Doppelinterview
«Mädel, was machst Du denn hier?» – Eine Ingenieurin und ein Kinderbetreuer setzen sich gegen Geschlechterklischees durch

Sie ist Ingenieurin, er Kinderbetreuer. Salih Iljaz hat fast nur weibliche Kolleginnen, Mari Walker einen Männerjob. Zumindest, wenn es nach der Statistik geht. Warum das Geschlecht ihrer Meinung nach «keine Rolle spielt», aber trotzdem noch einen Einfluss hat, wenn es um den Lohn oder das Vertrauen der Eltern geht.

Noëlle Karpf
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Die 40-jährige Mari Walker mochte Rechnen bereits, als sie in Finnland das Gymnasium absolvierte. Trotz Sprüchen alter Männer wurde sie Ingenieurin und studierte in Helsinki an der technischen Universität. Salih Iljaz kann gut mit Kindern umgehen – den Berufswunsch Betreuer ging der 29-jährige gebürtige Mazedonier aber erst als Zweitausbildung an, nachdem er rund sechs Jahre als Detailhändler gearbeitet hatte.

Die 40-jährige Mari Walker mochte Rechnen bereits, als sie in Finnland das Gymnasium absolvierte. Trotz Sprüchen alter Männer wurde sie Ingenieurin und studierte in Helsinki an der technischen Universität. Salih Iljaz kann gut mit Kindern umgehen – den Berufswunsch Betreuer ging der 29-jährige gebürtige Mazedonier aber erst als Zweitausbildung an, nachdem er rund sechs Jahre als Detailhändler gearbeitet hatte.

Hanspeter Bärtschi

«Und Sie sind die Kinderbetreuerin?», fragt der Fotograf. Nein, eben nicht. Die Frau, die zum Doppelinterview mit dieser Zeitung erschienen ist, ist Ingenieurin. Der Mann, der neben ihr am Tisch sitzt, arbeitet in einer Kindertagesstätte. Der Fotograf hat die Frage auch nur als Witz gestellt. Mari Walker aus Lüsslingen und Salih Iljaz aus Solothurn, gehören nämlich zu den fünf Prozent in der Statistik, die einen Beruf ausüben, der völlig vom anderen Geschlecht dominiert wird (siehe Box links). «Ich habe den richtigen Job. Meine Berufswahl habe ich nie bereut», sagt die 40-jährige Walker, gebürtige Finnin, mit hörbarem Akzent. Und der 29-jährige Iljaz, gebürtiger Mazedonier, meint: «Ich fühle mich pudelwohl.» Es sollte in der Arbeitswelt nicht auf das Geschlecht ankommen, sagen beide. Sollte. Tut es in manchen Situationen aber eben doch. Das muss aber nicht zwingend immer ein Nachteil sein.

Die Statistik

Typische Männer- und Frauenberufe – das gibt es immer noch. Das zeigt eine Studie von «social change in Switzerland». So sind die von den Mädchen am häufigsten gewünschten Berufe Ärztin, Dekorateurin und Lehrerin. Jungen wollen häufig Informatiker, Architekt oder Polizist werden. Die Studie, die auf einer Umfrage bei Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen und Eltern in fünf Schweizer Kantonen basiert, sagt auch, dass Ingenieure zu 95 Prozent Männer und 95 Prozent der Kinderbetreuer Frauen sind.

Im Schweizer Verband der Ingenieurinnen sind 5 Ingenieurinnen aus dem Kanton Solothurn, das Projekt MAKI (Mehr Männer in die Kinderbetreuung) arbeitet mit drei Kindertagesstätten aus dem Kanton Solothurn. (NKA)

Mari Walker, Sie sind Ingenieurin – das heisst Sie arbeiten in einer Männerwelt.

Mari Walker: Ja klar. Ich arbeite in der Industrie – der grösste Teil der Produktionsleute ist männlich. Ich habe hier in der Schweiz in meiner gesamten Karriere erst eine andere Ingenieurin getroffen.

Salih Iljaz, Sie arbeiten als Kinderbetreuer dafür fast nur mit Frauen zusammen.

Salih Iljaz: Richtig. In meiner Branche sind nur etwa acht Prozent der Betreuenden Männer.

Fühlen Sie sich dadurch alleine?

Walker: Nein, ich finde nämlich: Männer sind einfacher als Frauen. Männer sagen die Dinge direkt, so wie sie sind, und sind nicht hinterhältig, so wie das Frauen manchmal sein können. Ich komme gut klar in meinem Team.

Ist es denn anstrengend als Mann, umgeben von mehrheitlich Frauen?

Iljaz: Nein, das spielt mir keine Rolle. Es wäre schon interessant, wenn es mehr Männer in diesem Beruf gebe.

Bringt es Nachteile mit sich, als Mann in einer Frauenwelt zu arbeiten?

Iljaz: Eher das Gegenteil ist der Fall. Wenn eine Kindertagesstätte eine männliche Betreuungsperson sucht, kann ich mir fast sicher sein, dass ich den Job erhalte. Ich habe aber auch schon mal Absagen gekriegt, bei denen ich das Gefühl hatte, dass ich die Stelle nicht erhalten habe, weil ich eben ein Mann bin. Das kam aber weniger oft vor.

Leichter an einen Job kommen, weil die Konkurrenz klein ist – kennen Sie das Frau Walker?

Walker: Nein, bei der Jobsuche im technischen Bereich hat man als Frau sicher keine Vorteile. Es hängt vom Betrieb ab: Wenn dort schon einmal eine Frau gearbeitet hat, weiss der Chef, dass Frauen den Job genau so gut ausüben können wie Männer – wenn nicht, wird es schwierig.

Weil im Jobinserat steht «Ingenieur gesucht», und nicht «Ingenieurin»?

Walker: Nein, so steht das natürlich nicht dort. Das ist eher mein Gefühl. Und es betrifft wohl eher jüngere Frauen. Mittlerweile bin ich 40 Jahre alt, habe zwei Kinder. Da spielt das Geschlecht bei Bewerbungen wohl nicht mehr eine so grosse Rolle, weil der Arbeitgeber denkt: «Aha, die hat schon zwei Kinder und ist 40, die kriegt wohl nicht noch einmal Nachwuchs.» Aber bei Frauen, die 30 sind, ist das schon noch Thema. Wobei Kinder bei männlichen Bewerbern dann eher von Vorteil sind: Wenn Sie schon Kinder haben ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie bei einem Arbeitgeber bleiben.

Der Mann ist also bevorteilt. Hat es auch in einer Kita Vorteile, Mann zu sein?

Iljaz: Ich habe von Eltern beispielsweise schon gehört, dass sie es gut finden, dass für einmal noch ein Mann im Team ist. Das liegt auch daran, dass teilweise alleinerziehende Mütter ihre Kinder in eine Kita geben. Dann ist ein Mann eine gute Ergänzung zu ihrer Erziehung. Ich sage aber auch: Ob Mann oder Frau, das spielt gar keine grosse Rolle. Wir sind beide gleich fähig, diesen Beruf auszuüben.

Sind Ihnen Eltern dafür auch schon mit Skepsis begegnet?

Iljaz: Ich habe das Gefühl, dass es das auch schon gegeben hat. Dass nicht ich als Ansprechperson für Elterngespräche gewünscht wurde. Das legt sich aber meistens, nach etwa zwei Monaten bin ich gleich gut akzeptiert wie meine Kolleginnen.

Walker: An dieser Stelle möchte ich als zweifache Mutter einwerfen: Ich habe meine Kinder früher auch in eine Kindertagesstätte gebracht. Und dort gab es auch männliche Lehrlinge und Betreuungspersonen. Und meine Kinder mochten sie immer, sassen ohne Probleme auch bei ihnen auf dem Schoss. Kinder bemerkten den Unterschied ja gar nicht – ihnen ist es wichtig, dass sich jemand um sie kümmert.

Wie sieht es bei den Erwachsenen aus – werden Sie als Frau manchmal anders behandelt als ihre Berufskollegen?

Walker: In der Schweiz weiss man als Frau halt nie genau, wie viel die männlichen Kollegen verdienen. Ich hatte auch schon das Gefühl, dass gleichaltrige Kollegen mit gleicher Erfahrung besser bezahlt wurden als ich.

Trotzdem sagen Sie, dass das Geschlecht im Alltag keine Rolle spielt.

Walker: Ich fühle mich ansonsten auch gar nicht benachteiligt. Und ich schaffe es mit meinen weiblichen, sozialen Kompetenzen vielleicht auch eher mal, einen Kollegen um einen Gefallen zu bitten. Männer untereinander sind da vielleicht zurückhaltender. Unter dem Strich kommt es auf die fachlichen Kompetenzen an – nicht auf das Geschlecht.

Salih Iljaz, Sie sagen auch, dass das Geschlecht keine weiteren Nachteile bringt?

Iljaz: Nein. Frau Walker hat das vorhin genau richtig gesagt: Wenn man den Kindern Empathie und Wertschätzung entgegen bringt, dann mögen sie einen – egal ob Junge oder Mädchen. In unserer Kita gibt es auch Mädchen, die zu mir kommen, wenn sie reden oder spielen wollen.

Wieso sind denn fast nur Frauen in diesem Beruf, wenn Männer genau so gut Kinder betreuen und Windeln wechseln können?

Iljaz: Ich weiss noch, als es bei uns in der 8. Klasse um die Berufswahl ging. Da war es bei uns Jungs kein Thema, Kinderbetreuung zu machen. Wir sprachen von Automechaniker, Bauarbeiter oder Maler. Ein Grund für den tiefen männlichen Anteil in der Branche könnte sein, dass sich Jungen in diesem Alter vielleicht noch scheuen, hinzustehen und zu sagen: «Ich werde Kinderbetreuer.»

Sie haben es trotzdem getan. Warum?

Iljaz: Da war ich aber auch schon älter. Ursprünglich habe ich im Detailhandel die Lehre gemacht. Nachdem ich sechs Jahre dort gearbeitet habe, habe ich mich nach etwas Neuem gesehnt. Von Kolleginnen habe ich öfters gehört, dass ich gut mit Kindern umgehen könne. Dann ging ich in eine Kindertagesstätte schnuppern, und es hat mir sofort gefallen.

Dumme Sprüche haben Sie deswegen nie gehört?

Iljaz: Doch klar. In meinem Freundeskreis hiess es zu Beginn auch scherzhaft: ‹Kinderbetreuer – das ist doch kein richtiger Job!› Aber jetzt im Nachhinein sagen mir viele, dass der Beruf gut zu mir passt. Ich sage meinen Freunden schliesslich auch, dass sie gerne einmal einen Tag vorbeikommen können. Wenn man von morgens bis abends 12 Kinder betreut, herrscht konstant ein Lärmpegel von etwa 80 Dezibel – das macht auch müde.

Walker: Solche Sprüche muss man an sich vorbeiziehen lassen. Während meines Studiums in Helsinki habe ich über die Sommerferien in einer Fabrik gearbeitet. Dann sind auch Männer – die meisten über 60 Jahre alt – zu mir gekommen und meinten: ‹Mädel, was machst Du denn hier?› Und ich gab zurück: ‹Arbeiten, so wie Du›.

Das klingt doch hart. Sie haben die Ausbildung trotzdem durchgezogen. Wieso?

Walker: Ich habe in Helsinki das Gymnasium gemacht. Zuerst wollte ich Anwältin werden, aber dann habe ich gemerkt, dass mir Rechnen einfach viel leichter fällt, als Gesetzesparagraphen auswendig zu lernen. Dann habe ich das Ingenieursstudium absolviert.

Fiel es Ihnen schwer, sich unter Kolleginnen mit diesem Männerberuf zu «outen»?

Walker: Ich bin zwar die einzige Ingenieurin in meinem Freundeskreis – aber Nein. Bei uns hat eigentlich jeder das studiert, was ihn interessiert hat. Wir waren nach dem Gymnasium aber auch schon volljährig. Da ist der Gruppendruck wohl weniger hoch als hier in der Schweiz, wenn man sich als 14-Jähriger für eine Lehre entscheidet.

Warum entscheiden sich dann doch noch so wenige Frauen dazu, Ingenieurin zu werden?

Walker: Hier in der Schweiz hat die Gesellschaft damit zu tun: Es herrscht noch immer eine gewisse Hausfrauenkultur, auch wenn diese langsam zu bröckeln begonnen hat. Früher dachten die Leute noch eher: «Das ist ja eine Frau, die muss ja gar nicht studieren! Die kriegt ja eh Kinder». Das ist heute nicht mehr so extrem.

Gibt es in Zukunft denn mehr Ingenieurinnen, und mehr Kinderbetreuer?

Iljaz: Das wäre schön! Ich glaube schon, dass der Männerarteil in meinem Beruf zunimmt.

Walker: Das glaube ich auch. Die Rollenbilder ändern sich: Schon nur wenn Kinder damit aufwachsen, dass auch Männer in Kitas arbeiten. Es gibt mehr Männer in Kitas, mehr Betreuungsplätze. So können Frauen Beruf und Kinder vereinbaren. Und so können auch mehr Frauen Ingenieurinnen werden.