Tatjana Cristina Disteli, römisch-katholische Theologin aus Olten, schreibt in ihrer Kolumne über das EU-Rahmenabkommen.
Alles neu macht der Mai – die Terrassen und Balkone waren unsere Hoffnung. Die Grosswetterlage brachte uns eine selten da gewesene Abfolge von Wolken, kurzem Sonnenschein, Regen, Windböen und unzähligen Regenbögen. Der Jetstream hoch oben beeinflusse unser Wetter, erklärt der Meteorologe, wir seien blockiert zwischen einer Hoch- und einer Tiefdruckwelle.
Nicht genug damit. Mein Balkon zeigte Hochwasseralarm, als es schon zu spät war. Das Regenwasser ergoss sich fröhlich über das alte Eichenparkett. Dieser Schaden wäre vermeidbar gewesen. Die Handwerker liessen ein wenig Bauschutt liegen, welcher das kleine Abflussloch verstopfte: Unwissenheit – Blockade – Schaden.
Abgeleitet davon: Man darf hoffen, unser Politbetrieb möge aus der Pandemiebewältigung die richtigen Schlüsse ziehen für eine optimalere Zusammenarbeit der Gremien. Genau – zwecks Vermeidung von Blockaden und unnötigem Schaden.
Schon zieht die nächste Gewitterfront auf. Mein Balkon befindet sich ausserhalb der Gefahrenzone. Wir hören von weit relevanteren Blockaden, die Wellen schlagen: Blockaden in Beziehungsangelegenheiten sind delikat, besonders bilaterale Blockaden eines Exportlandes.
Durch einen Journalisten vernimmt die interessierte Bürgerin von einem kryptischen Analysebericht, der, nach dem Willen des Bundesrates, offenbar vertraulich hätte bleiben sollen. Darin werden die Folgen eines Scheiterns der Verhandlungen mit der EU zum Rahmenabkommen beschrieben. Das Abkommen liegt seit Ende 2018 vor. Die Analyse behandelt existenzielle Inhalte, die, zumindest nach Abbruch der Verhandlungen, nach Transparenz verlangen. Über das prognostizierte Pro und Contra eines Brexits wussten auch die Briten Bescheid.
Transparenz über die Faktenlage und Mitbestimmung an Weggabelungen sind Grundpfeiler der Demokratie. Nebenbei gesagt, zeigt sich hier ein Beispiel der Systemrelevanz des Journalismus für die demokratisch verfasste Gesellschaft. Journalistische Grundlagenarbeit darf nicht prioritär von unternehmerischen Prinzipien abhängen. Ohne sachliche Aufbereitung und Faktenvermittlung im Dienst demokratischer Entscheidungsfindung blühen Unwissenheit, Blockade, Schaden.
Zurück zur Wie-auch-immer-Beziehung mit der EU. Der erneuernde Pfingstwind ist noch frisch. Wie wär’s, wenn er das Analysepapier aus dem Bundeshaus auf die Strasse weht und uns schliesslich das Abstimmungscouvert vor die Türe bläst, damit alle über die politische Stossrichtung der nahen Zukunft entscheiden können: Schwexit – oder hopp, mit Realitätssinn und diplomatischer Reife zurück an den Verhandlungstisch?
Mit Blick aus dem Fenster springt mir ein uraltes Hoffnungszeichen ins Auge – ein prächtiger Regenbogen am Himmelszelt. Bleiben wir diesmal nicht in Schuldzuweisungen stecken. Möge der Pfingstgeist nachwirken und die Unwissenheit klären, die Blockaden wegwehen. Bühne frei für einen neuen weiten Horizont mit Transparenz und Klarheit, Inspiration und Klugheit, Verständnis und vor allem: mit dem Vertrauen in den Lernprozess dieser kleinen demokratischen Gesellschaft im Herzen Europas.