Ausbildung
Lehrstellen helfen Flüchtlingen bei der Integration – doch sie sind schwer zu finden

Mohammadreza Jafari kam alleine als Flüchtling in die Schweiz. Seine Lehrstelle hilft ihm bei der Integration. Doch es gelingt nicht allen jungen Flüchtlingen, eine solche zu finden.

Lucien Fluri
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Hat Freude an seiner Lehre (v. l.): Mohammadreza Jafari mit Arbeitskollege Christophe Molto, Corinne Blaser-Fluri, Chefin der Zimmerei und Schreinerei Fluri AG, und Josef Flury, Betriebsleiter der Schreinerei.

Hat Freude an seiner Lehre (v. l.): Mohammadreza Jafari mit Arbeitskollege Christophe Molto, Corinne Blaser-Fluri, Chefin der Zimmerei und Schreinerei Fluri AG, und Josef Flury, Betriebsleiter der Schreinerei.

Hansjörg Sahli

«Mach immer weiter. Wenn du dir Mühe gibst, wirst du ein besseres Leben haben»: Mohammadreza Jafari hat sich diese Sätze eingeprägt, die ihm seine Eltern mit auf den Weg gegeben haben. Jafari ist 19 Jahre alt und lebt ganz alleine in der Schweiz. Vor etwas mehr als zwei Jahren ist er hierhin gekommen. Seine Eltern hat er im Iran zurückgelassen. Zu Fuss und mit Transportern gelangte er von dort in die Türkei und mittels Boot nach Europa. «Mach immer weiter»: Diese Worte hört er von seinen Eltern heute nur noch am Telefon.

Ein Jahr, viele Fortschritte

Heute hat Mohammadreza Jafari eine Lehrstelle. Bereits vor rund einem Jahr, im Januar 2016, hat diese Zeitung über ihn berichtet. Damals hat Jafari das Integrationsjahr für Lehre, Haushalt und Arbeitsmarkt in der Zuchwiler Regiomech besucht. Trotz seiner beachtlichen Deutschkenntnisse hat er damals gesagt: «Ich muss noch sehr viel lernen. Ich brauche diese Sprache.» Rund ein Jahr später ist Jafari einen Schritt weiter. Er will nicht mehr nur sein Hochdeutsch verbessern. Auch seine Mundartkenntnisse schreiten
voran. (lfh)

Den ersten Schritt zu einem besseren Leben hat der junge Flüchtling bereits getan: Kurz nach neun Uhr steht Mohammadreza Jafari in der Schreinerei der Bellacher «Fluri Holz AG». Im vergangenen August hat er hier im KMU, das rund zwei Dutzend Mitarbeiter hat, eine Attestlehre als Schreiner begonnen. Er lernt, Fenster oder Küchen zu bauen. «Es läuft gut. Aber ich lerne auch viel für die Schule», sagt Jafari. «Er ist sehr motiviert und will integriert werden», erklärt Josef Flury, Betriebsleiter der Schreinerei.

Dass Mohammadreza Jafari heute eine Lehre machen kann, daran trägt auch die Regiomech in Zuchwil eine «Mitschuld». Ein Jahr lang hat sie ihn in einem speziellen Integrationskurs für junge Flüchtlinge für den Lehrstellenmarkt fit getrimmt. Sie hat den Rucksack des jungen Flüchtlings so gefüllt, dass er in Mathematik, Deutsch und im Alltag in der Berufsschule und in der Lehre mithalten kann. Für Regiomech-Leiter Ignaz Moser ist jede Lehrstelle «eine Investition, um zu verhindern, dass Leute später in die Sozialhilfe kommen».

Aufenthaltsstatus ist ein Problem

Doch ganz einfach ist es nicht, für alle jungen Flüchtlinge eine Lehrstelle zu finden. Denn die Zahl der minderjährigen, alleinreisenden Flüchtlinge hat zugenommen. Vergangenes Jahr schlossen mit Jafari 11 weitere Absolventen das Regiomech-Jahr ab.

Heuer sieht das ganz anders aus: Per 1. August sucht die Regiomech für 40 Absolventen eine Lehrstelle. Gesucht sind vom Reifenpraktiker über Kaufmann und Küchenassistent bis zu Maler, Pfleger, Logistiker, Servicefachfrau und Detailhändler diverse Berufe. Noch längst nicht alle Abgänger haben eine Lehrstelle. «Nach wie vor treffen wir auf Berührungsängste», sagt Regiomech-Leiter Moser. «Wir leisten relativ viel Effort, um aufzuklären und die Scheu zu nehmen.»

Bei der Fluri Holz AG in Bellach zeigten weder die Chefin, Corinne Blaser-Fluri, noch Schreinerei-Leiter Josef Flury Berührungsängste. Eine Woche lang hat Mohammadreza Jafari geschnuppert. Dann war klar, dass er die Lehrstelle haben kann. «Er hat sich bewährt in dieser Woche», sagt Josef Flury. «Es war aber auch ein soziales Projekt», sagt Blaser-Fluri.

Ein Problem, das häufig auftritt, ist der Aufenthaltsstatus: Viele sind vorläufig aufgenommen. Das schrecke potenzielle Arbeitgeber ab, sagt Ignaz Moser von der Regiomech. «Betriebe haben Angst, dass der Lehrling dann plötzlich die Schweiz verlassen muss.» Dabei habe er noch kaum je einen Fall erlebt, in dem ein junger Mann oder eine junge Frau die Schweiz noch während der Ausbildung hätte verlassen müssen.

Angst, dass ihr Lehrling plötzlich weg ist, hat Corinne Blaser-Fluri nicht. «Wir haben das Versprechen, dass er bleiben kann.» Die Chefin hat einzig in der Administration Unterschiede zu anderen Lehrlingen festgestellt. «Weil keine Eltern hier sind, gibt es auch keinen gesetzlichen Vertreter», so Blaser-Fluri.

Was Administratives betrifft, etwa die Kosten für die Zugfahrt an die Berufsschule in Lenzburg, muss der Betrieb mit den Sozialen Diensten abklären. «Im Alltag ist er sonst ein ganz normaler Lehrling.» Eine Hilfestellung hat er jedoch: Im Betrieb arbeitet Jafari meist mit dem gleichen Mitarbeiter zusammen, der ihn betreut.

Mundart als nächstes Ziel

Im Betrieb nennen sie Mohammadreza Jafari der Einfachheit halber «Reza». Gestartet sei er gut, sagt Flury. Den Schrank für seine eigene Wohnung hat Jafari bereits selbst gebaut. Schwierigkeiten gab es nur bei der Sprache: Die Namen der Maschinen und Werkzeuge waren ein Zusatzaufwand. Das hat Jafari nicht aufgehalten. Obwohl er Hochdeutsch besser versteht, sollen seine Kollegen Mundart reden. Er will die Umgangssprache möglichst schnell lernen.
Nie aufhören und immer weitergehen: Das hat nicht nur Mohammadreza Jafari getan.

Franziska Schönauer, die die Flüchtlingsprogramme der Regiomech leitet, weiss: «Es sind junge Leute, die sehr motiviert sind.» Dass es auch schon Abbrüche gegeben hat, verschweigt sie nicht. Gründe waren eine plötzliche Schwangerschaft oder der Umstand, dass eine Lehre nicht gefiel, was bei allen anderen Lehrlingen auch vorkommen kann. Weniger Probleme gebe es bei den schulischen Leistungen oder bei der Sprache. Ob die Sprachkenntnisse genügen, zeige sich meist in der Schnupperwoche, sagt Schönauer.

In der Regiomech überlegt man sich nun, das spezielle Integrationsjahr auf 1,5 Jahre auszudehnen, nicht nur, damit die Abgänger höhere Fähigkeiten haben, sondern auch, weil es schwierig ist, im August zu beginnen und schon ab Oktober auf Lehrstellensuche zu gehen.

«Ich will immer weiterkommen und dann nochmals weiter», sagt Jafari. «Aber nicht alles zusammen.» Zuerst möchte er die Anlehre beenden. Jafari und der Betrieb haben sich schon überlegt, ob er nach der Anlehre noch die Lehre machen kann, obwohl sie sich nicht sicher sind, inwieweit das möglich ist oder bürokratische Hürden dazwischen stehen. «Man weiss ab und zu nicht alles genau», sagt Fluri-Blaser. Entspannt. Sie machen weiter.