Regierungsratswahlen
«Meister wurde alleine gelassen» – Warum die FDP an den Regierungsratswahlen gescheitert ist

Politologe Lukas Golder erklärt, warum die FDP trotz ihrer Stärke gescheitert ist, warum sie nicht mehr «die» Volkspartei sein kann und wer den Sieg der Grünen überhaupt ermöglicht hat.

Lucien Fluri
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Lukas Golder ist Politologe und Co-Leiter des Meinungsforschungsinstituts gfs.bern. Die Solothurner Politlandschaft kennt er genau: Er wohnt in Feldbrunnen.

Lukas Golder ist Politologe und Co-Leiter des Meinungsforschungsinstituts gfs.bern. Die Solothurner Politlandschaft kennt er genau: Er wohnt in Feldbrunnen.

Peter Mosimann

Lukas Golder, hat das Wahlergebnis am Sonntag den Politexperten und Meinungsforscher überrascht?

Lukas Golder: Ich war überrascht, obwohl mir im Vorfeld immer stärker klar wurde, dass die Grünen eine – vielleicht einmalige – Chance erhalten. Brigit Wyss war genau jetzt die richtige, weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus akzeptierte Kandidatin. Mindestens im oberen Kantonsteil hat der Wahlkampf von Marianne Meister erst spät an Schwung gewonnen. Die Plakate und Inserate in bezahlten Medien kamen spät.

Wo sehen Sie die Gründe für den unerwarteten Sieg der Grünen und die historische Niederlage der FDP?

Wenn man ganz hinten beginnt, gibt es zwei Dinge, die sehr wichtig waren. Zum einen hat die SP strategisch alles richtig gemacht und den Wahlkampf sehr solide durchgezogen. Es war ein souveräner Start-Ziel-Sieg. Von nirgends konnte bestritten werden, dass Susanne Schaffner eine solide Kandidatur ist. Der Wahlerfolg von Brigit Wyss ist ganz sicher auch ein Erfolg im Zuge der SP.

Auf der anderen Seite galt Marianne Meister von Anfang an als nicht vollständig getragene Kandidatin mit dem Nachteil, dass sie beim Ständeratswahlgang nicht wahnsinnig überzeugend abgeschnitten hat. Sie musste als Bürgerliche, die von den anderen Bürgerlichen nicht getragen war, gegen zwei ganz überzeugende linke Kandidaturen antreten.

Warum kann die Solothurner FDP als stärkste Kraft im ohnehin bürgerlichen Kanton ihren zweiten Regierungsratssitz nicht verteidigen?

Diese Konstellation im zweiten Wahlgang war für die Grünen eine Jahrzehntchance. In vier Jahren oder nach einem Rücktritt von Brigit Wyss kann das wieder ganz anders aussehen. Es ist deshalb nicht klar, wie lange dieser zweite Sitz verloren ist. Denn die Solothurner FDP ist nach wie vor sehr stark und überzeugend aufgestellt. Und mit Remo Ankli hat die Solothurner FDP eine starke Kandidatur präsentiert.

Die FDP konnte ihren Sitz aber nicht verteidigen. Hat die Partei ein Problem, etwa in der Ausrichtung?

Die Partei lässt Federn aus der Logik des Umbaus der Parteienstruktur seit dem Aufkommen der SVP. Die frühere Volkspartei kann die FDP nicht mehr sein. Die Ausrichtung ist im Kontext einer Profilierung zu verstehen, die durch die Konkurrenz unter den bürgerlichen Parteien nötig ist.

Dass die FDP schweizweit wieder Erfolg hat, liegt daran, dass sie sich neu aufstellte – volksnah und abgegrenzt von der CVP und der SVP. Um sich von der CVP abzugrenzen, muss die FDP akzentuiert bürgerlich sein. In dieses akzentuiert bürgerliche Profil passte Marianne Meister, aber sie repräsentiert nicht mehr eine klassische, parteiübergreifend akzeptierte Kandidatur wie etwa Remo Ankli. Je pointierter eine Partei auftritt, umso kleiner sind die Chancen.

2. Wahlgang
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Die Ergebnisse werden interessiert mitverfolgt
Susanne Schaffner mit ihren beiden Kindern
SP-Parteipräsidentin Franziska Roth und Susanne Schaffner
Feiernde SP
Peter Gomm gratuliert Susanne Schaffner
Andrea Affolter (Medienbeauftragte der Regierung), Staatsschreiber Andreas Eng und Susanne Schaffner
Peter Gomm freut sich
Susanne Schaffner und SP-Parteipräsidentin Franziska Roth
Brigit Wyss auf dem Weg ins Rathaus
und hoch gehts in den Steinigen Saal
Brigit Wyss nimmt Gratulationen von allen Seiten entgegen.
Schaffner und Wyss liegen sich in den Armen
Brigit Wyss (Grüne) und Susanne Schaffner (SP)
Walter Wobmann (SVP)
Die Grüne Kantonsrätin Barbara Wyss-Flück
Dagobert Cahannes und Franco Supino
Marianne Meister gratuliert Brigit Wyss
Die Regierungsräte Remo Ankli und Roland Heim
Der abtretende SP-Regierungsrat Peter Gomm, die neue Regierungsrätin Susanne Schaffner und Parteipräsidentin Franziska Roth
Eine enttäuschte Marianne Meister (FDP)
Brigit Wyss (Grüne) im Interview
Marianne Meister (FDP) im Interview
Strahlende Regierungsrätinnen: Susanne Schaffner und Brigit Wyss
Susanne Schaffner
Felix Wettstein, Präsident der Grünen Kanton Solothurn
Christian Scheuermeyer (FDP)
Die Grünen stossen auf den Sieg an
Schaffner umarmt Roberto Zanetti vor dem Volkshaus, wo die SP ihr Lager aufgeschlagen hat

2. Wahlgang

Tina & Thomas Ulrich

Marianne Meister trat vor allem als Gewerbepolitikerin auf. Hat die FDP mit ihr auf das falsche Profil gesetzt?

Es gab andere spannende Kandidaturen in der FDP. Aber nachträglich ist man immer schlauer. Marianne Meister hat im Verlauf des Wahlkampfs bewiesen, dass sie eine würdige Kandidatin ist mit einem eigenständigen Profil. Sie erreichte aber nicht genug Schwung, um alleine gegen zwei links-grüne Kandidatinnen anzukommen. Meister wurde zu stark alleine gelassen, im bürgerlichen Lager und im oberen Kantonsteil.

SP und Grüne waren in den Städten stark. Gibt es einen Stadt-Land-Graben im Solothurnischen?

Das ist so. Die Städte werden für die FDP zur Herausforderung, gerade mit Blick auf die Stadt Solothurn, wo die Stadtpräsidentenwahl spannender wird, als man erwarten könnte. Solothurn ist eine typische Kleinstadt, wo ein linkes städtisches Milieu am Entstehen ist. Es gibt mehr junge Familien, die etwas staatsnaher als bisher denken und weniger klassisch aus dem Gewerbe kommen. Es gibt einen Linksruck in den Solothurner Städten. Auf dem Land ist dagegen die SVP die erste Wahl. Für die FDP wird es zunehmend schwierig.

Die CVP gab gar keine Wahlempfehlung heraus, die SVP unterstützte Meister, offiziell, aber mit vielen Nebengeräuschen. Warum können sich die Bürgerlichen im Kanton nicht zusammenraufen?

Die drei bürgerlichen etablierten Kräfte CVP, FDP und SVP müssen sich im Wahlkampf profilieren und voneinander abgrenzen. Das führt zu weniger Einheitlichkeit im bürgerlichen Lager. Ohne die Idee eines Gegengeschäftes will man sich nicht mehr unterstützen.

Aber warum akzeptiert eine bürgerliche CVP lieber, dass eine linke Kandidatin gewählt wird, als eine Wahlempfehlung für eine bürgerliche Kandidatin auszusprechen?

Ich verstehe die Sicht der CVP. Sie will nicht einfach ein viertes Rad am Wagen sein. Um ein eigenes Profil zu schaffen, kann sie nicht alles rechts von ihr blind unterstützen. Auch mit dem Risiko, dass es mal einen Links-Ruck gibt. Ich hätte aber erwartet, dass die SVP Marianne Meister besser unterstützt. Meister hat ein pointiert rechtes FDP-Profil. Aus Sicht der SVP müsste Meister eigentlich die FDP-Kandidatin gewesen sein, die man am ehesten unterstützen kann.

Das sagen prominente Freisinnige zur Nichtwahl der FDP-Kandidatin Marianne Meister in den Solothurner Regierungsrat:

Cornelia Füeg, Olten, alt Regierungsrätin «Schuldzuweisungen an die heutige Parteileitung bringen nichts. Die muss ausbaden, was andere eingebrockt haben. Zum Beispiel jene, die ihre Mandate über zu viele Jahre besetzt hielten und so jüngere Kräfte ausgebremst haben. Interne Intrigen blieben leider ungeklärt. Was es für den Neuanfang jetzt braucht, ist ein sauberer Tisch.»
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Kuno Tschumi, Derendingen, Kantonsrat «Die FDP ist gut beraten, wenn sie ihre Kandidatenauswahl künftig nicht nur demokratisch legitimiert, sondern sie auch analytisch steuert. Das bedeutet, wir müssen eine wesentlich aktivere Personalplanung betreiben.»
Peter Hodel, Schönenwerd, Fraktionschef im Kantonsrat «Das ist für unsere Partei ein markanter Einschnitt, ich bin nicht glücklich. Aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass Marianne Meister die richtige Kandidatin war. Es gehört jetzt mehr als nur zu unserer Pflicht, das Resultat zu analysieren. In erster Linie müssen wir diese Fehler bei uns suchen.»
Rolf Büttiker, Wolfwil, alt Ständerat «Ich bin sehr traurig. Nach dem Verlust des Ständeratssitzes 2011 jetzt schon wieder eine Majorzwahl zu verlieren, das schmerzt enorm. Gefragt ist eine sorgfältige Analyse und dann müssen daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden. Dies dann allerdings ohne Wenn und Aber.»
Anita Panzer, Feldbrunnen, Kantonsrätin «Ich fühle mit Marianne und verstehe ihre Enttäuschung, sie hat wirklich alles gegeben in diesem Wahlkampf und für die Partei. Schuldzuweisungen an die Wählerinnen und Wähler oder andere Parteien sind meines Erachtens aber fehl am Platz. Weiter bringt einen immer nur der kritische Blick auf sich selber.»
Kurt Fluri, Solothurn, Nationalrat, Stadtpräsident «Ich bedaure das Resultat. Es hat mich aber nicht gross überrascht in Anbetracht der Konstellation. Das Risiko war gross, dass sich die anderen Bürgerlichen nicht mehr engagieren. Auch für eine andere FDP-Kandidatin wäre es unter diesen Umständen schwierig gewesen. Ich halte deshalb die Personaldiskussion für übergewichtet.»
Christian Wanner, Messen, alt Regierungsrat «Der Wahlausgang ist ein Desaster. Jetzt gibt es nichts anderes als zurück zu den bewährten Werten des Solothurner Volksfreisinns. Auch Arbeitnehmer und Bauern müssen sich in dieser Partei wiederfinden. Gewerbeverband und Wirtschaft sind wichtig, aber eine zu starke Fokussierung darauf ist nicht zielführend.»
Ruedi Nützi, Wolfwil, Direktor FHNW «Danke für die Anfrage. Ich nehme an der Umfrage nicht teil. Ich äussere mich gegenüber Personen und Institutionen, die sachlich und fundiert argumentieren. Sie haben im Wahlkampf nicht berichtet, sondern Wahlkampf gegen Frau Meister gemacht.»

Cornelia Füeg, Olten, alt Regierungsrätin «Schuldzuweisungen an die heutige Parteileitung bringen nichts. Die muss ausbaden, was andere eingebrockt haben. Zum Beispiel jene, die ihre Mandate über zu viele Jahre besetzt hielten und so jüngere Kräfte ausgebremst haben. Interne Intrigen blieben leider ungeklärt. Was es für den Neuanfang jetzt braucht, ist ein sauberer Tisch.»

BRUNO KISSLING

Haben die SVP-internen Querelen Meister am Ende geschadet?

Ja. Der Streit rund um die SVP-Unterstützung für Marianne Meister war ihrer Kandidatur nicht würdig. Die Solothurner Zeitung, ich erlaube mir diesen Seitenhieb, hat sich da auch instrumentalisieren lassen. Die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang ist sehr kurz und die Zeitung hat eine dominante Stellung. Indem sie diese Querelen mit teils ungenannten Quellen grossflächig aufgenommen hat, ist der – überzeichnete – Eindruck entstanden, dass Marianne Meister nicht breit getragen wird. Schon zuvor hat das Jamaica-Inserat in der Solothurner Zeitung diesen Eindruck befördert. Das war aus der Deckung geschossen und unfair.

Das schadete Meister?

Meisters Nomination war kritisch begleitet worden, aber nachher ist man bei der FDP gut marschiert. Man war im ersten Wahlgang im Ziel. Dann schaffte man ihren Aufbau im zweiten Wahlgang nicht mehr genügend. Auch wegen dieser Querelen. Es entstand der Eindruck, dass die SVP Meister nicht unterstützt, obwohl sie dies offiziell getan hat. Dies hat Meister nicht verdient. Es waren Kritiker aus der zweiten Reihe der SVP und ihre Argumente waren aus Sachsicht wenig nachvollziehbar.