Gastautor
Der Preis der Meinungsfreiheit

Ist die Meinungsäusserungsfreiheit in unserem Land wirklich gewährleistet. Rechtlich (weitgehend) schon, findet unser Gastkolumnist, aber längst nicht jede und jeder könne es sich leisten, seine Meinung frei zu verbreiten.

Konrad Jeker
Konrad Jeker
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Die Auns (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz) glaubte die Meinungsfreiheit schon 2016 zu Grabe tragen zu müssen.

Die Auns (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz) glaubte die Meinungsfreiheit schon 2016 zu Grabe tragen zu müssen.

Urs Flueeler / KEYSTONE

Zu den Grundrechten, welche die Bundesverfassung aufzählt, gehört die Meinungsfreiheit. In Artikel 16 steht, jede Person habe das Recht, ihre Meinung frei zu bilden, sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten.

Dieses Versprechen wird relativiert, indem die Verfassung auch vorsieht, dass Grundrechte wie die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden können. Solche Einschränkungen finden sich beispielsweise in Strafgesetzen, die bestimmte Aussagen verbieten und unter Strafe stellen. Es ist daher trotz der Verfassung möglich, in der Schweiz eingesperrt zu werden, weil man seine Meinung öffentlich geäussert hat.

Glücklicherweise darf der Gesetzgeber Meinungsäusserungen aber nicht beliebig unter Strafe stellen. Dafür sorgen die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser verurteilt die Schweiz immer wieder, weil hierzulande Menschen für eine öffentlich verbreitete Meinung bestraft werden. Daraus kann man schliessen, dass sich unsere Rechtsordnung mit der freien Rede schwertut.

Das Hauptproblem mit der Meinungsäusserungsfreiheit ist aber nicht das Recht, sondern die mangelnde gesellschaftliche Bereitschaft, abweichende Meinungen als solche gelten zu lassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Uns fehlt die Streitkultur. Das kennt man aus autokratischen Systemen, in denen die Regierung dem Volk die alleingültige Meinung diktiert und abweichende Meinungen als destabilisierend unterdrückt.

Für ein Land, das sich wie die Schweiz für seine direkte Demokratie rühmt, wäre dagegen der Meinungsstreit und die harte Auseinandersetzung einer der wichtigsten Werte. Das setzte aber die Bereitschaft voraus, zu seiner Überzeugung zu stehen und sie vor allem auch dort zu vertreten, wo man nicht mit Applaus rechnen darf.

Für seine Überzeugung einzutreten kann deshalb schwierig sein, weil jede Meinungsäusserung – sofern sie überhaupt zur Kenntnis genommen wird – ihren Preis hat. Dieser Preis kann mitunter ausserordentlich hoch sein.

Den Preis, für seine Meinung kritisiert zu werden, muss man auf sich nehmen, denn genau darum geht es ja gerade in einem demokratisch notwendigen Meinungsstreit. Dieser Preis ist fair. Sogar gratis sind Meinungsäusserungen, die einer Kritik entweder gar nicht zugänglich sind oder die man vor Gleichgesinnten vorträgt. Sie sind gratis und wohl deshalb weit verbreitet. Sie sind aber nur gratis, weil sie wertlos sind.

Wer hingegen nach einer Meinungsäusserung von Andersdenkenden in seiner persönlichen Sicherheit bedroht wird, wer dafür seine Stelle verliert oder sozial ausgegrenzt wird, der bezahlt einen Preis, der unfair ist. Und weil er im Voraus nicht bekannt ist, sind zumindest pointierte Meinungsäusserungen mit derart hohen Risiken verbunden, dass man sie lieber unterlässt.

Rechtlich mag die Meinungsäusserung (weitgehend) frei sein. Wer aber sagt, jede Person dürfe in der Schweiz ihre Meinung frei verbreiten, der verschweigt, dass man sich das leisten können muss.