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In manchen Spitälern werden Ärzte besser bezahlt, wenn sie mehr Operationen durchführen. Wird auch in den Solothurner Spitälern unnötig und zu viel operiert? CEO Martin Häusermann antwortet auf Vorwürfe.
«Je mehr Sie produzieren, umso mehr verdienen Sie», kritisierte Jean-Pierre Barras, einer ihrer ehemaligen Chefärzte, am Montag in dieser Zeitung. Wird zu viel operiert in Ihren Spitälern?
Martin Häusermann: In unseren Spitälern wird nicht zu viel operiert. Da bin ich überzeugt. Jean-Pierre Barras, den ich sehr schätze, hat meines Erachtens eine grundsätzliche Aussage gemacht und sich nicht auf seinen ehemaligen Arbeitgeber bezogen.
Aber es gibt auch in den Solothurner Spitälern für Ärzte Anreize, mehr zu tun als nötig: Wer mehr operiert, verdient mehr.
Solche finanziellen Anreize dürfen keinen Platz haben. Wir sind ein öffentliches Haus und haben eine Gesamtverantwortung für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Da muss jeder und jede kommen dürfen und wissen, dass er eine gute, ordentliche Behandlung erhält, bei der auch nicht zu viel gemacht wird.
Sie sehen in Ihren Spitälern also keine Anreize hin zu unnötigen Eingriffen?
Es gibt zwar grundsätzlich finanzielle Anreize, zu operieren. Aber das ist bei den Solothurner Spitälern nicht das Thema. Gerade in Privatspitälern oder bei Belegarztverträgen, wo immer wieder horrende Summen pro Operation genannt werden, ist das ein spektakuläres Thema. Bei uns ist das aber nicht so. Wir liegen bei den Löhnen im Mittelfeld. Wir sind zudem daran, ein neues Lohnmodell und zeitgemässere Anstellungsbedingungen auszuarbeiten. Das bisherige Entlöhnungssystem für die Kaderärzte ist seit 30 Jahren gleich.
Wäre es nicht eine Idee, Grundlöhne zu erhöhen, damit es diese Anreize gar nicht mehr gibt?
Den allermeisten Ärzten geht es um den Patienten und nicht ums Geld. Davon bin ich überzeugt. Und das spüre ich hier auch. Gerade bei unseren Diskussionen um ein neues Lohnmodell wird das Thema Geld nur als ein Element angeschaut und nicht als das wichtigste. Unsere Ärzte wissen, dass sie in Privatspitälern mehr verdienen könnten. Davon ausgehend ist es denkbar, auf ein Fixlohnsystem zu setzen. Es kann aber durchaus Sinn machen, eine variable Lohnkomponente zu haben, die aber kleiner sein soll als beim heutigen Honorarsystem. Ich würde es nicht akzeptieren, dass man Leistungszahlen oder den Ertrag als Grundlage dafür nimmt. Aber Komponenten wie etwa das Mitwirken bei Projekten und Innovationen oder effizientes Arbeiten.
Sie führen als CEO eine AG, die zwar keinen Gewinn machen muss. Aber Sie dürfen auch nicht Verluste machen. Das gibt doch einen Druck.
Jeder Spitaldirektor muss mit sich selbst ausmachen, wie er mit diesem Spannungsfeld umgeht. Dass wir nachthaltig selbsttragend sind, ist eine der Zielsetzungen, die ich als CEO gewährleisten muss. Das müssen wir einfach hinkriegen. Trotzdem spüre ich in erster Priorität Verantwortung für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in diesem Kanton. Ich bin an allen Standorten persönlich unterwegs. Ich schaue nicht nur die Zahlen an, sondern will auch die Spitalkultur spüren und lege grossen Wert auf die Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit.
Sie sind also nicht glücklicher, je besser das Spital belegt ist?
Je mehr Betten belegt sind, umso besser ist es für uns: Dieser Behauptung würde ich widersprechen. Es braucht meines Erachtens eine differenziertere Betrachtung. Wir müssen es fertigbringen, uns der Nachfrage entsprechend zu verhalten, und dürfen nicht sagen: Das Haus muss voll sein. Deshalb müssen wir die Flexibilität erhöhen. Wir brauchen Kennzahlen, die es uns – auch beim Einsetzen der Mitarbeitenden – schneller ermöglichen, entsprechend dynamisch zu reagieren, wenn die Belegung höher oder tiefer ist.
Ist die Konkurrenz unter den Spitälern sinnvoll oder treibt sie nicht auch die Kosten in die Höhe? Sie müssen ja auch bieten können, was andere Spitäler haben.
Grundsätzlich ist ein Wettbewerb unter den Spitälern nicht negativ. Er spornt an, gerade im Bereich der Qualität Massnahmen zu ergreifen. Etwa wenn man Rehospitalisationsraten oder Mortalitätsraten auf einer soliden Basis vergleichen kann. Das hilft dem Patienten und motiviert die Mitarbeitenden. Eine finanzielle Konkurrenz – sprich: wer hat den grössten Gewinn – lehne ich total ab. Weiter müssen wir schauen, dass wir eine Infrastruktur und Geräte haben, die für den Patienten einen Nutzen haben und die sinnvoll betrieben werden können. Wir können und wollen nicht blindwütig Geräte kaufen, weil sie ein anderes Spital hat.
Als Beispiel für eine möglicherweise unnötige, aber für das Spital lukrative Investition wird öfters das Herzkatheterlabor am Bürgerspital genannt.
Ich habe nie erlebt, dass wir strategische Entscheide gefällt haben, die rein auf eine finanzielle Verbesserung abzielen. Im Vordergrund steht für die ganze Geschäftsleitung etwas anderes: Wir möchten im Kanton zur richtigen Zeit das richtige Angebot haben, und zwar in der benötigten Menge. Wir versuchen abzuschätzen, wie sich die einzelnen Krankheiten in der Bevölkerung entwickeln. Nun zur Kardiologie: Ich gehe solchen Vorwürfen sehr gerne und rasch nach. Wir wollen keine Verteuerung und Überversorgung. Ich darf da feststellen, dass die kardiologischen Eingriffe im Kanton Solothurn unter dem gesamtschweizerischen Mittel sind. Solche Zahlen geben mir den Hinweis, dass wir kein Überangebot haben.
Ist es nicht unsinnig, dass die Spitalplanung bei den Kantonen liegt und nicht in anderen Räumen geplant wird?
Völlig richtig. Man muss die Spitalplanung regional und nicht kantonal anschauen. Es gibt auch deshalb eine Gesundheitsversorgungsplanung in der Nordwestschweiz. Es machen zwar nicht alle gleich mit, höre ich. Aber wir haben einen sehr offenen Austausch zum Beispiel mit Vertretern des Kantons Baselland. Es ist auch unser Vorteil, dass der Kanton früh mit strategischen Kooperationen begonnen hat, mit dem Uni-Spital Basel etwa oder mit dem Inselspital Bern. Dass man dies noch einen Schritt weitertreibt und schaut, welche Häuser es mit welchem Angebot wo braucht, ist richtig.
Gerade nördlich des Juras stehen die Solothurner Spitäler in grosser Konkurrenz.
Auf der Nordseite des Juras haben wir eine andere Situation als im Mittelland. Das Gebiet hat zu Teilen eine hohe Bettendichte und weist hohe Gesundheitskosten auf. Wenn Sie konkret das Spital Dornach ansprechen: Es ist ein Regionalspital. Als ich gestartet bin, war auch schon Thema, ob man es weiterbetreiben oder verkaufen will. Wenn ich heute das Thema bespreche, dann kriege ich als Feedback, dass es ein sehr gut etabliertes und von der Bevölkerung sehr geschätztes Spital ist. Es braucht aber gewisse Sanierungen, auch der Effizienz willen. Wir schauen, wie wir Dornach für die nächsten 20, 30 Jahre als Regionalspital positionieren können. Der Bedarf für ein Basispaket Medizin und Chirurgie oder die Notfälle ist einfach gegeben und die Orthopädie hat sich in den letzten Jahren sehr gut etabliert. Die nahe räumliche Versorgung und das Einzugsgebiet sind da relevant. Wir schauen jeweils das Einzugsgebiet an und rechnen, was Sinn macht.
In Solothurn müssten Sie den Neubau des Bürgerspitals selbst finanzieren. Das sind 340 Mio. Franken. Faktisch können Sie dies nicht. Der Kanton muss zahlen.
Es gibt in der Schweiz einen riesigen Investitionsstau in den Spitälern. Ich bin sehr froh darüber, dass der Kanton zu seinen Häusern schaut. Sie gehören noch immer zu ihm, auch wenn die Spitalliegenschaften an mehreren Standorten bereits der Solothurner Spitäler AG übertragen wurden. Wir sind ja zu 100 Prozent im Besitz des Kantons. Als Spital macht es, mit Blick auf die Finanzen und das Ergebnis, keinen wesentlichen Unterschied, ob man selbst baut oder ob der Kanton baut. Wenn der Kanton uns die Liegenschaften übergibt, tragen wir die Belastung bei Unterhalt, Nebenkosten und vor allem den Abschreibungen.
Zu viel zu operieren ist ein Vorwurf. Wird auf eine Operation verzichtet, kann der Patient andererseits auch das Gefühl haben, dass zu wenig getan wird – vielleicht auch aus finanziellen Überlegungen. Wie gehen Sie mit dieser Diskrepanz um?
Mir ist wichtig, dass die Arzte und Mitarbeitenden, die wir an Bord haben, ein hohes Ethikverständnis haben. Sie müssen sich die Frage stellen: Wann macht man was und was ist ethisch vertretbar? Die Ärzte sollen von einem mündigen Patienten ausgehen und den Austausch mit ihm suchen. Ich möchte nicht Ärzte, die jeden Patienten operieren, auch aus einem übersteigerten Gefühl heraus zeigen zu wollen, dass sie auch das Unmögliche schaffen. Ärzte müssen manchmal auch erklären können, warum man etwas nicht macht. Gerade da aber ist durch die Medienberichterstattung nun in mehreren Fällen fälschlicherweise der Eindruck entstanden, dass wir zu spät einen Eingriff gemacht haben und dann in Privatkliniken sofort gehandelt und der Patienten gerettet worden ist. Das schadet uns: Das gibt den Eindruck in der Bevölkerung, dass wir zu spät handeln oder ein anderes ethisches Verständnis haben. Das ist nicht so. Wir haben hochkompetente Leute hier.
Der Bundesrat will den Ärztetarif selbst anpassen und rund 700 Mio. Franken bei den ambulanten Leistungen einsparen – nachdem sich Ärzte, Spitäler und Krankenkassen nicht auf eine Revision der Tarife einigen konnten.
Der CEO der Solothurner Spitäler AG, Martin Häusermann, kritisiert diesen Eingriff. «Wenn man postuliert, dass man mehr ambulant als stationär behandeln will, kann man nicht solche falschen Anreize setzen.» Für die Spitäler sei es nun wichtig zu überlegen, wie darauf reagiert wird. «Es ist weithin bekannt, dass die ambulanten Leistungen in der Schweiz grösstenteils nicht kostendeckend erbracht werden können.
Wenn dieses Defizit zunimmt, werden einzelne reagieren. Es gibt Aussagen von nicht-öffentlichen Spitälern, den ambulanten Bereich einzuschränken, wo er nicht mehr kostendeckend ist», so Häusermann. Bei einem öffentlichen Haus wie den Solothurner Spitälern könne man aber nicht einfach Leistungen zurückfahren, weil sie neu weniger stark abgegolten werden. «Wir führen intensive Diskussionen, wie wir darauf reagieren», so Häusermann. (lfh)