Justiz
Misshandeltes Baby: Politiker kritisieren verdeckte Ermittlung

Die Solothurner Staatsanwaltschaft schleuste Ermittler in das Umfeld einer Frau, die ihr Kind zu Tode misshandelt haben soll. Politiker fragen sich, ob die Ermittlungen angemessen waren. Doch dürfen Politiker überhaupt einzelne Verfahren kritisieren?

Lucien Fluri
Drucken
Die Ermittler hängten sich an die Fersen der Eltern. (Symbolbild)

Die Ermittler hängten sich an die Fersen der Eltern. (Symbolbild)

/KEYSTONE/ENNIO LEANZA

Es ist ein Fall, der niemanden kalt lässt. 2010 starb im Kanton Solothurn ein Säugling. Das Baby wies Anzeichen schwerer Misshandlungen auf. Die Eltern standen unter Verdacht, beriefen sich aber auf ihr Schweigerecht.

Die Todesursache des ersten Säuglings konnte bis heute nicht geklärt werden. 2012 kamen die Eltern mit einem weiteren Säugling ins Spital. Die Ärzte vermuteten ein Schütteltrauma. Und so ordnet die Solothurner Staatsanwaltschaft eine verdeckte Ermittlung an. Sechs Leute werden bis im Mai 2015 im Umfeld der Mutter verdeckt ermitteln, aushorchen und versuchen, beschuldigende Aussagen oder ein Geständnis zu erhalten.

Nur selten erhält die Öffentlichkeit Einblicke in solche Ermittlungen. Meist bleiben diese geheim. Dieser Fall wurde publik, als die Verteidiger der Frau in der Fachzeitschrift Plädoyer über die verdeckten Ermittlungen berichteten. Im Februar hatte das Solothurner Obergericht nämlich die verdeckten Ermittlungen als unzulässig erklärt.

Ermittlungsergebnisse dürfen demnach nicht verwendet werden. Denn die Staatsanwaltschaft habe, so das Obergericht, das verfassungsmässig garantierte Schweigerecht der beschuldigten Eltern missachtet. Der Fall ist inzwischen beim Bundesgericht hängig und somit noch nicht abgeschlossen.

«Parlament darf sich nicht in diesen Fall einmischen»

Am Dienstag nun war der Fall Thema im Kantonsrat. Die FDP-Fraktion fragte sich nämlich aufgrund dieses Falles, ob die Solothurner Staatsanwaltschaft verdeckte Ermittlungen verhältnismässig einsetze. Dabei zeigte sich allerdings ein grundlegendes Problem: Es gab Kantonsräte, die ein Unbehagen verspürten, weil hier Ermittler wohl ins Schweigerecht der Beschuldigten eingriffen.

Wenn diese Politiker aber Kritik übten, mussten sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie auf ein hängiges Verfahren Einfluss nehmen. Justizdirektor Roland Fürst etwa warf ihnen vor, die Gewaltenteilung zu ritzen. «Mit der Gewaltenteilung ist es wie mit einer Schwangerschaft. Es gibt sie nicht halb», hob er den Mahnfinger und fuhr weiter. «Ich habe leer geschluckt, als ich die Interpellation sah. Da wird Auskunft zu einem hängigen Verfahren verlangt.»

Urs Huber, wortgewaltiger SP-Fraktionssprecher (Obergösgen), zeigte sich ebenfalls erstaunt. «Weder die Regierung noch das Parlament darf sich in Einzelfälle einmischen.» Zudem wies Huber darauf hin, dass solche Massnahmen vom Haftgericht bewilligt werden müssen und somit einer Kontrollinstanz unterstünden. Seit 2005 habe es zudem nur gerade drei solche Fälle gegeben. «Jede weitere Diskussion über Verhältnismässigkeit erledigt sich somit.»

Fehler wollte der SP-Mann im Vorgehen der Staatsanwaltschaft auch nicht orten, obwohl diese vom Obergericht zurückgepfiffen worden war: «Wenn der Ausgang eines Verfahrens von Anfang an klar ist, braucht es keine Staatsanwaltschaft mehr.» Auch Huber sah ein grundsätzliches Dilemma: «Eine Partei spricht hier mit der Öffentlichkeit. Die andere kann und darf sich aufgrund eines hängigen Verfahrens nicht äussern. Sie ist somit vorneweg in der Defensive.» Schlicht für bedenklich erklärte CVP-Sprecherin Karin Kissling (Wolfwil), dass Details eines Einzelfalles im Kantonsrat diskutiert würden.

Fragen blieben offen

Wann dürfen Politiker die Justiz kritisieren und wann ist es eine Einmischung, die die Gewaltenteilung verletzt? Bei der FDP-Fraktion, die die Interpellation eingereicht hatte, herrschte zwar Verständnis dafür, dass zu einem hängigen Verfahren von der Regierung keine Auskunft erhältlich ist. Trotzdem stellten sich Zweifel ein, ob gewisse allgemein formulierte Fragen nicht doch auch etwas ausführlicher hätten beantwortet werden können. «Wir sind nicht befriedigt», sagte Fraktionssprecher Philipp Arnet (Biberist). SVP-Sprecher Hansjörg Stoll (Mümliswil) hätte ebenfalls kein Problem gesehen, wenn zumindest die Kosten der Aktion genannt worden wären.

«Die Beurteilung der Rechtmässigkeit in Einzelfällen ist Sache der Gerichte», hielt Barbara Wyss Flück (Grüne, Solothurn) fest. Wenn das Haftgericht aber einzelne grundsätzliche Urteile publizieren würde, würde damit auch Vertrauen geschafft.

Die Regierung hatte in ihrer Stellungnahme zur Interpellation grundsätzlich festgehalten, dass «einerseits nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden soll. Andererseits bedeutet dies ebenso, dass bei Massnahmen der Strafverfolgungsbehörden, um schwere Fälle aufzuklären, eben auch schwere Eingriffe gerechtfertigt sind.» Bei Tötungsdelikten sei der gesetzliche Auftrag besonders ernst zu nehmen. «Hier sind im Zweifelsfall lieber zu viele Ressourcen einzusetzen.» Verdeckte Ermittlungen würden aber nur «bei sehr schwerer Delinquenz» eingesetzt.

Konkreter nahm die Regierung zum Fall nicht Stellung. Sie zog einzig die Glaubwürdigkeit der Anwälte in Zweifel, die den Fall mit einem Artikel im Fachmagazin öffentlich gemacht hatten. Es handle sich nicht um neutrale Personen, «sondern um den Verteidiger einer beschuldigten Person und seinen Büropartner.» «Um Missverständnissen vorzubeugen, erscheint erwähnenswert, dass nicht davon ausgegangen werden darf, dass die angesprochene Publikation den Sachverhalt des konkreten Einzelfalles korrekt und objektiv wiedergibt.»