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Sieben Menschen starben am Montag in Solothurn durch einen Brand. Wie können Menschen – ob als selber direkt betroffenes Opfer oder als Helfer – am besten mit einem Unglück umgehen? Psychiater Thorsten Mikoteit spricht über «Bewältigungsstrategien».
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie am Montagmorgen von der Brandkatastrophe in Solothurn hörten?
Thorsten Mikoteit: Am Anfang war ganz einfach der Schreck über das Geschehene, mit dem man nicht rechnen konnte. Ich spürte natürlich eine unmittelbare Betroffenheit, die sich auch aufgrund der Nähe des Ereignisses ergab.
Und wann setzte die professionelle Auseinandersetzung über die psychischen Folgen für die Betroffenen ein?
Ich habe mir mit meinen Klinikkollegen überlegt, was die Psychiatrischen Dienste leisten können – insbesondere mit Blick auf unsere Kriseninterventionsangebote, die in solchen Situationen benutzt werden können.
Das Care Team der Landeskirchen hat in einer ersten Phase insbesondere Einsatzkräfte betreut. Wie wichtig ist eine solche Erstintervention?
Diese Interventionen sind erfahrungsgemäss sehr wichtig. Sie entscheiden nicht zuletzt über die weiteren Möglichkeiten, mit dem Erlebten einen guten Umgang zu finden. Daneben ist natürlich entscheidend, dass sich die Leute physisch und psychisch sicher fühlen, dass ihnen praktische Dinge ebenso angeboten werden wie das Gefühl, nicht allein zu sein. Es geht in diesem Moment weniger darum, über das Erlebte zu sprechen.
Die meisten Betroffenen finden in der Folge einen eigenen Weg in der Auseinandersetzung mit dem Ereignis. Bei anderen treten sogenannte posttraumatische Belastungsstörungen auf. Was ist typisch dafür?
Diese setzen erst nach einer gewissen Zeit ein. Die Betroffenen merken zum Beispiel, dass sie schlechter schlafen, Albträume haben, dass sie tagsüber Erinnerungsbilder vor Augen haben. Angst und Schrecken kommen gleichsam zurück. Das passiert manchmal erst nach Wochen oder gar Monaten. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung kleiner, als man gemeinhin vermuten würde. Sie beträgt nur 10 bis 15 Prozent. Die meisten Betroffenen sind in der Lage, unbeschadet aus dem Erlebten hervorzugehen.
Wie können Betroffene lernen, mit dem Wiedererleben, mit dem Erinnern an das Schreckliche umzugehen?
Wenn man eine Störung entwickelt, ist es wichtig, sie behandeln zu lassen, zumal sie in der Tat gut behandelbar ist. Es geht in einer psychotherapeutischen Intervention darum, das in der Erinnerung fragmentiert erscheinende Erlebnis in einem gesicherten rahmen zu rekapitulieren zu rekonstruieren. Auf diese Weise kann zusammenhängend nachvollzogen und verstanden werden, was passiert ist. Und so gelingt es auch, sich von der bisher unvollständigen Geschichte zu distanzieren und sie als Historie abzulegen.
Die Betroffenen kommen aus unterschiedlichen Kulturen. Kann das eine Rolle spielen bei der Bewältigung?
Ja, das ist sicher so, weil die kulturelle Prägung eines Menschen in verschiedenen Zusammenhängen von grosser Bedeutung ist. Die Strategien im Umgang mit der Schuldfrage beispielsweise sind sehr vom kulturell-religiös-spirituellen Kontext eines Menschen abhängig.
Wie wichtig ist es, dass die Brandkatastrophe in der Öffentlichkeit ein grosses Thema ist? Hilft das oder schadet es am Ende?
Das kommt sehr auf die Art und Weise an, wie und worüber diese Öffentlichkeit hergestellt wird. Es ist sicher so, dass Solidarität, Hilfeleistung, Unterstützung in der öffentlichen Befassung – sei es materiell oder immateriell – hilft. Dort, wo es um Voyeurismus und Sensationslust geht, wird das Gegenteil erreicht. Für die Betroffenen selber braucht es bei der Frage nach der Öffentlichkeit eine differenzierte Sichtweise. Die Wahrnehmung ist erstens individuell. Und zweitens spielt es auch eine Rolle, ob die Öffentlichkeit Erkenntnis und Einordnung erlaubt oder nicht.
Sagen Sie uns: Was ist nun über den Tag hinaus wichtig für die betroffenen Menschen?
Zunächst hat jeder Mensch seine eigenen Bewältigungsstrategien. So wie die Trauer sehr viele Gesichter hat. Das Verbindende ist dies: Es muss für alle weiter gehen. Die gemeinsame Gedenkfeier ist meines Erachtens ein guter Ausgangspunkt dafür, der Trauer einen Raum zu geben und gleichzeitig einen Weg zurück in die Normalität zu finden. Denn dieses Bedürfnis, dahin zurückzufinden, hat auch etwas Therapeutisches. Und zwar im Sinn von: Ich bin nicht allein. Ich habe eine Aufgabe. Ich habe ein Leben, das ich wieder in all seinen Facetten erleben will. Dazu gehört auch zu akzeptieren, dass Trauer und Schmerz nicht vergehen werden – und gleichzeitig zu erkennen, dass das Schreckliche allmählich verblasst. Es ist eine gute menschliche Eigenschaft, dass wir Schlechtes schneller vergessen als Gutes. Das ist ein gesunder Bewältigungsmechanismus. Und es ist just dies, was bei einer posttraumatischen Belastungsstörung eben nicht funktioniert und behandelt werden muss.