Kanton Solothurn
Mehr Konfessionslose, weniger Religionsschüler: Diese Pädagogen sehen im Wandel auch Chance

Der Kanton Solothurn kennt ein Modell, das längst nicht mehr andere Kantone der Schweiz besitzen: Den Landeskirchen steht pro Woche an den Schulen eine Religionslektion zur Verfügung. Gleichzeitig verzeichnet man im Kanton schweizweit die zweithöchste Anzahl Kirchenaustritte. Ein vorweihnachtliches Gespräch über Herausforderungen - und Chancen.

Noëlle Karpf
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Fabian Perlini und Birgitta Aicher in der Bibliothek der PH Solothurn, wo derzeit Weihnachtsgeschichten ausgestellt sind.

Fabian Perlini und Birgitta Aicher in der Bibliothek der PH Solothurn, wo derzeit Weihnachtsgeschichten ausgestellt sind.

Hansjörg Sahli

Es weihnachtet. In den Geschäften, in den Gassen – und bis gestern auch in den Schulen im Kanton Solothurn, wo heute die Weihnachtsferien begonnen haben. Wobei der Advent an Schulen im Kanton gleich doppelt Thema ist: Einerseits im regulären Unterricht, wo gesungen und gebastelt wird. Andererseits auch im Religionsunterricht, der im Kanton noch immer von den Landeskirchen organisiert wird – die Kirchgemeinden stellen für die eine Religionslektion in der Woche eine von der Fachstelle ausgebildete Religionslehrperson.

Das ist heute längst nicht mehr in allen Kantonen so, weiss Birgitta Aicher, 54, wohnhaft in Solothurn. Sie ist eine der Leiterinnen der kantonalen Fachstelle für Religionspädagogik, zuständig im römisch-katholischen Bereich. Und: «Das ist ein enormer Vertrauensbeweis für die Landeskirchen», so Fabian Perlini, 42, aus Stauffen, ebenfalls bei der Fachstelle tätig. Er leitet im Co-Präsidium den reformierten Zweig. Zudem sorge es für hohe Qualität, wenn eine aussenstehende Fachperson einmal die Woche in die Schule kommt und Religion unterrichtet – und das Fach nicht von einer Volksschullehrperson, die mit Promotionsfächern genug zu tun hat, im Rahmen des Lehrplans 21 auch noch irgendwie unterrichtet werden muss.

Schule und Kirche

Nicht in allen Kantonen haben die Landeskirchen wöchentlich Platz für eine Religionsstunde. Im Kanton Bern herrscht strikte Trennung – Religion wird im Rahmen des Fachs Natur-Mensch-Mitwelt an der Volksschule unterrichtet. Der konfessionelle Religionsunterricht ist freiwillig und findet meist in Räumlichkeiten der Kirchgemeinden statt. In St. Gallen gibt es an der Volksschule konfessionellen Religionsunterricht, von dem Eltern ihre Kinder dispensieren lassen können. Ab der 3. Klasse entscheidet man sich, ob man das Wahlpflichtfach Ethik-Religionen-Gemeinschaften in einer Stunde der Kirchen oder der Schule besuchen möchte.

Ein weiterer Pluspunkt im kantonalen System: die Ausbildung. Hier wird nämlich für ökumenischen, konfessionsübergreifenden Unterricht ausgebildet. Der Ausbildungsstandort Olten ist mit dem Zug gut zu erreichen, was auch angehende Fachlehrpersonen aus anderen Kantonen anzieht. 10 Religionslehrpersonen schlossen diesen Herbst ab, 8 müssen es mindestens sein, damit die Ausbildung der Fachstelle rentiert.

Trotz dieser Standort- und Systemvorteile: Auch der Kanton Solothurn – gerade der Kanton Solothurn – spürt gesellschaftliche Veränderungen. Nach Basel-Stadt hat man schweizweit die meisten Kirchenaustritte.

Mehr Konfessionslose, weniger Religionsschüler

So ist es im Kanton je nach Kirchgemeinde auch schwierig, eine Stelle zu besetzen. Auch weil bei einer Lektion pro Schule und Woche ein Vollzeitpensum als Religionslehrperson kaum möglich ist. Gleichzeitig sind die Klassen – wieder je nach Kirchgemeinde – ganz unterschiedlich zusammengesetzt. Zwar sitzen im Solothurner ökumenischen Unterricht Katholiken, Reformierte und Konfessionslose theoretisch in einer Klasse – je nachdem, wie es die Eltern mit der Religion haben, können sie die Kinder aber dispensieren. Und wenn in einer Gemeinde viele Anhänger einer Freikirche oder einer anderen Gemeinschaft wohnen, kann die Anzahl Schüler schnell auf eine Handvoll schrumpfen. Sinkende Schülerzahlen, Kirchenaustritte, das ist Realität, sehen Perlini und Aicher.

Gleichzeitig sehen sie in diesem gesellschaftlichen Wandel auch eine Chance. So sagt Perlini, Religionslehrpersonen müssen tatsächlich sehr flexibel sein – sie haben aber auch grosse Freiheiten. Je nach Klassenzusammensetzung sitzen Kinder aus konservativen und progressiven gläubigen Familien und Kinder aus Familien, bei denen Religion zu Hause nicht gross Thema ist, zusammen im Schulzimmer. Es gibt Platz für unterschiedliche Themen, Geschichten und kritische Fragen, wie Perlini betont. Am Schluss verfolgt der Unterricht nicht das Ziel, für die Konfession oder Firmung vorbereitet zu sein. So heisst es im ökumenischen Lehrplan etwa auch ganz allgemein: «Ein christliches Welt-, Menschen- und Gottesbild entwickeln.»

Eine Art «Sabbat» sei der Religionsunterricht, findet Aicher. Der Unterricht sei zweckfrei. Im Unterricht stehen Fragen wie «Wer bin ich? Wer bist Du?». «Die Bibel ist ein Schatz an Themen, auf die wir zurückgreifen können.» Etwa auch Themen, die aktuell immer wichtiger werden, wie die Natur, die Harmonie zwischen den Menschen. Dieses Bedürfnis nach solchen Themen, nach Spiritualität ist da, ist Aicher überzeugt. «Das zeigen doch – gerade zur Weihnachtszeit – all die Kerzen in der Solothurner Verenaschlucht, oder in der St. Ursen-Kathedrale.»

Und gerade zur Weihnachtszeit geht es im Unterricht auch um Symbole. Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels habe eine Fachperson der Religion immer mehr auch einen Auftrag zum «Übersetzen», wie Perlini erklärt und anschaulich schildert: «Das Jesuskind – das Höchste – liegt in der Krippe. Die Krippe, das ist nichts Herziges!.» «Und wer erfährt als Erstes von der Frohen Botschaft? Die Hirten! Damals gesellschaftlicher Abschaum in Israel!» Und gerade zu Weihnachten seien ja auch Kirchen wieder besser besetzt, werde vermehrt über das Thema Harmonie oder die Kernbotschaft des Christentums – «die Liebe» – nachgedacht. Mit einem Schmunzeln fügt Aicher an: «Bei Weihnachten wissen die meisten ja am ehesten noch, um was es geht. Fragen Sie mal nach Ostern!»