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Solothurn
Kanton Solothurn
Das Mahnmal für das blutige Drama wurde nun ins Schweizerische Inventar der Steindenkmäler aufgenommen. Doch kaum jemand bemerkt das Steinkreuz.
Kaum jemand nimmt «bei den Weihern» in Riedholz Notiz von dem Steinkreuz, das wenige Meter von der östlichen Ausfallachse Solothurns entfernt am Waldrand steht. Eine Plakette mit der eingravierten Inschrift erinnert an das blutige Drama, das sich an dieser Stelle am 25. Januar 1659 abspielte. Das vom Verkehrs- und Verschönerungsverein Solothurn 1918 erneuerte Gedenkkreuz beweist, dass sich hinter grauen Steinen die farbigsten Geschichten verbergen können. Letztes Jahr wurde es ins Schweizerische Steindenkmäler-Inventar (SSDI) aufgenommen (s. Kasten). Das Kreuz, so hält die Inschrift fest, sei «zum Gedächtnis an den blutigen Zweikampf» errichtet worden, der hier, «in Peter Remunds Hofstatt zwischen Hauptmann Christoph Ziegler und Major Heinrich Imthurn sowie ihren Dienern Jakob Guggerli und Niklaus Grau mit Pistolen ausgefochten wurde».
Das Schweizerische Steindenkmäler-Inventar (SSDI) ist eine Sammlung der gemeldeten schweizerischen Kulturgüter, die sich unter dem Begriff «Steindenkmal» zusammenfassen lassen. Die Liste der im Jahr 2012 neu registrierten oder mit neuen Daten ergänzten Objekte umfasst 94 Positionen. Ein spektakulärer Neueintrag aus dem Raum Jurasüdfuss ist jener des in Oberbipp ausgegrabenen Dolmens. Der Kanton Solothurn ist mit drei Positionen - einer in Riedholz und zwei in Meltingen - auf der letztjährigen Liste vertreten. (uw/frb)
Konflikt zwischen Schaffhauser Patrizierfamilien
Der Vorfall bildete den ersten Höhepunkt eines während vieler Jahre schwelenden Konflikts zwischen den im Streben nach Macht und Reichtum rivalisierenden Schaffhauser Patrizierfamilien Ziegler und Imthurn. 1654 etwa hatte Hans Friedrich Imthurn beim Regimentswechsel, als Schaffhausens Bürgermeister Johann Jakob Ziegler zum Unterbürgermeister gewählt werden sollte, eine Klageschrift verlesen, die Missstände wie Bestechlichkeit, Missachtung der Sittengesetze, die Duldung von Totschlägen und die Bereicherung des Bürgermeisters auf Kosten des Gemeinwesens anprangerte. Auf dem Heimweg von einer Ratssitzung wurde Hans Friedrich Imthurn danach von den Söhnen des Bürgermeisters verprügelt. Einer von diesen, Christoph Ziegler, hatte schon 1647 mit einem Überfall auf sankt-gallische Gesandte einen Hang zu Gewalttätigkeit an den Tag gelegt.
Hauptmann Christoph Ziegler und Major Heinrich Imthurn waren beide in den Fünfzigerjahren Offiziere in französischen Solddiensten. Zum Eklat zwischen den beiden kam es im Winter 1658/59, als sie im Urlaub weilten. Imthurn machte auf dem Rückweg nach Paris in Solothurn am Hofe des Ambassadors Jean de la Barde Station. Ziegler argwöhnte unterdessen in Schaffhausen öffentlich, Major Imthurn versuche den französischen Brotgeber dazu zu bewegen, seine – Zieglers Kompanie – dem mit ihm befreundeten Hauptmann von Waldkirch zu geben, zum Schaden von Zieglers Sohn, dem sie versprochen gewesen sei. Ziegler selber brach am Donnerstag, den 23. Januar in Richtung Solothurn auf. Am Morgen des 25. Januar erreichte er die Ambassadorenstadt. Kaum angekommen, schickte er seinen Diener Jakob Guggerli mit einem Brief zu Major Imthurn, worin er diesem Vorhaltungen wegen der angeblichen Einmischung in die Belange seiner Kompanie machte. Das, wie der ganze Briefwechsel zwischen den beiden Schaffhauser Offizieren – auf Französisch verfasst und im Solothurner Staatsarchiv im Original erhalten – macht deutlich, was das Ziel von Zieglers Reise nach Solothurn war: ein Duell. Er wünsche ihn zu treffen, liess er Imthurn wissen, «den Degen oder die Pistole in der Hand». Er wolle daher von ihm erfahren, wo sie sich duellieren könnten, sei es zu Fuss oder, falls Imthurn zwei Pferde auftreiben könne und ihm die Wahl lasse, im Sattel. Darauf folgte ein Briefwechsel, bei dem sich die beiden Heisssporne gegenseitig übelst beschimpften. «Sie lügen wie ein Schelm und ein Feigling, wenn Sie erzählen, ich wolle Ihre Kompanie irgendjemand anderem geben lassen.» Mehrmals innert weniger Stunden trugen die beiden Diener Briefe hin und her, in denen es um die Formalitäten des Duells ging.
Das Treffen fand schliesslich hoch zu Ross statt. Peter Remund, bei dessen Hofstatt sich das Drama abspielte, sagte bei der Zeugenbefragung aus, dass er vier Schüsse gehört habe. Da habe er nachgeschaut und gesehen, «dass einer mit seinem ross gegen den haag geritten und abgefallen; das ross sye bey ihme stilgestanden». Hierauf kam der Diener in die Hofstatt geritten und schrie nach Wasser für seinen Herrn. Für den am Kopf getroffenen Major kam aber jede Hilfe zu spät. Der Diener wies Remund an, die blutüberströmte Leiche ins Haus zu bringen, was die Magd tun musste.
Der Vorfall forderte ein zweites Opfer. Offenbar waren die Sekundanten nicht untätig geblieben: Zieglers Diener Jakob Guggerli, wurde schwer verletzt in die «Krone» zurückgebracht, wo sein Herr abgestiegen war. Ziegler selber wie auch Niklaus Grau, der Diener des getöteten Majors Imthurn, zogen es dagegen vor, das Weite zu suchen, statt nach Solothurn zurückzukehren. Guggerli erlag zwei Tage später seinen Verletzungen und wurde, da er gebeichtet und das Sakrament empfangen hatte, zu St. Niklaus in geweihter Erde bestattet.
Grab in Oberbipp
Beim Schaffhauser Protestanten Imthurn war dies nicht möglich gewesen. Wohl um einem unehrlichen Begräbnis vorzubeugen, sorgte daher Ambassador de la Barde mithilfe des bernischen Vogtes in Bipp dafür, dass der Leichnam umgehend von solothurnischem Boden weggeschafft wurde – zuerst nach Wiedlisbach, dann nach Oberbipp. Dies führte, da der Rat von Solothurn den Leichnam zurück wollte, zu einem Briefwechsel mit Bern. Die Verwandtschaft des Getöteten bat sodann, die Leiche in Bipp endlich «dem küehlen erdrich» übergeben zu dürfen, zumal sie «albereit der fäule unterworffen unnd nit wohl weiters uff zue behalten» sei. Gegen bestimmte Garantien, welche die Familie Imthurn zu leisten hatte, lenkte Solothurn ein. So wurde Heinrich Imthurn durch Vermittlung von Landvogt Hans Ochs im Chor der Kirche von Oberbipp begraben. Bei der Erneuerung des Fussbodens kam 1892 sein Grabstein wieder zum Vorschein. Heute steht er an der rückseitigen Wand im Schiff der Kirche.
Prozess in Solothurn
In Solothurn kam es wegen des Duells zu einem Prozess, der am 17. Februar 1659 begann und sich bis zum 5. August über vier Landtage erstreckte. Reiches Aktenmaterial ist im Staatsarchiv erhalten. Hauptmann Ziegler und Niklaus Grau erschienen nicht zu den Verhandlungen. Sowohl über sie als auch über die beiden umgekommenen Heinrich Imthurn und Jakob Guggerli urteilte der Rat zunächst mit unerbittlicher Strenge. Alle sollten sie «der Stadt Solothurn und dero hochobrigkeitlichem fisco mit Leib, Leben, Guet und Hab verfallen sein». Sie alle hätten nicht nur Gottes Gebot übertreten, sondern auch den öffentlichen Frieden verletzt und so das Verbrechen der Majestätsbeleidigung begangen. Deutlich fassbar wird in dieser Begründung der Wille des absolutistisch gefärbten frühneuzeitlichen Staatswesens, sein Gewaltmonopol rigoros durchzusetzen. Einen ganz andern Ansatz vertrat die Ziegler-Partei, die im Prozess darlegte, Christoph Ziegler habe seine verletzte Ehre verteidigen müssen. Im für Major Imthurn tödlichen Ausgang des Duells wollte die Ziegler-Verwandtschaft quasi ein Gottesurteil sehen, was wohl in gewisser Weise die nichtstaatliche Gewaltausübung hätte rechtfertigen sollen.
Fortsetzung in Schaffhausen
In Schaffhausen ging der Streit zwischen den beiden Familien unvermindert weiter. Christoph Ziegler wurde auf unbestimmte Dauer aus dem schaffhausischen Territorium verbannt. Nach Intervention einflussreicher Verwandter wurde eine ausgesprochene Ehrloserklärung zurückgezogen. Auch wurde ihm später der Aufenthalt auf seinem Gut in Thayngen gestattet. Dort ereilte ihn am 7. September 1661 die Blutrache der Imthurn: Zwei Söhne der mit Landvogt Hans Stokar verheirateten Schwester des bei den Weihern erschossenen Majors – 16 und 15 Jahre alt – lauerten dem Hauptmann auf. Als Ziegler aus dem Haus trat, schoss ihn der ältere tot. Der Täter flüchtete und trat in holländische Solddienste ein. Er starb bei der Belagerung von Oudenaarde (1674) in Flandern.