Gastautor
Die Welt braucht mehr Globalisierung

Um die Probleme der Welt lösen zu können, braucht es nicht weniger, sondern mehr Globalisierung. Und zu den grössten Gewinnern der Globalisierung in der Schweiz gehören die einkommensschwachen Haushalte, sagt Handelskammer-Direktor Daniel Probst.

Daniel Probst
Daniel Probst
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Auf dem Holzweg, findet unser Gastautor: Demo von Globalisierungsgegnern.

Auf dem Holzweg, findet unser Gastautor: Demo von Globalisierungsgegnern.

Urs Bucher

Gemäss dem KOF-Globalisierungsindex der ETH Zürich ist der Welthandel seit den 1970er-Jahren kontinuierlich gestiegen. Zu den grössten Profiteuren gehört die Schweiz. Wir verdanken unseren Wohl-stand in erster Linie der Globalisierung.

Nach Corona sind die Exporte der Schweiz auf ein neues Rekordhoch geklettert. Konkret verkauften Schweizer Unternehmen im Jahr 2021 Waren im Wert von knapp 260 Milliarden Franken im Ausland. Der Überschuss in der Handelsbilanz stieg ebenfalls auf einen neuen Höchststand von 58,7 Milliarden Franken.

Die Schweiz gehört nach den Niederlanden und vor Belgien zu den globalisiertesten Länder der Welt. Uns geht es dank des Welthandels so gut wie noch nie. Zu den grössten Gewinnern der Globalisierung in der Schweiz gehören die einkommensschwachen Haushalte. Sie können sich teure Inlandprodukte weniger leisten und konsumieren deshalb vergleichsweise häufiger importierte Güter.

Ihre Kaufkraft wäre noch höher, wenn einheimische Waren nicht durch hohe Zölle geschützt würden. Wenn Politiker also etwas Gutes für einkommensschwache Haushalte tun wollen, dann müssen sie sich für mehr Freihandel, tiefere Zölle und weniger Handelshemmnisse einsetzen.

Nach Corona und dem Krieg in der Ukraine haben Globalisierungsgegner bereits eifrig das Ende des Welthandels ausgerufen. Besonders laut ist der Ruf in wohlstandsgesättigten Ländern wie in der Schweiz. Dank hoher Kaufkraft, gesicherten Renten und einem feudal ausgebauten Sozialstaat können wir es uns leisten, den Gürtel – vielleicht – ein wenig enger zu schnallen.

Natürlich hat auch der Verzicht seine Grenzen. Den vollen Teuerungsausgleich für unsere Löhne, Subventionen für unsere eigene Fotovoltaikanlage und eine Viertagewoche fordern wir trotzdem. Und selbstverständlich lehnen wir jede Stabilisierungsvorlage für unsere Sozialwerke ab, die zu Einbussen bei Renten, mehr Lohnprozenten und zu einem höheren Pensionierungsalter führen könnten. Auch die Erhöhung des Preises für die Autobahnvignette von 40 auf 100 Franken scheiterte am Volksmehr.

Um zu sehen, wo die Schweiz ohne Welthandel stehen würde, empfiehlt sich eine Fahrt nach Hofstetten bei Brienz im Berner Oberland. Im Freilichtmuseum Ballenberg lassen sich vom 14. bis ins 19. Jahrhundert über 100 ländliche Bauten aus einer Zeit entdecken, bevor in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung einsetzte und damit die Schweiz zu einem der reichsten Länder machte.

Auf dem Ballenberg können wir unsere Kinder lehren, was es heisst, Selbstversorger zu sein. Für die Romantiker: Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz lag 1880 bei etwas über 40 Jahren. Die Säuglingsmortalität lag um den Faktor 60 höher als heute.

Kein Entwicklungsland hat auch nur im Ansatz ein Interesse daran, das Rad der Globalisierung zurückzudrehen. Natürlich werden die jüngsten Krisen Auswirkungen auf die Organisation des Welthandels haben, indem die Resilienz und Lieferfähigkeit mehr in den Fokus geraten werden.

Lieferketten werden diversifiziert und künftig noch stärker auf mehrere Lieferanten ausgerichtet. Zudem werden wir strategische Komponenten und Rohstoffe künftig nicht mehr nur aus Asien, sondern vermehrt aus den USA, Australien oder auch aus Südamerika und Afrika beziehen.

Für Regionen, die bis jetzt nur wenig in den Welthandel eingebunden waren, ist dieser Ausbau der Globalisierung eine grosse Chance. Dank der Globalisierung ging die globale Ungleichheit zurück, der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, sank dramatisch und die Lebenserwartung und die mittleren Einkommen waren noch nie so hoch.

Die Coronakrise konnte dank beispielloser internationaler Zusammenarbeit rasch und effektiv bekämpft werden. Um die künftigen Probleme der Welt lösen zu können, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Globalisierung.

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