Milieu
Menschenhandel im Kanton Solothurn: Warum Ermittlungen besonders schwierig sind

2015 deckte die Solothurner Polizei fünf Fälle von Menschenhandel auf. 2016 waren es dank gezielter Ermittlungen 50 Fälle. Gestern gaben die Strafverfolger Einblick in ihre damalige Arbeit – und in ein Milieu, in dem Menschenwürde nicht viel zählt.

Lucien Fluri
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Dieser Salon in Balsthal gehörte zu den Etablissements, die im Rahmen der Ermittlungen geschlossen worden sind.

Dieser Salon in Balsthal gehörte zu den Etablissements, die im Rahmen der Ermittlungen geschlossen worden sind.

B. Kissling

Der Schlag war gezielt und erfolgreich. Aber aufwendig. Monatelang ermittelte 2015/16 eine Sonderkommission aus Polizei und Staatsanwaltschaft im Solothurner Thai-Sex-Milieu. Ihre Arbeit hatte Folgen: 50 Fälle von Menschenhandel wurden 2016 im Kanton aufgedeckt. Es kam zu mehreren Anklagen. Einige Täterinnen wurden bereits verurteilt, wie die Strafverfolger gestern in einer Medienkonferenz zum Thema Menschenhandel erklärten. Sie wollten damit auf ein Thema aufmerksam machen, zu dem es kommende Woche in Solothurn noch mehr zu erfahren gibt.

Eines war den Opfern gemeinsam, die die Ermittler antrafen: Sie sind meist jung, weiblich und mittellos. Deutsch sprechen sie nicht, der Bildungsstand ist tief. In den Bordellen haben sie kaum einen freien Tag, mitten in der Nacht werden sie geweckt, um Freier zu bedienen. Getan wird, was gewünscht wird. Der Sex ist mit Kondom oder eben auch ohne. «Die Einnahmen werden sofort eingezogen», erklärte gestern Urs Bartenschlager, Chef der Solothurner Kriminalpolizei. «Für Kost und Logis werden Wucherpreise abverlangt.» Jan Gutzwiller, der als Leitender Staatsanwalt im Bereich Menschenhandel ermittelt, ergänzte: «Menschenhandel ist eine moderne Form der Sklaverei, die auf dem Buckel der Ärmsten geschieht. Es ist eine Straftat, die geahndet werden muss.»

So viele Prostituierte arbeiten im Kanton

400 Frauen arbeiten im Kanton Solothurn laut den Schätzungen der Kriminalpolizei als Prostituierte. Die Zahl der – bekannten oder registrierten – Rotlichtbetriebe ist in den vergangenen Jahren im Kanton gesunken. Zählte die Polizei 2015 noch 85 Betriebe, so sind es heute noch 51.

Der Rückgang ist laut Kripo-Chef Urs Bartenschlager nicht nur eine Folge der Kontrolltätigkeit oder der Schliessung von 12 Thai-Bordellen nach den Ermittlungen wegen Menschenhandels. Das neue Wirtschafts- und Arbeitsgesetz, das eine Bewilligungspflicht für Bordelle vorsieht, hat aus Sicht der Polizei dazu geführt, dass sich die Sexarbeit von den Bordellen in private Räumlichkeiten verschiebt. Damit wird die Bewilligungspflicht umgangen.

Auch wegen der Autobahnanschlüsse und der Einsenbahnknotenpunkte ist das Rotlichtmilieu im Kanton präsent. «Kunden haben wir aus der ganzen Schweiz», so Bartenschlager.

230 Befragungen und 20 Hausdurchsuchungen haben die Polizei und Staatsanwaltschaft bei ihrem Schlag gegen den Menschendhandel durchgeführt. 12 Thaibordelle wurden am Ende geschlossen. 5300 Seiten Papier, die mit Dolmetschern erarbeitet werden mussten. «Die Aufwände lohnen sich», sagt Urs Bartenschlager. «Es braucht aber Ressourcen, die wir in anderen Bereichen wegnehmen müssen.»

Sehr schwierig, Beweise zu finden

Längst nicht alle Frauen stammen aus Asien. «Die meisten Opfer in Europa kommen aus Rumänien, Bulgarien oder Ungarn», sagt Fabienne Reber vom Schweizer Ableger der Internationalen Organisation für Migration. Jährlich melden sich in der Schweiz 250 Opfer. «Die grosse Mehrheit bleibt unerkannt.»

«Angeworben werden meist sehr arme Frauen, die keine Fremdsprache können», erklärt Kripo-Chef Bartenschlager. Frauen, die in ihren Heimatländern oft schon als Prostituierte arbeiten. «Versprochen wird ihnen ein hohes Einkommen.» Für Visum und Flugtickets werden ihnen horrende Preise verrechnet. In der Schweiz landen sie mit 30 000 Franken Schulden. Geld, das sie lange abarbeiten müssen.

Sie haben gestern erklärt, wie der Menschenhandel im Kanton funktioniert: Fabienne Reber von der Internationalen Organisation für Migration, Jan Gutzwiller, Leitender Staatsanwalt, und Urs Bartenschlager, Chef der Solothurner Kriminalpolizei.

Sie haben gestern erklärt, wie der Menschenhandel im Kanton funktioniert: Fabienne Reber von der Internationalen Organisation für Migration, Jan Gutzwiller, Leitender Staatsanwalt, und Urs Bartenschlager, Chef der Solothurner Kriminalpolizei.

HP. Bärtsch

Menschenhandel ist für die Ermittler oft ein 4-Augen-Delikt, bei dem Aussage gegen Aussage steht. «Ohne Aussagen der Opfer gibt es keine Möglichkeit, die Delikte aufzuklären», sagt Staatsanwalt Jan Gutzwiller. «Sachbeweise gibt es nicht: Praktisch alles läuft mündlich ab. Kaum etwas ist dokumentiert.» Kurz und knapp: «Es ist ein beweisfeindliches Milieu. Umso wesentlicher sind die Aussagen von Opfern.» Erschwerend kommt hinzu: Die Staatsanwälte können mit den Opfern nicht direkt reden: Es braucht in der Regel Dolmetscher. Traumatisierte Opfer können zudem an Erinnerungslücken leiden. Viele reden nicht gerne, weil es belastend ist, so Gutzwiller. «Viele sind in einem labilen Zustand. Sie sind von der Familie getrennt, ihre Zukunft ist ungewiss.» Einige tauchten deshalb während des Verfahrens unter, andere gingen zurück ins Milieu.

Warum wehren sich die Menschen nicht? «Das liegt an den Mitteln, die eingesetzt werden», sagt Fabienne Reber. «Die Opfer werden bedroht, getäuscht und haben in der Regel wenige Alternativen. Sie halten sich an den Hoffnungsschimmern fest.» Die Frauen können sich nicht verständigen Und wissen nicht, wohin sie in der Schweiz gehen können. Sind die Ermittlungsverfahren vorbei, müssen sie meist die Schweiz verlassen. Die Internationale Organisation für Migration hilft bei der Organisation der Rückkehr und bezahlt bis zu 1000 Franken Starthilfe in der Heimat.

Zahlen sinken, Problem bleibt

Sieben Fahnder setzte die Kriminalpolizei 2015/16 ein, 12 Prozent der Ressourcen, die Kripo-Chef Bartenschlager in diesem Bereich hat. Die Polizei hält zwar den Kontrolldruck aufrecht, wie Bartenschlager erklärt. Inzwischen aber sinkt die Zahl der aufgeklärten Delikte wieder, weil die Kriminalpolizei ihre Prioritäten und Ermittlungsschwerpunkte anderswo setzt – oder setzen muss. Statt 50 Fälle wie 2016 zählte man 2017 noch 17 im Kanton. Einzig und allein, weil weniger kontrolliert wurde. «Es wäre Unsinn, zu glauben, dass das Phänomen verschwunden ist», sagt Urs Bartenschlager.

Hinweis: Kommenden Dienstag, 8. Mai, und Mittwoch, 9. Mai, steht im Kreuzackerpark in Solothurn ein Informationsbus zum Thema Menschenhandel. Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft geben vor Ort Einblick in ihre Arbeit.