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Kanton Solothurn
Am 21 Mai stimmen die Solothurner über die Einführung des Lehrplan 21 ab. Die Diskussionen dazu sind engagiert, die Meinungen gespalten.
Am Mittwochabend kreuzten bei einem gut besuchten Podium im Landhaus Solothurn Lehrplan-21-Befürworter und –Gegner die Klingen. Auf Gegner-Seite standen René Steiner (EVP), Co-Präsident des Initiativkomitees gegen den neuen Lehrplan, Oberstufenlehrer Alain Pichard (GLP, Biel) sowie Raimund Baumgartner, CEO der CWA Constructions SA Olten.
Befürworter waren Beat Zemp, Präsident des Schweizerischen Lehrerverbandes, Dagmar Rösler, Präsidentin des Solothurner Lehrerverbandes und Andreas Gasche, Geschäftsführer des Kantonalen Gewerbeverbandes.
Moderator Marco Jaggi von Radio SRF gab fünf Themen vor: Harmonisierung, Wirtschaft, Kompetenzen, Lehrerrolle sowie Fächerkanon. Er fragte, was das Komitee mit «Harmonisierungsbschiss» meine.
Steiner kritisierte, dass man das Ziel, Umzüge von Familien zu erleichtern, nicht erfülle und somit den Verfassungsauftrag nicht umsetze, den das Stimmvolk guthiess. Jahrgangsziele seien abgeschafft, der Fremdsprachenunterricht sei uneinheitlich. «Ein Schüler hat davon gar nichts. Man weiss nicht einmal von Gemeinde zu Gemeinde, wo die Schüler stehen.» Pichard fand, es sei diesbezüglich ein Rückschritt.
Zemp: «Die Verfassung verlangt nicht Jahresziele, sondern Stufenziele für die drei Stufen. Noch nie wurde so viel koordiniert wie jetzt.» Manches wie die Stundentafel sei bloss eine Empfehlung, Bildung liege letztlich in der Hoheit der Kantone. Es sei allen klar, wohin man kommen müsse, es gebe Orientierungspunkte. Rösler sagte, der Lehrplan 21 sei nur ein Teil von Harmos. Zudem bedeute Harmonisierung nicht Gleichmacherei.
Die Kompetenzorientierung und die Selbststeuerung gaben viel zu reden. Steiner sagte, es sei ein Paradigmenwechsel, die Schwachen würden überfordert. Pichard beanstandete die fehlenden Inhalte: «Ob man sich Textverständnis mit einer Staubsaugeranleitung aneignet oder mit was auch immer, wird nun völlig egal.»
Dass man die Kompetenzorientierung deshalb fokussiere, weil es gerade international im Trend sei, kritisierte er. Früher hätte man einen Lehrplan aufgrund dessen legitimiert, was in der Gesellschaft gefordert werde. Der Lehrplan 21 sei vorrangig Instrument der Unterrichtsvorbereitung und er diene vor allem der Vergleichbarkeit etwa zwischen Schulen. «Um Daten zu generieren», so Steiner. Sie seien nicht gegen Kompetenzen, aber Wissen sei Voraussetzung dafür. Dem stimmten auch die Lehrplan-21-Befürworter zu.
Zemp sagte, der Trend zu Vergleichstests habe mit der gestiegenen Rechtfertigungspflicht zu tun, es sei ja viel Geld damit verbunden. Der «Testzirkus» sei nicht Lehrplan-21 spezifisch, das habe man früher schon bei der Rekrutenprüfung gehabt. Rösler meinte: «Ich habe den Lehrplan 21 nicht erfunden, es ist nicht auf dem Mist der Lehrerverbände gewachsen, wir werden damit arbeiten.» Er sei praxistauglich, das sei für sie der wichtigste Grund, den zu befürworten. Die Kritik an der hohen Zahl der Kompetenzen wies sie zurück, die früheren Lernziele seien ebenso zahlreich.
Andreas Gasche vom Gewerbeverband sagte, die Kompetenzorientierung sei in Wirtschaft und Berufsbildung nichts Neues. Baumgartner fand, die Tatsache, dass alle kompetenzorientiert arbeiteten, sei kein Grund auch dafür zu sein. Gerade in der Wirtschaft müsse man speziell sein, sich abheben, um Erfolg zu haben. «Wenn ich eine neue Maschine anschaffe in der Fabrik, dann lasse ich die Mitarbeiter daran nicht selbstbestimmt lernen.»
Während Gasche meinte, fürs Gewerbe bringe der neue Lehrplan keine Veränderung, warnte Baumgartner: «Ich befürchte, dass es schlechter wird. Die ganz Guten werden mithalten können. Aber unsere Wirtschaft lebt von jenen im Mittelfeld.» Pichard bemängelte den fehlenden «Kanon»: «Unsere Gesellschaft, die stets weiter auseinanderdriftet, braucht gewisse Gemeinsamkeit.»
Immer wieder tauchte die Frage auf, ob mit dem Lehrplan 21 die Methoden sowie die Unterrichtsmittel schon vorgegeben würden. Zemp und Rösler verneinten einerseits, anderseits gab Zemp zu bedenken, dass man an Harmonisierung gewinnen würde, wenn man sich auf Lehrmittel einigen würde
Dass die Angst vor diesbezüglichem Zwang und Sanktionen gross ist, zeigten auch Voten und Reaktionen aus dem Publikum. Offenbar ist ein Spielraum vorhanden, doch, so Zemp: «Eine Lehrperson kann sich seinen Lehrplan nicht selber machen.» Die Funktion als «Coach» stellte Pichard beim Thema Lehrerrolle in Frage. Für ihn sei wichtig, dass er als Lehrer selber entscheiden könne, welche Methode er anwende, das sei je nach Schüler anders.
Allgemein sah Zemp Einiges lockerer als die Gegner. «Das ist nun schon der dritte Lehrplan, den ich miterlebe. Auch das wird nicht das Ei des Kolumbus, und in 20 Jahren werden wir wieder einen andern haben.» Er strich als positiv hervor, dass er von hundert Lehrpersonen erstellt wurde, nicht von Erziehungswissenschaftlern. Bemerkungen aus dem über 60-köpfigen Publikum waren allesamt kritisch bis ablehnend.
Eine Frau schilderte etwa, wie ihr Sohn, ein guter Schüler, im Matheunterricht nach neuem Lehrplan eine «Riesenliste» mit Aufgaben erhielt, auch mit neuen Themen, die er sich selber hätte erarbeiten müssen und wie er überfordert war. «Müssen 20 Kinder bei der Lehrperson anstehen? Was für eine Verschwendung von Ressourcen und Zeit!»