzudenken und etwas davon für ihren Alltag mitnehmen. Eine Predigt soll spannend, menschennah, gottvoll und erlebnisstark sein. Menschen sollen existenziell von der Botschaft Gottes angesprochen sein.

Das ist interessant. Lange hat sich die Kirche nicht darum gekümmert, dass man die Botschaft versteht. Gerade wenn man daran denkt, dass Latein gesprochen worden ist.

Das ist natürlich so, obwohl die Frage ist, wann man hinschaut: Gehen wir in die Anfänge zurück, war Latein eine Amtssprache, die verstanden wurde. Die Distanz entstand im Verlauf der Jahre. Martin Luther hat die Übersetzung der Bibel in die Volkssprache geleistet und auf Missstände hingewiesen. Dass es diese damals gab, darüber herrscht heute auch in der katholischen Kirche ein Konsens. Die katholische Kirche hatte da sicher Nachhilfebedarf. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil feierte man Gottesdienste in der Sprache, die das Volk versteht. Heute haben wir bei der Predigt wohl ähnlich hohe Ansprüche in der katholischen Kirche wie in der reformierten. Unser Gottesdienst lebt aber nicht nur von den Worten, sondern stärker auch durch Sakramente, Zeichen und Symbole.

Zurück zur Sprache. Heute spricht man Deutsch. Aber inwieweit versteht man die Symbolik noch. Wer weiss, was man sich unter dem «Lamm Gottes» vorstellen muss?

Das ist klar. Gewisse Bilder in der Bibel sind sehr weit weg von der Lebenswelt der Menschen heute. Auf der anderen Seite gibt es viele Elemente in der heutigen Lebenswelt, die von der Bibel geprägt sind. Es gibt viele Lebenssituationen, in denen wir nicht nur einen naturwissenschaftlich-abstrakten Sprachschatz haben. Es ist beim Glauben wie bei der Liebe: Man kann nicht alles in Worte fassen. Wir brauchen Symbole und Metaphern. Es ist Aufgabe des Predigers, solche Sprachbilder zu erschliessen.

Synonyme von Predigt sind Donnerwetter, Standpauke, Ermahnung. Das ist offenbar ein gängiges Bild.

Das ist ein Bild, das sich von früher eingeprägt hat und das noch in gewissen Filmen auftaucht. Ich selbst habe wenige Predigten erlebt, die noch diesem Klischee entsprochen haben. Schon länger haben die Predigten den Anspruch, ein Dialog zu sein. Mit den Menschen und mit Gott. Aber es stimmt: Zu einer gewissen Zeit war es wichtig, Betroffenheit herzustellen. Es gibt Seelsorger, die im liturgischen Kontext in einem Singsang sprechen, ganz anders, als wenn man miteinander spricht. Das ist nicht immer angemessen.

Darf eine Predigt provokativ sein?

Viele biblische Geschichten sind provokative Geschichten. Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel, ist so eine. Da geht es um die Problematik reicher Menschen, die am Materiellen hängen und die Not der Armen nicht sehen.

Das kann sehr schnell politisch werden. Darf das eine Predigt?

Es geht nicht um politische Einzelfragen. Und es geht nicht darum, zu sagen, wie sich jemand politisch verhalten soll. Es geht darum, Fragen zu stellen und vielleicht vorgefasste Haltungen infrage zu stellen sowie Grundwerte zu vermitteln.

Früher hatte man die Idee: Die Kirche sagt, so und so ist etwas, und du hast dich daran zu erhalten. Heute ist es umgekehrt so: Die Kirche macht ein Angebot.

Es gab lange die Tendenz, gerade in traditionelleren Kreisen, vermeintlich zu wissen, was richtig und was falsch ist. Aber es geht nicht darum, geschlossene Antworten zu geben, sondern offene. Wir verkünden Werte und Haltungen. Es geht darum, dem Menschen etwas mitzugeben, damit sie geschult werden, vor einer konkreten Herausforderung mittels Verstand und Glauben die Entscheide besser zu treffen. Jede Person ist selbst herausgefordert, die eigenen Antworten und Einstellungen zu reflektieren und anhand der Werte und Haltungen zu entscheiden, was richtig ist. Das kann man niemandem abnehmen.

Aber die Kirche gilt als moralische Instanz. Sie hat nur schon über das Wort Macht.

Die Kirche hat in vielen Bereichen klare Haltungen. Etwa in der Flüchtlingskrise, wo sich die Kirche für Menschen in Gefahr einsetzt, ohne zu sagen, dass es nur einen Weg gibt. Da waren es klare ethische Überlegungen, die dazu führten, dass die Kirche Position bezog. Ob ich aber der Kirche folge, ist ein individueller Entscheid. Vielleicht gewichtet jemand anders als die Kirche. Das heisst noch nicht, dass derjenige unchristlich handelt. Die moralische Instanz ist diejenige, die hinterfragt und nicht vorschnell richtet. Sie fragt: Ist dieser Wert genug gewichtet worden im Vergleich zu anderen? Eine moralische Instanz ist immer wieder eine hinterfragende Instanz, die ethische Wertediskussionen am Leben hält.