Grenchner Anton Cadotsch
Ein Papstbesuch, der ins Wasser fiel und ein Bischof, der Vater wurde — Interviewbuch lässt Revue passieren

Als Sekretär der Bischofskonferenz, als Generalvikar und als Domprobst des Bistums Basel erlebte Anton Cadotsch Zeiten des Umbruchs.

Urs Mathys
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Anton Cadotsch (r.) mit dem früheren Bischof von Basel, Kurt Koch, nach dessen Aufnahme ins Kardinalskollegium. (20. November 2010)

Anton Cadotsch (r.) mit dem früheren Bischof von Basel, Kurt Koch, nach dessen Aufnahme ins Kardinalskollegium. (20. November 2010)

zVg

Er stand mehrfach in der ersten Reihe, wenn in der römisch-katholischen Landeskirche der Schweiz Denkwürdiges geschah: Anton Cadotsch, der am 10. Oktober das 70-Jahr-Jubiläum seiner Priesterweihe begehen konnte. Am 7. Juli 1923 in Grenchen geboren, bemühte sich Cadotsch als Präsident der Synode 72 im Bistum Basel um die Umsetzung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils; er erlebte als Sekretär die Mühen der Schweizerischen Bischofskonferenz mit dem konservativen Churer Bischof Wolfgang Haas und er war als Domprobst des Bistums Basel Zeuge davon, dass ein kaum gewählter Bischof Vater wurde.

Das Interviewbuch «Anton Cadotsch - Priester in Zeiten des Umbruchs» lässt all diese – und noch viele weitere – Ereignisse Revue passieren. Cadotsch, der in Solothurn lebt und sich immer noch einer beneidenswerten geistigen Frische erfreut, beantwortet darin die Fragen von Jean-Pierre Simmen und Urban Fink mit grosser Offenheit. Wir picken einige Stationen heraus.

Hier ist Anton Cadotsch mit Papst Franziskus zu sehen. (Archivbild)

Hier ist Anton Cadotsch mit Papst Franziskus zu sehen. (Archivbild)

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Nach der Synode 72 keimte in der Landeskirche eine gewisse Aufbruchstimmung.

Von 1972 bis 1975 war Cadotsch Präsident der Synode 72 des Bistums Basel. Diese hatte die Ergebnisse des vorangegangenen Zweiten Vatikanischen Konzils in der schweizerischen Landeskirche umzusetzen. «Ich teilte weitgehend die grossen Erwartungen, die damit verbunden waren», sagt Cadotsch im Gespräch. Diese Arbeit sei für die Beteiligten «unglaublich wertvoll» gewesen.

«Auf der anderen Seite hat die Synode viele Erwartungen enttäuscht, vor allem weil viele Empfehlungen entweder abgelehnt wurden oder unbeachtet blieben». Insbesondere habe die Synode den Bischöfen empfohlen, einen gesamtschweizerischen Pastoralrat zu gründen, als beratendes Gremium der Bischofskonferenz. Diese habe auch zugestimmt, doch dann kam bei einer Audienz im Vatikan der Rückschlag: «Papst Paul VI. teilte uns mit, dass er diesem Vorhaben nicht zustimmen könne». Das habe in der ganzen Schweiz grosse Enttäuschung ausgelöst, so Cadotsch: «Es entstand der Eindruck, dass der Papst die Synode nicht ernst nehme.»

In die Zeit als Sekretär der Bischofskonferenz fielen Vorbereitungen für den Papstbesuch 1981.

Auf Vorschlag des damaligen Bischofs Anton Hänggi, Präsident der Bischofskonferenz, wurde Cadotsch im Juni 1975 zu deren Sekretär gewählt. Dieses Amt hatte er bis 1983 inne. In diese Zeit fielen ab 1979 die umfangreichen Vorbereitungen für den geplanten Besuch von Papst Johannes Paul II. in der Schweiz.

Neben Stationen in Genf, Freiburg, Einsiedeln und Lugano sollte auch Solothurn zum Ort für eine Papstmesse werden. Cadotsch: «Wir wählten Solothurn als Bischofsstadt des grössten Bistums und weil das Schloss Waldegg mit seinem wunderschönen Umschwung für einen Papstgottesdienst sehr geeignet war.»

Die Besucherparkplätze sollten in Zuchwil liegen und die Menschenmassen dann zu Fuss zur Waldegg gelangen. Zu diesem Zweck bauten Pontoniere der Schweizer Armee eigens eine provisorische Brücke über die Aare: Die «Papstbrücke», die dann noch zwei Jahre stehen blieb.

Doch am 13. Mai 1981, zehn Tage vor Beginn des sechstägigen Papstbesuchs, wurde auf dem Petersplatz im Vatikan ein Attentat auf den Papst verübt. Ein türkischer Rechtsextremist verletzte den Pontifex mit drei Pistolenschüssen schwer. Der Papstbesuch fiel vorerst ins Wasser und wurde erst im Juni 1984 nachgeholt – allerdings ohne Station in Solothurn.

Als Domprobst der Diözese Basel wirkte Cadotsch an besonderen Bischofswahlen mit.

In seine Zeit als Domprobst des Domkapitels der Diözese Basel (1993-2000) kam es kurz nacheinander zur Wahl von zwei Bischöfen. Die Wahl des Bischofs ist die wichtigste Aufgabe des Domkapitels, das aus den Domherren (Vertretern der zehn Bistumskantone) zusammengesetzt ist. Dieses Wahlrecht des Bistums Basel ist weltweit einzigartig und basiert auf einem Konkordat mit dem Vatikan von 1828.

Nach dem Rücktritt von Bischof Otto Wüst im Herbst 1993 wurde am 14. Januar 1994 Hansjörg Vogel zum Bischof von Basel gewählt und schon drei Wochen später vom Papst bestätigt. Doch schon nach eineinhalb Jahren geschah zuvor Unvorstellbares. Cadotsch erinnert sich: «Am Nachmittag rief mich Hansjörg Vogel an, er werde Vater und der Papst habe heute seine Demission angenommen. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. (...) Es war wohl der schwärzeste Tag meines Lebens. Ich hatte grosse Hoffnungen auf ihn gesetzt. (...) Ich blieb im zeitlebens freundschaftlich verbunden.»

So musste am 21. August 1995 schon wieder ein neuer Bischof bestimmt werden. Die Wahl des Domkapitels fiel auf Kurt Koch. Doch bis zur päpstlichen Bestätigung vergingen dreieinhalb Monate. Dieses Zögern hatte laut Cadotsch gleich zwei Gründe: Erstens sei 1989 schon Kochs Wahl zum Ordinarius für Fundamentaltheologie an der Fakultät Luzern im Vatikan auf grösste Skepsis gestossen, weil «Koch in Rom den Ruf eines progressiven Theologen hatte und man dort eine grössere Zahl Klagen aus der Schweiz erhalten» hatte.

Zweitens sei dazugekommen, dass «das Vertrauen Roms in unser Bistum und insbesondere in das Domkapitel nach der Geschichte rund um Bischof Vogel sehr angeschlagen» war. Cadotsch: «Es stand der Vorwurf im Raum, wir hätten fahrlässig einen Kandidaten gewählt, der nicht vom Zölibat überzeugt war.»

Katholische Kirche in der Schweiz im 20. und 21. Jahrhundert: Herausgefordert von allen Seiten.

Bis in die 60er-Jahre sei der Katholizismus in der Schweiz im Wesentlichen Papst-treu gewesen, blickt Cadotsch zurück. Das habe sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor allem durch die 1968er-Bewegung geändert. Auch im katholischen Bereich seien bisher respektierte kirchliche Autoritäten in Frage gestellt worden. Zudem habe auch der Rom-kritische Schweizer Theologe Hans Küng «dazu beigetragen, dass das Papsttum zunehmend kritischer angesehen wurde: Seine ersten Publikationen waren für mich sehr anregend. Später aber wurde er für mein Empfinden zu radikal.» Der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis von Hans Küng durch den Vatikan 1979 «hat in der Schweiz kirchenpolitisch sehr stark nachgewirkt, wohl mit Folgen bis heute».

Der Theologe Hans Küng hat dazu beigetragen, dass das Papsttum zunehmend kritischer angesehen wird. (Archivbild)

Der Theologe Hans Küng hat dazu beigetragen, dass das Papsttum zunehmend kritischer angesehen wird. (Archivbild)

Keystone

Schliesslich sei die Polarisierung in der Kirche durch die Ernennung von Wolfgang Haas zum Weihbischof des Bistums Chur mit dem Recht der direkten Nachfolge auf den Bischofssitz «noch einmal verschärft und damit automatisch auch der antirömische Affekt verstärkt worden», hält Cadotsch fest.

Haas sei im direkten Umgang sehr angenehm gewesen, «aber eine Diskussion über Glaube und Kirche mit ihm war unmöglich». Die Folge: «In der Schweizer Bischofskonferenz gab es eine völlige Gesprächsblockade zwischen ihm und den anderen Mitgliedern.» Dass Haas turnusgemäss nicht auch noch zum Präsidenten der Bischofskonferenz gewählt werden musste, verhinderte eine glückliche Fügung: Henri Salina, Abt von Saint-Maurice, erhielt 1992 die Bischofsweihe und konnte 1995 das Präsidium übernehmen – während Haas zum Erzbischof von Vaduz wegbefördert wurde.

«Dass das Evangelium als lebendiges Zeugnis neu präsent wird», bezeichnet Cadotsch als «innigsten Wunsch». Das bedinge auch, «dass die verhängnisvolle Spaltung innerhalb der christlichen Kirchen und Gemeinschaft überwunden werden kann. (...) Es braucht nicht eine revolutionäre Entwicklung, sondern das Suchen von Lösungen durch den Einsatz aller Beteiligten und ein neues Hören auf die Botschaft Jesu.»

Anton Cadotsch - Priester in Zeiten des Umbruchs. Bezug: Inländische Mission, Zofingen, ISBN 978-3-033-08083-6.