Marlies Czerny
Die Gastredaktorin sagt: «Uf Wiederluege!»

Unsere Gast-Redaktorin beleuchtet im «Sonntag» ihren neuen Schweizer Alltag. Marlies Czerny ist Redaktorin bei den «Oberösterreichischen Nachrichten» in Linz und arbeitet im Rahmen eines Journalistenaustausches ein halbes Jahr bei der az Solothurner Zeitung.

Marlies Czerny
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Marlies Czerny auf der Regionalredaktion der az Solothurner Zeitung.

Marlies Czerny auf der Regionalredaktion der az Solothurner Zeitung.

AZ

Zugegeben, es war ein naives Prinzip Hoffnung. Als ich diesen März das Zügeln noch Siedeln nannte und die Worte Grüessech, Beiz und Panasch fremd tönten, hoffte ich, dass die Schweizer Uhr langsamer tickt, und ich in diesem halben Jahr möglichst lange etwas erleben darf zwischen den Solothurner Altstadtmauern und darüber hinaus. Aber nein, das Leben nimmt auch in der Schweiz schnell seinen Lauf - und plötzlich ist es Zeit, sich zu verabschieden. Servus zu sagen fällt mir schwer, nachdem ich 160 Tage den Kanton aus allen Perspektiven sehen durfte. Vom Nidlenloch bis zum Weissenstein (wo noch immer weder Gondeli noch Sesseli die Fahrt aufnehmen); vom Kantonsrat bis zum Glacestand. Kollege M. meiner österreichischen Zeitung amüsierte sich, als ich vergangene Woche eine Reportage heimschickte: «Jetzt wirds Zeit, dass du wieder kommst. Du schreibst schon Velo statt Fahrrad.»

Bin ich traurig, dass ich gehen muss? Es bitzli. Freu ich mich, dass ich heim darf? A bissl. Es war eine tolle Zyt, die Begegnungen bereichernd, die Gespräche tiefgründig, die Erlebnisse vielfältig, sodass ich mich traue, Vorurteile in Urteile zu verwandeln. Der Durchschnittsschweizer, das wissen Statistiken, wird 80,1 Jahre alt, die Frau Schweizerin gut vier Jahre älter. Sie bringt in diesem Leben 1,42 Kinder zur Welt (hoffentlich stets als Ganzes), die Bevölkerung überschritt während meines Aufenthalts die 8-Millionen-Marke. 2010 haben 43400 Paare geheiratet, 22100 liessen sich wieder scheiden. Der durchschnittliche Schweizer, das weiss ich mittlerweile auch, der kommt lieber fünf Minuten zu früh als fünf zu spät. Er ist ordentlich (in unserer Redaktion habe ich wohl auf dem Schreibtisch den grössten Saustall), er lehnt sich nicht weit aus dem Fenster, ist pragmatisch, naturverbunden, intelligent, fleissig, überlegt und gut strukturiert. Und er macht es Fremden zu keinem Kinderspiel, sich an sich heranzulassen. Ist die Firewall aber geknackt, dann teilt er mit dir auch sein Spielzeug.

Vieles werde ich vermissen aus meinem Leben als Teilzeit-Solothurnerin: Am Abend an der Hafebar ein Panasch nehmen; mich in Gesprächen verlieren und die Zeit übersehen; im Jura bei Kletterzügen abschalten; auf Wanderwegen und Berggipfeln über den Dingen stehen; an der Aare bräteln und sich vom Gewitterregen nicht vertreiben lassen; dem Ufer entlang Inlineskaten und auf fröhliche Sportler treffen; mich in den Altstadt-Cafeterien meinem Cappuccino und Lesestoff widmen; Hintergründe erfahren und verwundert nachfragen; in der Redaktion alles Erlebte in mehr oder weniger schwiizerdütsche Worte fassen; am Bahnhof in den Zug steigen und maximal zwei Stunden später an einem Ende der Schweiz wieder aussteigen. Solothurn dürfte in der goldenen Mitte des Landes liegen, die Stadt ist nicht zu gross und nicht zu klein, meist liebenswert und immer lebenswert. Wer das nicht sieht, ist selber schuld. Merci, dass ich trotz manch frecher Bemerkung noch nicht ausgewiesen wurde. Uf Wiederluege (ich weiss schon, das Wort «luege» hat nichts mit lügen zu tun). Wir sehen uns wieder, Ehrenwort.

19. August 2012

Wer zuletzt lacht...

Ich hätte gerne mal wieder schlimmes Bauchweh. Kein Bauchweh à la «ich hab zu viel gegessen» wie zuletzt nach dem Käse-Fondue in Lausanne. - Immerhin weiss ich seither, dass Sommer und Fondue nicht perfekt harmonieren und man zum Schweizer Nationalgericht Tee und Weisswein trinkt, damit der Käse im Magen nicht so klumpt. - Sondern ein Bauchweh, weil ich mich vor Lachen krümmen muss und meine Bauchmuskeln und das Zwerchfell vor eine Zerreissprobe gestellt werden. Als ich unlängst so richtig herzhaft lachte wegen des trockenen Humors einer Schweizer Zeitgenossin, da merkte ich erst: Wow, die Lachmuskeln haben Trainingsrückstand. Ich glaube nicht, dass die Solothurner weniger Spass als die Linzer haben. Meine Schweizer Wegbegleiter beweisen viel Humor, sie mögen ihren Komiker Emil. Nur ist dieser Humor anders als der österreichische, manche spielen gerne Verstecken mit ihm.

Ein Kind lacht laut einer Statistik 400 Mal am Tag, ein Erwachsene nur noch 15 Mal. Diesen Schnitt hätten Österreichs Sportler bei den Olympischen Spielen in London wohl weiter gesenkt, wüssten sie nicht, dass sich das Leben um mehr als nur Meter, Sekunden und Punkte dreht. Selbstironie ist da sympathisches Stilmittel. Es gab zwar keine Medaillen, aber gefeiert wurde im Österreicher-Haus, als wäre Michael Phelps der Donau entsprungen. (Und «gesudert» wurde erst! Im Jammern sind wir Olympiasieger, mindestens brandheisser Medaillenanwärter. Aber das ist eine andere Geschichte.)

«Der Österreicher hat mehr Witz, er ist lockerer. Wir haben auch Spass, aber ich glaube, der Schweizer ist grundsätzlich geerdeter, realistischer, weniger träumerisch.» Das hat mir einer unser liebsten Ski-Ex-Erzrivalen, Bernhard Russi, beim Versuch einer Psychoanalyse der Schweizer erzählt. «Das ist auch ein Grund, warum die ganz Grossen wie Toni Sailer, Karl Schranz, Franz Klammer und Hermann Maier Seriensieger wurden. Sie machten sich keine grossen Gedanken, wenn sie ein Rennen gewannen. Ein Schweizer - so war es jedenfalls bei mir - überlegt sich: War ich wirklich so gut? Oder die anderen so schlecht?»

«Des isch aso.» Keinen Ausdruck hab ich in den vergangenen fünf Monaten öfter gehört als diesen. In dem schnell daher Gesagten «das ist so» steckt viel Schweiz. Es ist ein Ausdruck dafür, Situationen anzunehmen, die man nicht ändern kann (in einem Land, in dem der Otto-Normal-Bürger doch recht viel mitbestimmen darf). Pragmatisch, nüchtern, höflich betrachtet und mit ernstem Unterton, mal ein bisschen griesgrämig, die Dinge doch nicht ändern zu können. Immer freundlich, aber nie überfreundlich. So viel Nuancen die Lieblingsfloskel hat, so viele Facetten hat der Humor. «Ich glaube, für Schweizer ist der Humor eine schwierige Sache, weil er in seinem Innersten neutral bleiben will. Sich keine Feinde schaffen, sich politisch korrekt verhalten will. Er will es sich mit niemandem verscherzen - höchstens noch mit einem Österreicher», erläutert mir Kollegin F. Für Neuankömmlinge ist der Schweizer Humor erst schwer verständlich, auch der Sprache wegen. «Und man lacht doch auch lieber unter sich. Bis man dem Fremden erklärt hat, worum es eigentlich geht, ist der Witz weg», gibt Kollege C. zu, er lächelt spitzbübisch. Da das Schwiizerdütsch für mich immer selbstverständlicher und die Satzmelodien geläufiger werden, trifft wohl eine Weisheit zu: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Ich glaube, ich fahre in zwei Wochen mit Bauchweh zurück in meine Heimat.

12. August 2012

Unser tägliches Brot gib uns heute

Ich kann es nicht mehr schmecken. Es knuspert zwar so, wie ich mir das vorstelle, aber ohne zentimeterdicke Auflage von Käse, Marmelade oder Wurst fehlt dem Schweizer Brot das gewisse Etwas. Vielleicht hab ich den richtigen Beck in Solothurn noch nicht gefunden, der das so hinkriegt wie mein Bäcker zu Hause. So ein ofenfrisches, saftiges Stück Bauernbrot, das ich zum Zmorge, Znüni, Zvieri oder Znacht (also zur Jause) dünn bestreiche mit Anke. Die nenne ich in Österreich aber besser wieder Butter, wer weiss, was ich sonst geschmiert bekomme.

Leserin Z., die vier Jahre in Wien studierte, stand hingegen mit dem täglichen Brot in Österreich auf Kriegsfuss, schrieb sie mir. Ihr fehlten darin die Luftlöcher, das Krosse. Den Kümmel pickte sie aus dem Sauerteig heraus - und ich dachte, die Schweizer seien Rosinenpicker. «Im Sauerkraut ist Kümmel okay. Aber was hat er im Brot zu suchen?», fragt Z. Ausserdem: Saftig soll für sie das Brot erst im Altersheim sein. Wenn sie sich nur nicht schon vorher an der Kruste die Zähne ausgebissen hat.

Immerhin schaff ich es mittlerweile, das Brot, das in den vielen Solothurner Beizen vor dem Essen kostenlos aufgetischt wird, nicht komplett zu verputzen. Da war ich manchmal voll, bevor der Hauptgang überhaupt gekommen ist. Meinem Bruder, dem Kirchenwirt in meinem oberösterreichischen Heimatdorf, werde ich vorschlagen, diese Brotzeit einzuführen. Die ist in Österreich nicht üblich. Dahinter steckt bestimmt Schweizer Kalkül: Die Gastronomen kredenzen das staubtrockene Brot, damit die Gäste Durst bekommen und mehr Getränke konsumieren. Huere clever.

Wenn ich im September zurückzügle, hab ich mein Brot wieder, aber anderes nimmer. Nun gut, das Rivella tausche ich einfach gegen den Almdudler. Ich fürchte trotzdem: Ich werde mein Auto überbeladen. Meine Freunde Cornelia und Andreas beluden ihren Kofferraum sogar nach einem Kurzbesuch mit neu Liebgewonnenem: einige Kilogramm Rösti (man sagt Röschtie, nicht Rösstie!), Appenzeller Bärli Biber (warum gibts die Lebkuchen-Marzipan-Leckereien nicht in Österreich?), ganz viel Schokolade (hoffentlich ist die im Auto nicht geschmolzen) und Quöllfrisch-Bier (das sie zuerst vergeblich in der Migros suchten). Ja, ihr Kofferraum ist gross.

Linzer Törtli und Schwangerschaftstest: Schweizweit in ganz vielen Selecta-Automaten rund um die Uhr erhältlich.

Linzer Törtli und Schwangerschaftstest: Schweizweit in ganz vielen Selecta-Automaten rund um die Uhr erhältlich.

Marlies Czerny

Immerhin: Die Linzer Torte, die süsse Versuchung hinter den Gittern, die musste mir erst gar nicht abgehen. Die gibts ja in jedem Supermarkt. Das Linzer «Exportstück» (auf der Verpackung steht: hergestellt in der Schweiz) schaffte es sogar in die Selecta-Automaten. Die roten Rund-um-die-Uhr-Verpflegungsstationen stehen an verdammt vielen Ecken und Enden der Schweiz, in den tiefsten Tälern im Tessin hab ich sie gesehen, am Bahnhof in Oberdorf und am Klein-Matterhorn. Das Schweizer Unternehmen betreibt 150000 Verkaufspunkte in 22 Ländern. Die Selecta AG ist mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro der grösste Anbieter von automatischen Zwischenverpflegungen in ganz Europa. Was zur Auswahl steht unter dem Bärli Biber und neben dem Kägi Fret (das sich zu Hause mit Mannerschnitten kompensieren lässt), das passte für mich gar nicht ins Bild der Schweizer, das ich mir bisher ausmalte. Der Schwangerschaftstest maybe baby um 15 Franken liegt neben einer Packung Kondome um fünf Franken zum Herunterlassen bereit.

Wenigstens verstehe ich jetzt die Botschaft auf der Selecta-Website unter dem Punkt Snack-Automaten: «Für jede Lust und jeden Hunger.»

5. August 2012

Schweizer Kracher und Frauenfürze

Unzählige Steine sind bestimmt vom Matterhorn gebröckelt, so ein Kracher war diese Party am 1. August - das dazugehörige Feuerwerk zumindest. Mit zwei Freunden aus Oberösterreich mischte ich mich am Bundesfeiertag unter das eidgenössische Volk beim Zermatter Strassenfest, bei dem wir Ausländer wohl die Mehrheit bildeten. Am Himmel duellierten sich Raketen mit Blitzen, unterhalb Schweizer Kracher mit Donnerwetter. Moment, das waren doch ... Frauenfürze! Und keine Schweizer Kracher! Die Reibkopfböller, die in Österreich jedes Kind Schweizer Kracher nennt, und die ab 2013 auch bei uns verboten werden, sind hier längst illegal. Frauenfürze sind weniger gefährlich. Ich musste aber zweimal hinhören: nicht weil diese zu leise waren, sondern weil wir sie Ladykracher nennen und ich beim Wort Frauenfurz etwas in der Nase und nicht in den Ohren vermutete.

Bei der Nationalhymne mussten wir noch genauer hinhören. Im Programmheft zwischen der Swiss Folkloregruppe Edelweiss und der Ländlermusik Innerschweiz fanden wir die Hymne in allen vier Landessprachen. Besonders kreativ war der Zisterziensermönch beim Texten nicht, aber vielleicht war der Reim Strahlenmeer auf Sternenheer 1841 ein gelungenes Wortspiel. Mich wundert's nicht, dass die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft einen neuen Anlauf auf eine Neufassung startet. Eher tönt der Schweizerpsalm nach Kirchenlied als nach Landeshymne. Im «Land der Berge» singen wir seit 2012 nicht mehr «Heimat bist du grosser Söhne», sondern nach langem Politikum auch «grosser Töchter».

Angestimmt wird das am 26. Oktober, unserem Nationalfeiertag. An jenem Tag anno 1955 wurde in der Bundesverfassung unsere Neutralität festgeschrieben. Mit Feuer wird kaum gewerkt, wir feiern nicht so flächendeckend, aber auf dem Wiener Heldenplatz präsentiert sich das Bundesheer. Und überall wehen die Fahnen (die roten mit dem Minus). Als ich erstmals in die Schweiz reiste, dachte ich, es sei Nationalfeiertag: die roten Flaggen mit dem Plus waren an so vielen Häusern angebracht wie bei uns nur am 26. Oktober. Sie wehten auch am nächsten Tag. Und am übernächsten. Mein Nachbar in Linz hat im Garten einen Obstbaum stehen, mein Fast-Nachbar in Langendorf einen Fahnenmast. Die Schweizer Flagge weht dort auch am überübernächsten Tag. Wo der Nationalstolz schwerer wiegt? Bernhard Russi, der sich mit Franz Klammer duellierte, gab mir einen Erklärungsversuch: «Die Österreicher sind es gewöhnt, Könige und Kaiser zu haben. Wir hatten das nie. In der Schweiz kannst du als Sportler nicht zum Kaiser werden.» Der Patriotismus habe sich in den letzten Jahren über den Sport sehr wohl verstärkt. «Vor 15 Jahren sangen von 100 Leuten 10 die Nationalhymne mit. Heute singen 80 mit und 50 können den Text.»

Wie viele Schweizer am 1. August dem Bundesbrief von 1291 gedachten, dem Ausgangspunkt für die Eidgenossenschaft, weiss ich nicht. Gern erzählen Schweizer die Gründungsgeschichte vom Rütlischwur. Da verbündeten sich um 1300 die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden auf dem Rütli, einer Wiese am Vierwaldstättersee, gegen die Habsburger. Den Schwur konnte man auch auf der patriotischen Weinflasche, die wir am 1.August öffneten, nachlesen (sofern man dann noch lesen konnte). Kollege U. fällt immer wieder mal ein: «Der Feind kommt aus dem Osten.» Er sagt das laut und blickt dann zu mir.

29. Juli 2012

Ich gestehe: Ich bin eine Einkaufs-Touristin!

Ich habs getan. Und irgendwie plagt mich ein schlechtes Gewissen. Andere Frauen geben ganz viel Geld für schicke Stöckelschuhe aus, ich wollte in einen festen Bergschuh investieren. Den alten Tretern habe ich in den Schweizer Bergen den Rest gegeben. Und ein bisschen Profil schadet nicht - weder bei Schuhen noch bei Menschen. Der Weg führte mich in ein Solothurner Fachgeschäft. Dort fand ich, was ich suchte, doch der Preis schreckte mich ab: 560 Schweizer Franken, da schlafe ich lieber noch eine Nacht drüber. Die Idee kam mir im Schlaf. Es war ein Albtraum für die Schweizer Wirtschaft. Ich könnte doch... Ich könnte mir die Schuhe doch von meinen Besuchern aus Österreich mitbringen lassen! Oder im Internet bestellen! Oder sie selbst jenseits der Grenze kaufen! Dieser Gedankengang verleitete mich zur Tat: Einen Ausflug ins Wallis verlängerte ich über den Simplonpass bis ins italienische Domodossola. Dort steuerte ich schnurstracks ein Sportgeschäft an, schnappte mir meine Schuhgrösse - zack und weg. Ich habs also getan. Ich bin Einkaufs-Touristin. Und hab neben einer Pizza im Bauch neue Schuhe an den Beinen - um 330 Euro statt 560 Franken. Mit dem schlechten Gewissen, sie vorab in der Schweiz getestet zu haben, muss ich jetzt leben.

Aber ich weiss, ich bin keine Einzeltäterin. Manche Solothurner haben mir verraten (ganz leise, denn laut erzählen sie das lieber nicht), sie würden einmal wöchentlich die 71 Kilometer ins deutsche Weil am Rhein fahren und mit vollem Kofferraum zurückkommen. Nicht viel ärgert die Schweizer mehr, als die eigenen Qualitätsprodukte im Ausland billiger zu erhalten. Vielleicht nur, vom stark aufgewerteten Franken und damit billigeren Importen aus der Eurozone nicht so sehr zu profitieren wie die Geschäfte. Sogar die Toblerone und Ricola-Zuckerl bekomm ich im österreichischen Supermarkt günstiger als hier. Zeitschriften kosten etwa den halben Preis, Zähne putzt man um ein Drittel billiger, die Haare wäscht man günstiger, ich bin ja eh schon ruhig ... Der Einkaufstourismus ist nichts Neues, für so manchen Solothurner aber schon, denn so nahe liegt der ja gar nicht. Frau F. hat ihren Stammfriseur erst kürzlich von Solothurn über die Grenze verlegt. «Das zahlt sich mittlerweile einfach aus», rechtfertigt sie sich, «ich muss ja auch auf mein Geld achten.»

Weil die Eidgenossen (wehe, jemand sagt jetzt Neidgenossen!) im Ausland einkaufen, entgehen alleine dem Schweizer Detailhandel fünf Milliarden Franken, rechnen Ökonomen hoch. Sie sehen nicht nur Arbeitsplätze, sondern das System Schweiz, die Swissness, gefährdet. Die Kampagnen des Gewerbeverbands mit den (grässlichen) roten Einkaufssackerl und der Aufschrift «Ja zur Schweiz - hier kaufe ich ein» haben so kurz vor dem Nationalfeiertag eine besondere Bedeutung.

Den ganzen Papierkram nehmen die Einkaufs-Touristen gerne in Kauf, für mich war der neu: Ausfuhrbescheinigung an der Kasse holen, am Zoll abstempeln lassen, Schweizer Steuer zahlen (7,6 % beziehungsweise 2,4 % für Nahrungsmittel), die ausländische zurückholen (in Deutschland 19%, in Österreich 10 oder 20%). Das geht entweder beim nächsten Einkauf im dortigen Geschäft oder recht umständlich auf dem Postweg über das Global-Refund-System. 300 Franken sind zollfrei pro Person, dem Einkauf sind aber Grenzen gesetzt. Nicht mehr als fünf Liter Milch, ein Kilogramm Butter, zwei Liter Wein dürfen mit. Frau F. hat da immer einen Schummelzettel für sämtliche Beschränkungen in der Handtasche. Mir kam vor, diese Tasche hat sie nicht in der Schweiz gekauft.

22. Juli 2012

Supercard oder Cumulus?

«Suprcharrd?» Was die Verkäuferin an der Coop-Kasse jeden Tag geschätzte zweihundertsiebenundsiebzig Mal fragt, dürfte als Abkürzung stehen für «Haben Sie eine Supercard und wenn ja, zeigen Sie mir diese bitte auf der Stelle, damit Ihnen die Punkte gutgeschrieben werden und Sie nicht länger die Schlange hinter Ihnen aufhalten.»

Was in Österreich «Billa» gegen «Spar», heisst hier «Coop» gegen «Migros». 80 Prozent des Schweizer Lebensmittelmarktes decken die beiden Riesen je zur Hälfte ab. Laut Statistiken gibt ein Schweizer Haushalt für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke monatlich Fr. 660 aus; Bekannte berichten aber von noch mehr Geld, das durch den Magen geht. Die Grundsatzfrage, wo man einkauft, scheint so aussagekräftig zu sein wie die Frage nach dem Sternzeichen oder «Sind Sie Katholik oder Protestant?» - sie ist eine Glaubensfrage.

Eine Kollegin war neugierig, wo ich lieber hingehe: Coop (sprich: kohp) oder Migros (da lernte ich, dass ich mir das «s» nach «Migro» verkneifen soll)? Der Unterschied? Wer mehr auf das Geld schauen musste oder wollte, der ging früher in die Migros. Gottfried Duttweiler gründete 1925 diese Genossenschaft und kaufte in so grossen Mengen ein (en gros), sodass Familien zum halben Preis (à demi) poschten konnten (ich weiss, poschten hat nichts mit der Post zu tun). Warenkorb-Erhebungen zufolge ist der Preis mittlerweile fast ident bei Coop und Migros. Auch dank der «Aldisierung», dem Schweizer Wort des Jahres 2005, in Anlehnung an den Einzug des deutschen Discounters, dem Lidl folgte.

Geächtet wurden früher Geschäftsleute, wenn sie Migros-Kunden waren, erzählt Kollege W., und heute würden sie teilweise noch schief angesehen in ihren Kreisen. Nicht auszumalen, würde man ein Manager-Auto vor den deutschen Preisdrückern parken sehen! (Pardon, auch an das Wort parkieren hätte ich mich gewöhnen können). Kollege W. kaufe fast alles am Wochenmäret oder bei Detaillisten in der Stadt Solothurn ein. Während sich A. als Coop-Kind outet («qualitativ besser»), kommt für Kollegin R. nur Migros in Frage («frischer und besser präsentiert»). Remis. Faule unter roten Kirschen hab ich schon da wie dort entdeckt - 2:2, erneut unentschieden. Oder eher Punkteabzug - 0:0. Nach Alkohol und Zigaretten sucht man in der Migros ja vergeblich, für die «Volksgesundheit», sagt man. Da das orange M nicht nur gesund, sondern auch gewinnbringend lebt, bekommen Raucher ihre Tschick (so nennen wir Österreicher Zigaretten) und Geniesser ihren Wein beim Denner. Der gehört: Migros. «Cumuluuus?» Dank der Vorwarnung einer Kollegin stand ich nicht rat- und sprachlos vor der Verkäuferin an der Migros-Kasse, Cumulus ist das Äqvivalent zur Supercard. Kollege L. ist eine Ausnahme, er hat keine der beiden Karten - aus Angst, dass die Daten missbräuchlich verwendet würden. Er ist übrigens mein Facebook-Freund. Ob Migros das lateinische Wort «Cumulus» für ihre Rabattkarte gewählt hat, weil es für «Anhäufung» steht oder aber für eine Wolkenform, bleibt mir schleierhaft. Vielleicht ist schon jemand aus allen Wolken gefallen, wenn er die Rechnung für den Warenkorb präsentiert bekam. Dass ich in der Schweiz rund ein Drittel mehr ausgebe als für einen vergleichbaren Einkauf in Österreich, muss erwähnt sein - auch wenn mich Leserin W. gebeten hat, nicht mehr auf die Hochpreisinsel Schweiz einzugehen, weil sie diese Eh-Wissen-Information nerve.

Ach ja, liebe Verkäuferinnen und Verkäufer, danke der Nachfrage: Nein, nochmals nein, leider nein. Ich habe weder Cumulus noch Supercard. Ich erspare mir auch Einkaufs-Trips nach Österreich oder Deutschland. Aber das ist eine andere Geschichte - und die nächste Glaubensfrage.

15. Juli 2012

Das perfekte Dinner

Gegrillter Lachs auf Knoblauch. Tomaten-Gazpacho. Steak mit Kartoffelgratin. Ein himmlisches Dessert. Dazu eine Weinbegleitung vom Genfersee bis zum Neusiedlersee. Aufgetischt wurde mir das köstliche Abendessen nicht im Hauptabendprogramm auf VOX, sondern in privaten vier Wänden in Luterbach. Dem perfekten Dinner ging ein E-Mail voraus: «Wir würden Sie gerne zu einem Grillabend bei uns zu Hause einladen, damit Sie auch mal was von der Gastlichkeit der Schweizer mitbekommen.» Merci vöumol! Magen gefüllt - und Mission erfüllt.

Mit der Haustüre in Luterbach öffnete sich ein Blick ins Leben der Familie G., einer typisch schweizerischen Familie. In der Regel kocht Frau G. täglich. Einmal in der Woche, immer mittwochs, kommen zu Mittag die älteste Tochter und der Schwiegersohn vorbei. Sie rufen an, wenn sie das Büro in Solothurn verlassen, zwölf Minuten dauert das, just in time ist das Essen fertig. Auch, wenn sie «nur» für sich selber koche, stelle Frau G. drei Pfannen auf den Herd, merkt sie an. «Da bin ich wohl eine aussterbende Rasse.» Herr G. arbeitet in Bern in der Finanzbranche (das hat mich nicht überrascht). Er ist am Freitag mit dem Kochen dran. Da gehen sie auswärts essen (auch das hat mich nicht überrascht).

Seit zehn Jahren reist Familie G. nach Österreich in die Ferien. Im Winter nach Serfaus, vergangenen Sommer quer durch das Land. Am Ende des Urlaubs befanden sich immer wieder gute Eindrücke im Gepäck. Seit Mitte März war ich nicht mehr in Österreich. Weder um mit meinen Liebsten Geburtstag zu feiern (zuckersüsse zwei Jahre alt wurde mein Godnkind, das man auf gut schweizerisch «Göttikind» nennt), noch um günstiger einzukaufen (auch das hätte sich ausgezahlt). Hochgerechnet hab ich schon 3000 Stunden Österreich-Entzug, und zwar 670 Strassen-Kilometer weit, weit weg von daheim.

Heimweh ist zwar das falsche Wort, aber - ganz ehrlich? Sie geht mir schön langsam ab, die viel gerühmte Gastfreundschaft, die Offenheit und Herzlichkeit, die den Alltag so liebenswert lebenswert machen. Das ist zwar ein Jammern auf hohem Niveau, denn eine Vermisstenanzeige dieser Eigenschaften muss ich auch auf dem Solothurner Polizeiposten nicht aufgeben. Doch bestätigen die Ausnahmen frech-fröhlicher Schweizer, die mir den Weg kreuzen, auch eines: die Regel. Und die ist, hm, diplomatisch ausgedrückt, doch eher von reservierter Natur.

Zurück zu Tisch zu einer dieser Ausnahmen: Wir sitzen am Balkon des Reihenhauses, die Markise ist über uns gezogen, dunkle Gewitterwolken hängen darüber. Es donnert und regnet, der Lachs liegt auf dem Teller, ehe er davonschwimmt, übersiedeln wir ins Wohnzimmer. «Jetzt musst du auch noch arbeiten», entschuldigt sich Frau G., als ich Glas und Teller nehme, so als wäre das keine Selbstverständlichkeit, sondern eine unzumutbare Aufgabe. Frau G. ist nicht höflich; sie ist sehr, sehr höflich. Per Du sind wir schon länger, ich bin da gleich mit der Türe ins Haus gefallen.

Als sich die Wolken verzogen und wir zum Dessert nach draussen übersiedeln, kommen wir immer tiefer ins Gespräch und finden kulturelle Unterschiede - und Gemeinsamkeiten. Langsam dämmert es mir. Der Name kommt mir doch bekannt vor... Diese Nase auch. «Bist du nicht verwandt mit...?», frage ich Herrn G. Er ist es. Mit seinem Cousin führte ich eines Jännertages beim Lauberhorn in Wengen ein Interview. Ich werde es nie vergessen, denn als ich fünf Minuten zu spät eintraf zum Termin, kam mir kein «Grüezi» entgegen, sondern ein charmant-bestimmtes «fünf nach neun heisst nicht neun!». Mein erstes Erlebnis mit der Schweizer Pünktlichkeit nahm im Garten der Verwandtschaft ein spätes Ende. Wie klein die Schweiz doch ist.

08. Juli 2012

Die VIPs kennen eine Grenze

«Unberührt lässt das jähe Liebesaus von Schlagersternchen Francine Jordi und Mundart-Rocker Florian Ast niemanden», las ich am Freitag in dieser Zeitung. Ah so, wirklich niemanden? Ich echauffierte mich über diese Verallgemeinerung, weil mich das SMS-gesteuerte Klatsch-und-Tratsch-Thema ungefähr so sehr berührt wie der Nord- den Südpol. Bis zu diesen Zeilen. Scheinbar muss mich die Trennung der beiden Promis als Kurzzeit-Schweizerin einfach tangieren. Doch wer in aller Welt sind diese Francine und dieser Florian?

Auf Youtube hab ich nachgehört - und ach wie schön: Beim ersten Treffer kopieren die beiden trällernden Turteltauben «Weust A Herz Host Wia A Bergwerk» von meinem Landsmann Rainhard Fendrich. Der scheint hierzulande sehr berühmt zu sein (eindeutig berühmter als Francine und Florian in Österreich). Mit den VIPs ist das ja so eine Sache: Manche kennen vielleicht keine Grenze des Anstands, aber eine Grenze, was die Reichweite ihrer Popularität betrifft.

Bei den Schlagzeilen «Schweizer Superstars» komme ich stets zur bitteren Erkenntnis: Wirklich viel hab ich in der Schweiz scheinbar noch nicht mitbekommen, viele sind No-Names für mich. Gölä? Erst seit kurzem ein Begriff. Noëmi Nadelmann? Liegt mir immerhin seit Montag vom Solothurn Classics mit der Oper «Carmen» in den Ohren. Roger Federer, Bernhard Russi, Tom Lüthi? Okay, das war einfach, als Sportredaktorin in Österreich kenne ich zumindest die Sportstars gut. Vorbelastet war ich nur durch wenige klingende Namen: Heidi und Wilhelm Tell, na klar. Michelle Hunziker kannte ich aus dem Fernsehen, Max Frisch aus der Schulzeit, Martin Suter vom gegenwärtigen Lesestoff, Herrn Hayek mit seiner Swatch aus den Wirtschaftsnachrichten, Herrn Blocher aus Politdiskussionen, Ueli Steck von seinen alpinen Abenteuern. Nachdenkpause.

Ah ja: Ihr habt DJ Bobo, wir haben DJ Ötzi. Eine Umfrage unter Bürokollegen, welche Österreicher ihnen bekannt seien, fördert viele Tote zutage, allen voran Falco. Und weiter? Udo Jürgens (der noch niemals in New York war und mittlerweile in der Schweiz lebt), Arnold Schwarzenegger (der als Terminator «I'll be back« versprach und als US-Gouvernator zurücktrat), Mozart (der seine Kugeln und eine kleine Nachtmusik hinterliess), Natascha Kampusch (die aus dem Keller flüchtete), Hundertwasser (der mit bunten Farben malte), Jörg Haider (der mit dem Auto zu weit rechts kam), Niki Lauda (der weltmeisterlich Formel 1 fuhr und heute lieber fliegt), Franz Klammer (der sich mit Bernhard Russi duellierte), Familie Swarovski (die mit den Kristallen glänzt), Clown Enrico (der nichts sagt, aber viel, viel lieber singt) oder Kaiserin Sissi (die ihren Franzl liebte). «Aber irgendwie will mir keiner einfallen, der aktiv ist», merkt Kollege T. an.

in solchen Momenten der Einsicht tun sich Österreicher und Schweizer gerne zusammen, um sich gegen den grossen Bruder im Norden zu verbünden. Dachte ich. Kollegin S. aber sagte, nachdem ihr kein Promi mehr einfiel: «Sicher gibts noch mehr VIPs. Aber wir neigen dazu, die Österreicher rasch zu den Deutschen zu zählen. Ich fragte einmal einen Wiener, aus welchem Teil Deutschlands er denn stamme.» Ups, das war knapp daneben. Ich fühle mich aber nicht böse angegriffen: Das Verhältnis der Oberösterreicher zu den Wienern ist ungefähr so wie jenes der Solothurner zu den Zürchern oder das von Francine Jordi zu Florian Ast. Es existiert eine gefühlte Trennlinie, aber am Ende vermarktet man sich doch wieder gemeinsam.

1. Juli 2012

Völlig verkehrt

«Was? In Solothurn lebst du?», fragte Ruedi, er wohnt zwischen Biel und Bern. Sein Tonfall machte klar: Er will mir sein Mitleid aussprechen. «Aus So- lothurn kommen die schlechtesten Autofahrer der Schweiz!», schimpfte er in der Mischabelhütte bei Saas Fee, dem autofreien Bergdorf. Sein Wegbegleiter aus Thun intervenierte: Nein! Die Aargauer sind die lausigsten Lenker im Land! Dass «AG» für «Achtung Gefahr» stünde, gaben sie mir mit auf den Weg. Wieder in Österreich, müsste ich mich folglich «Ausser Gefahr» befinden. So sicher bin ich mir da nicht.

Dass die Aargauer die miesesten Autofahrer seien, publizierte der Internetvergleichsdienst comparis. 150 von 1000 Befragten behaupteten das. Für zehn Prozent sind die zweitplatzierten Zürcher jene, die mit zu viel Hast (oder zu wenig Hirn) unterwegs seien. Die Solothurner und Berner nehmen mit drei Prozent die Verfolgung auf, abgehängt von den Tessinern (6 Prozent), Genfern (5) und Wallisern (4). Doch liegt es nicht nahe, dass aus subjektiver Sicht immer Autofahrer aus den Nachbarkantonen am auffälligsten sind? Erstens sind sie häufiger anzutreffen als andere, zweitens oft ortsunkundig. Also doch Aargauer.

Mir rutscht aber kein böses «Bist eingeschlafen?» über die Lippen, sollte ein Autofahrer mit BE-Kennzeichen im doppelspurigen Kreisel bei der Solothurner Westumfahrung einen Gang zurückschalten. Er meint es nicht böse, er kennt sich nicht aus. Als ich noch auf gut österreichisch «Kreisverkehr» sagte zu dem Knotenpunkt nach dem Gibelin-Tunnel - beim Wort «Kreisel» dachte ich nur an ein Kinderspielzeug -, musste ich auch eine oder zwei Ehrenrunden drehen. Vorurteile zur Frau am Steuer sind an dieser Stelle unangebracht. Auch männliche Verkehrsteilnehmer zeigen sich mitunter überfordert: Vorsichtshalber breitet sich mancher auf beiden Spuren aus. Andere warten auf völlig freie Fahrt. Da ereignet sich eher ein Sekundenschlaf als eine Kollision. Zu meiner Verteidigung: Die Lenkerin des Fahrzeuges mit österreichischem «L»-Kennzeichen hat mittlerweile den Dreh heraus und weiss, wie sie die Kurve kratzen muss.

Was mir ein Rätsel bleibt im helvetischen Strassenverkehr: Jetzt fahren die Schweizer eh soooo langsam, und dennoch hört man laufend von Unfällen und Staus. Ausserorts muss man sich bei 80 km/h einbremsen, in meiner Heimat darf man auf 100 beschleunigen. Zugegeben: Langsam, aber sicher nervt mich das gutbürgerliche Schweizer Strassenprinzip: «Lieber fünf km/h zu langsam, als fünf zu schnell», scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein. Böse Zungen behaupten, SO stünde für «Sonntagsfahrer». Der Urheber dieses Vorurteils dürfte aus einem der Nachbarkantone stammen.

Der Prototyp des miesesten Autofahrers gemäss der comparis-Umfrage ist übrigens 70 Jahre alt, männlich und vom Land (Gefahrenkategorie: «Mann mit Hut»). Der Führerschein-Anteil bei den Ü-80-Jährigen hat sich gegenüber 1994 von 20 auf 40 Prozent verdoppelt - was freilich demografische Gründe hat. Erstaunlicher, dass nur noch 59 Prozent der 18- bis 24-Jährigen ein Billett besitzen, 1994 waren es noch 71 Prozent. Ich verstehe die Jüngeren, in der Schweiz habe ich meine völlig verkehrte Meinung überholt: Zugfahren ist sehr wohl cool. Von Saas Fee heimwärts war ich zügig unterwegs. Ich sparte mir nicht nur das Benzin und 27 Franken durch den Lötschbergtunnel (was mit Halbtax-Ticket fast dem Zugpreis entspricht). Ich sparte mir auch Nerven - und dumme Kommentare über andere Verkehrsteilnehmer.

24. Juni 2012

Gopferteli! Verflucht nochmal!

«Wos hoda gsogt?» [Was hat er gesagt?] «I vasteh scho wieda nix» [Ich verstehe schon wieder nichts]. Zwei Freundinnen aus Österreich hatten am Wochenende auf der Mutthornhütte im Berner Oberland hörbar Mühe, den 26 Solothurnern und ihrem Schwyzerdütsch zu folgen. So viele SAC-Weissenstein-Mitglieder waren dem Hilfe-Ruf der Wirte Erika und Toni gefolgt, um die Sektionshütte auf 2900 Metern schaufelnd (und schwitzend) von tonnenweise Schnee zu befreien. Als Dolmetscherin leistete ich meinen Wegbegleiterinnen bei Verständnisproblemen Erste Hilfe. Ihr Wortschatz erweiterte sich um Begriffe wie «Beiz» (es war das erste Wort, das ich hier lernte) oder «Gopferteli» (hierfür brauchte ich erheblich länger).

Prophylaktisch und Intuitiv traute ich mich nie nachzufragen, was «Gopferteli» heisst. Die Menschen waren meist nicht gut gelaunt, als sie es äusserten. Ich glaubte tatsächlich, die Schweizer seien so höflich und fluchen prinzipiell nicht öffentlich. Bis ich kapierte, ich verstehe die Schimpfwörter einfach nicht. Ein Nachschlag im Mundart-Wörterbuch «Idiotikon» klärte mich auf: Wow, die Schweizer verdammen Gott (was «Gopf» verstümmelt heisst) verdammt oft! Es wird in vielen Varianten verwendet - Kollege A. hängt am liebsten ein «tami» an («Gott verdamme mich»), Kollege W. ruft «Gopferteli» (eine leicht abgeschwächte Form). Das tut er immer dann, wenn der Computer nicht macht, was er will. Das ist scheinbar oft.

jüngere Zeitgenossen schimpfen vorzugsweise mit «shit» oder «fuck». «Gopf» dürfte meiner Umfrage zufolge der Lieblings-Kraftausdruck der Solothurner sein, sozusagen ihr Modewort der «Malediktologie». Es gibt Fluchforscher, die Malediktologen, die herausfanden, dass Innerschweizer traditionell am häufigsten fluchen. Erstens liege das Katholiken mehr im Blut als Protestanten, zweitens mussten die Bauern wegen harter Arbeit und störrischem Vieh öfter Dampf ablassen. Da hat das Vieh aber Schwein gehabt, dass dieses verbale Ventil existiert!

Am wenigsten Verständnis hatten meine Freundinnen für den Ausdruck «huere». Sie schauten entsetzt, als das Wort in der geselligen Hüttenrunde fiel. Was seien das für ordinäre Typen, entnahm ich ihren Blicken. Bei der Aufklärung, die meinen ja keine Prostituierten, sondern wollen damit einem Wort mehr Gewicht verleihen (wie wir mittels «voi», «sau» oder «verdammt»), waren sie beruhigt. Eine befremdliche Erkenntnis blieb dennoch hängen: «Huere» leitet sich wahrlich vom Wort Hure ab. Meine Kollegin F. erinnert sich gut, als sie das Wort erstmals in den Mund nahm. Ihre Eltern, damals Lehrer, seien fassungslos gewesen, erzählt sie. Es war vor etwa 40 Jahren, als sich «huere» einbürgerte. Bei der Erklärung zum Wortursprung doppelt F. nach: «Abgeleitet hat es sich von huere Puff.» Was hier eine ziemliche Sauerei/Unordnung bedeutet, ist bei uns nicht jugendfrei. Meine Freundinnen sind bereits über alle Berge - ich hätte gerne ihr Gesicht gesehen, hätten sie das gehört.

Zurück zum Fluchen: Ich hoffe nicht, dass mich Verena Dubacher in «ihrer» wunderschönen Schlucht verteufelt hat. Als ich die bekannte Einsiedlerin vor drei Wochen höflichst um ein Interview bat, um mir mehr über ihr Leben zu erzählen, wurde sie bitterböse. Sie wolle nicht reden! Gott sei Dank (nicht verdammt) können Blicke nicht töten. Die Verena kehrte mir den Rücken. Dabei murmelte sie Sachen, die ich nicht verstand - vielleicht auch besser so.

17. Juni 2012

Da stimmt etwas nicht!

Ich wollte es wirklich, aber meine Augen wollten nicht mehr. Sie fielen beim Lesen einfach zu irgendwo zwischen «Artikel 139 Absatz 5 der Bundesverfassung» und «Art. 140 Abs. 1 Bst. d (neu)» - was immer diese Abkürzung genau heissen soll. Die Gute-Nacht-Lektüre zum heutigen Wahltag, die Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung, war keine leichte Kost, die man sich vor dem Einschlafen zuführen sollte. Sie könnte einem schwer im Magen liegen, aber gut: Ich darf ja nicht abstimmen über Bürgerspital, Bausparen, Managed Care und das Noch-öfter-Abstimmen vor Staatsverträgen. Ganz ehrlich? Bei der Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung stieg ich aus, bevor ich die Initiative ganz begriffen hatte. «Das versteht auch kaum ein Schweizer», versucht mich eine Kollegin zu beruhigen, als ich ihr meine Ratlosigkeit offenbarte. Irgendwie beunruhigend.

Vielleicht ist es Zufall: Doch meine neuen Schweizer Bekannten sind weniger Politik verdrossen als meine meisten österreichischen Wegbegleiter. Ist doch nahe liegend, ist das eidgenössische Verständnis von Demokratie noch direkter als das österreichische: Wer öfter die Berechtigung hat, mitzubestimmen, der setzt sich öfter mit Politik auseinander. Oder wird man müde davon - und es fallen einem die Augen zu?

Bei der bisher letzten (von insgesamt erst zwei) Volksabstimmung in Good Old Austria durfte ich noch nicht einmal wählen. Man schrieb das Jahr 1994; 82,5 Prozent der Wahlberechtigten schritten zur Urne - und stimmten zu 66,6 Prozent (welch teuflische Zahl!) mit einem Ja für einen EU-Beitritt. Ein zweites Instrument der direkten Demokratie, das Volksbegehren, wurde in 48 Jahren nur 34 Mal angestimmt, damit es im Nationalrat behandelt wird.

Ob die Demokratie direkter werden soll, debattieren zur Zeit meine Landsleute. SVP-Mann Christoph Blocher war im Staatsfernsehen zu Gast, um das System made in Suisse zu erklären. Was hängen blieb? Blocher zitierte Winston Churchill, der mit Recht gesagt habe: «Demokratie ist die schlechteste Staatsform, die es gibt - mit Ausnahme aller anderen.»

Trotz der Stimmgewalt muss in der Schweiz nicht alles stimmen. Dass in Appenzell-Innerrhoden erst 1990 das Frauenstimmrecht eingeführt wurde - und das nur per Gerichtsentscheid - stimmt mich nur eines: nachdenklich. Auf meiner Heimreise möchte ich dort zwischenstoppen. An einem Stammtisch soll mir bitte einer (oder eine) erklären, warum das so lange gedauert hat. Vielleicht haben sie ja geschlafen.

10. Juni 2012

Ein freier ist (k)ein Feiertag

Um Himmels Willen und in Gottes Namen! Wer soll sich da noch auskennen? Frei oder nicht frei: Das war wieder einmal die Frage an einem Feiertag - und weniger, was wir an diesem Tag überhaupt feiern. Ob Fronleichnam auch in der Schweiz als freier und Feiertag angesehen ist? Da existieren nicht nur so viele Möglichkeiten, falsch zu liegen - und den Arbeitgeber zu verärgern -, wie es Kantone gibt. Nein, Solothurn bietet da noch mehr Stolperfallen, zumindest das wird beim Blick auf ein 31-seitiges Dokument des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über gesetzliche und kantonalrechtliche Feiertage klar.

Diesen altbekannten Witz warf Kollege Alois in meine Verwirrung: «Wie denn Kinder zur Welt kommen», diskutieren ein deutscher, französischer und Schweizer Bub. In Deutschland lande der Storch, sagt der eine; der Franzose kichert etwas von «faire l'amour» und der Eidgenosse, der merkt an: «Bei uns ist das von Kanton zu Kanton verschieden.» Doch nicht einmal auf diese Weisheit kann man sich verlassen. An Fronleichnam machen im Kanton Solothurn nicht geschlossen alle Läden dicht - der protestantische Bezirk Bucheggberg arbeitete lieber. Neben Bezirken dürfen auch Gemeinden wahlweise blaumachen: Vom Franz-Xaver-Tag in Himmelried über den St.-Ursen-Tag in Solothurn, allerorts werden Lokalpatrone gefeiert, von vielen habe ich noch nie in meinem Leben gehört. (Was mich nicht weiter wundert, das ist auch bei vielen aktuellen Schweizer «Superstars» der Fall.)

Als brächte das nicht genug Rätselraten, machen Schweizer auch halbe Sachen: Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wird ab 12 Uhr nicht mehr geschafft. Keine Regel ohne Ausnahme: Die Gemeinde Aedermannsdorf nimmt sich den ganzen Tag frei. Ich dachte schon, mit den neun Bundesländern in Österreich und aufgeteilten Schulferien-Starts würden Eltern mit Kindern in unterschiedlich geregelten Regionen vor Herausforderungen gestellt. Na, die sollen einmal in die Schweiz kommen.

Mein Job als Journalistin lässt Feiertage immer wieder zur Denkaufgabe werden. Wer am Tag danach eine Tageszeitung in Händen hält, will ja nicht mit Schnee von vorgestern beladen werden - und in Zeilen geschaufelt müssen die Lawinen an Informationen auch an Feiertagen werden, na logisch - eigentlich. Selbst meine Kollegen waren sich in der Redaktionssitzung unschlüssig, wann wer zu arbeiten hat. Der Chefredaktor beendete die Diskussion mit einem Freibrief: Wer will, kann kommen - wer nicht, muss Fronleichnam mit einem Kompensationstag wettmachen. Lieber unternahm ich einen Ausflug nach Schwyz. Am Parkautomaten lese ich: «Tagesgebühr 5 Fr. Ausser an Feiertagen.» Die Verwirrung ist komplett. Bitte kein Strafzettel fürs Schwarzparken, denk ich mir. Ich wühle vorsichtshalber nach fünf Franken. Das hätte ich mir sparen können.

03. Juni 2012

Ich sah, was ich nie sehen wollte

Sie reihen sich Am Horizont aneinander, die hohen Berge im Berner Oberland, aus meinem Wohnungsfenster in Langendorf sehe ich sie an klaren Tagen eindrucksvoll, so unnahbar und doch begehrlich. Am verlängerten Pfingst-Wochenende wollte ich mir aus nächster Nähe ansehen, was mir immer vorschwebt - und auf drei dieser Gipfel selber stehen.

Die Jungfraubahnen bringen uns in 2:15 Stunden von 568 Meter (Interlaken) auf 3454 Meter (Jungfraujoch). Wir schultern am Bahnhof unsere Ski, andere tragen eine Badetasche. Ein Tiroler Bergfreund berappt für diesen hoch geratenen Ausflug ohne Halbtax-Abo Fr. 99.60. Mehr als eine dreiviertel Million Menschen reisten vergangenes Jahr auf das «Top of Europe», das schraubte den Gewinn der Jungfraubahn Holding in neue Höhen.

Die Tochtergesellschaft Jungfraubahn AG steuerte das Gros bei; 17,3 Millionen Franken betrug 2011 ihr Gewinn. 65 Prozent der Gäste stammen aus dem asiatischen Raum. Extremalpinist Ueli Steck und Heimatheldin «Heidi» flimmern über

Atemberaubend: zwei (von ganz vielen) Asiaten auf dem Jungfraujoch

Atemberaubend: zwei (von ganz vielen) Asiaten auf dem Jungfraujoch

Marlies Czerny

Oben betreten wir eine Winterwunderwelt, futuristisch und folkloristisch, ein paar Lampen haben die Form von Edelweissen. Wir begegnen grossen Reisegruppen, begleitet von einem Führer und Jodel-Musik. Ohne Umwege in den Eispalast steuern wir durch den Sphinxstollen den Gletscher an. Draussen, vor einer Freiluft-Bar, sitzen zwei Japanerinnen auf einer Sonnenbank. Sie tragen Mundschutz, nicht der Kälte wegen. Ist die Luft hier wirklich so schlecht? Vielleicht finden sie die Szenerie einfach atemberaubend, das kann ich verstehen.

Der Blick ins Berner Oberland vom Schreckhorn über das Finsteraarhorn hinüber zu Eiger, Mönch und Jungfrau (v.l.)

Der Blick ins Berner Oberland vom Schreckhorn über das Finsteraarhorn hinüber zu Eiger, Mönch und Jungfrau (v.l.)

Marlies Czerny

Wir montieren die Felle auf unsere Ski, lassen Schritt für Schritt das Disneyland der Westalpen hinter uns, kehren dem Basislager der Klischees den Rücken. Der Mönch ist unser Tagesziel, von Dutzenden anderen auch. 4107 Meter ist er hoch. Das erste Drittel des Südostgrats haben wir hinter uns, da stockt uns der Atem, die wunderliche Welt steht plötzlich still, der Mönch zeigt uns seine eiskalte Schulter.

Zwei Menschen stürzen vor unseren Augen über die Südwand in die Tiefe und in den Tod. Mehr als 300 Meter fallen sie, ihre letzten Spuren ziehen die weisse Flanke hinunter, erst am Gletscher bleiben sie liegen, reg- und leblos. Ein schrecklicher Anblick. Wir rufen die Rega, fühlen uns hilflos, stehen versteinert am Grat, die Gedanken sind kaum zu fassen. Ist das wirklich geschehen? Wir sahen, was wir niemals sehen wollten.

Es handelte sich um zwei italienische Bergfreunde, 48 und 54 Jahre alt, sie galten als routiniert, lebten denselben Traum der Berge. Das Unglück passierte im Abstieg, ein Seilschaftsabsturz, mehr weiss man nicht.

Auf dramatische Weise bekamen wir vor Augen geführt, wie eng Traum und Albtraum beisammen liegen. Beim Blick vom Wohnzimmer in die Berner Bergwelt kann man nicht erahnen, was sich auf diesem Flecken Erde am Horizont zuträgt. Meine Gedanken werden noch viele emotionale Ausflüge dorthin unternehmen.

27. Mai 2012

Zu schnell werde ich Franken los

Man gewöhnt sich an vieles. An den Höllenlärm der Züge, die hinter dem Redaktionsgebäude im Halb-Stunden-Takt vorbeidröhnen, an das Schwiizerdütsch (war das je ein Problem?), an beständig unbeständiges Bergwetter an Wochenenden. Aber eines nimmt man ungerne in Kauf: das hohe Preisniveau. Es bremst sich auch im Strassenverkehr nicht ein - das hätte ich besser tun sollen.

Ein weisses Kuvert in meinem Postkasten beinhaltete keine gute Nachricht, dafür eine böse Überraschung. Beim Blick zum Absender «Polizei Stadt Solothurn, Rotlicht-/Radarauswertung» schwante mir nichts Gutes. Der Betreff «ÜBERTRETUNGSANZEIGE» führte mir in Grossbuchstaben vor Augen: Jetzt bin ich eine Schweizer Gesetzesbrecherin. Mit 120 Franken weniger auf dem Bankkonto.

Die stattliche und staatliche Rechnung geht so: Gemessene Geschwindigkeit 62 km/h minus zulässige Geschwindigkeit 50 km/h minus Sicherheits marge 5 km/h = Geschwindigkeitsüberschreitung 7 km/h = 120 Schweizer Franken. Nein, ein Rechenfehler hat sich da nicht versteckt.

Ich war vorgewarnt gewesen, dass dieser graue Kasten in der Solothurner Bürenstrasse keine Fotos von schönen, sondern schnellen Autos macht. «Das weiss doch jedes Kind, dass hier ein Blitzer steht», war die mehr vorwurfsvolle und weniger hilfreiche Anmerkung eines Kollegen. Ja, ich weiss das auch, aber habs in Gedanken versunken wohl verdrängt - zu schnell verdrängt.

Wie die Strafe ausfällt, wenn ich sie auf meine Heimat ummünze? 30 Euro müsste ich laut österreichischem Gesetz zahlen, hätte ich diese Temposünde im Linzer Stadtgebiet begangen, wo ebenfalls der 50er gilt. Die vergleichsweise milde Strafe kostet mir ein mildes Lächeln. Meine Infoquelle, ein Polizist vom Landeskriminalamt in Linz, merkt allen Ernstes an: «Wenn du mit 62 geblitzt wirst, kann es sogar sein, dass du nicht einmal eine Strafe bekommst.»

Die hohen Spritpreise und Radarstrafen ergeben eine hochexplosive Mischung, die Kraft hat, ganze Bankkonten zu sprengen. Eine Konsequenz habe ich gezogen. Wenn zeitlich und örtlich vereinbar, starte ich nicht den Motor, sondern Richtung Bahngleise. Ein eineinhalb-stündiger Stau durch Zürich hat meine Entscheidungsfindung bei meiner Anreise beschleunigt. So viel, wie ich in zwei Monaten in der Schweiz Bahn gefahren bin, fuhr ich in Österreich in zwei Jahren nicht. Man kann das Leben in vollen Zügen geniessen - und hat beim Warten am Bahnhof Zeit, sich zu überlegen, was man mit 120 Franken alles anstellen kann ...

20. Mai 2012

Tönt komisch, ist aber so

Seit zwei Monaten liegt mein Lebensmittelpunkt in Solothurn; mich schreckt es, wie schnell ich mich eingelebt habe. Ich verwende Wörter, über die ich mich anfangs amüsierte - um mich im nächsten Moment zu wundern, «hab' ich das jetzt wirklich gesagt?» Klang das «tönt» komisch in meinen Ohren, tönt es mittlerweile vertraut. Ich «schaue» nicht nur, sondern «i luag» auch. Wenn von «en uffgstellte Typ» die Rede ist, stehe ich nicht mehr vor einem Rätsel.
«Uffgstellt» heisst «aufgestellt», das war schnell klar. Auch, dass es sich um eine positive Eigenschaft handeln muss. Doch meinen die Schweizer damit, man müsse eine Mindestgrösse erfüllen, um als «uffgstellt» zu gelten? Haben die etwas gegen kleine Menschen? Muss ich mich jetzt in beinbrecherische High Heels zwängen und kann nicht in gemütlichen Sportschuhen über das tückische Altstadtpflaster laufen, um auf Augenhöhe zu sein? Oder ist «uffgstellt» eine Empfehlung von Physiotherapeuten - meinen die, eine aufrechte Haltung sei wichtig? «Gut drauf» soll das also ungefähr heissen. Ja, «uffgstellt» tönt gut.

Mit «grüessech», «mährsiiii» und «adähhhh» schummle ich mich durch den Alltag, ohne als Fremde identifiziert zu werden. Bedenklich finde ich, dass ich beim Verfassen von Artikeln für meine österreichische Tageszeitung das «scharfe S» auf der Tastatur nicht mehr verzweifelt suche und automatisch ein doppeltes S tippe. Die Korrektoren in Linz haben wohl ihre Freude mit mir.

Stufe Zwei im Einleben erreicht man, wenn man nicht nur an der Hafebar oder an den Kletterwänden, sondern auch beim Schlendern durch den Monatsmarkt über den einen oder anderen Bekannten stolpert. Fremd ist allerdings, dass nicht laufend ein «Kaufen Sie! Kaufen Sie!» oder «Billiger! Billiger!» von den Standverkäufern tönte, wie es zuhause bei den «Kirtagen» (euren «Chilbis») so üblich ist. Wollen die Schweizer nichts verkaufen? Eine generell zurückhaltende Art stelle ich ja fest, aber in der offensiven Marktbranche? Nur ein einziger Verkäufer liess von sich hören. Er bat einen Bekannten und mich, unser Gespräch ein paar Meter weiter zu vertiefen - wir würden die Sicht auf seine Krauthobeln verstellen. Pardon.

Assimilliert bin ich in der Schweiz freilich noch nicht, auch wenn es sich in Solothurn vertraut anfühlt. Beim Mailverkehr mit einem Walliser erwiderte ich seine Anfrage, ob er im Dialekt mit mir schreiben dürfe, mit der Gegenfrage: «Waunst wüst, dass i nix vasteh, daun scho.» Wir waren uns schnell einig, dass auch er wenig kapiert hatte, und wir lieber auf Hochdeutsch konversieren. Das klingt doch es bitzli verständlicher - und tönt nicht so komisch.

13. Mai 2012

Neulich beim Apéro

Käse! Berge! Banken! Rösti! Moment, da fehlt etwas! Würde mich heute einer nach meinen Assoziationen zur Schweiz fragen, käme ein Begriff schneller aus der Pistole geschossen als Lucky Luke seinen Colt ziehen kann. Apéro! Klang dieses Wort vor fünf Wochen noch fremd für mich, komme ich nicht mehr ohne diese Wortschatz-Erweiterung durch Solothurn. Hier ein Apéro, dort ein Apéro - wie konnte ich je ohne Apéro leben?

In Österreich ist der Apéro-Treff weniger gebräuchlich oder höchstens vor grossen Festivitäten als «Sektempfang» oder «Aperitif» betitelt. Kollege K. (er will namentlich nicht genannt werden) definiert: «Ein Apéro? Eine Stehparty mit Alkohol und belanglosem Blabla.» Von Wikipedia zitiere ich den Unterpunkt «Apéro in der Schweiz»: «So ist es üblich, beim Antritt einer neuen Arbeitsstelle einen Begrüssungsapéro für die neuen Kollegen auszurichten.» Ups, hab ich da etwas verschwitzt ...? Nach einer Woche landete in meinem Postfach ein freundliches Mail unserer Sekretärin. Betreff: «Heute, 16.30 Uhr, Apéro». Im Text lese ich: «Wir wollen anstossen! Bereits hat unsere Gastredaktorin ihre erste Woche hinter sich.» Sehr gastfreundlich, denk ich mir. Oder war es doch nur ein kleiner Seitenhieb für mein Versäumnis ...? Ich werde den Apéro nachholen, versprochen.

Wer will, könnte seine ganze Woche mit Apéros füllen, er fehlt bei keiner noch so kleinen Veranstaltung. Sogar bei der Wanderung mit dem SAC Weissenstein auf das Clubhaus «Backi» im Jura bildete der Apéro den Auftakt - Tourenleiter Andreas schleppte im Rucksack die Oliven, den Käse und Knabbereien mit (genügend Wein war oben vorhanden). Typisch wird ein Gläschen Wein oder Sekt serviert. Bei der Steigerungsform «Apéro riche» werden Häppchen aufgetischt, so wie ich es von den Spaniern und ihren Tapas kenne. Knigge ist normalerweise, mit jedem anzustossen, was in einer Redaktion von 20 Menschen den Lärmpegel deutlich hebt - macht es doch 190-mal klirr (genauer: 20 mal 19 durch zwei Mal). Mit einem «Es söu gäute» kann man dem Kollegen im hintersten Eck tief (ganz wichtig!) in die Augen blicken und das Glas erheben - und so die nervige «Stosszeit» beenden. Bis dieses langwierige Gläser-Zusammenführ-Ritual beendet ist, geht mindestens ein Glas kaputt, wird der Wein brühwarm oder ist man selber verdurstet.

Kollege W. dürfte das aber noch nicht passiert sein. Sein feuchtfröhlicher Erfahrungsbericht klingt so: «Manchmal artet ein Apéro in ein Gelage aus. Man trinkt viel und isst wenig - und am Schluss ist man betrunken.» Nicht, dass in Österreich weniger oft angeprostet wird - wir waren nur nicht so clever, diesem Trinken einen feinen Decknamen à la «Apéro» zu verpassen.

6. Mai 2012

Ein scharfer Stadtbummel durch Solothurns Altstadt

«Wow, ist die pompös», staunte meine Freundin Bettina und zwinkerte ihrem Liebsten zu, «lass uns hier mal heiraten». Die Liebeserklärung war nicht nur an ihren Künftigen gerichtet, sondern auch an die St.-Ursen-Kathedrale. Meine beiden Besucher aus Oberösterreich sind beim Stadtbummel überwältigt vom Solothurner Wahrzeichen und den vielen schönen Flecken hier - bis vor kurzem war auch für sie die Gegend zwischen Zürich, Bern und Basel ein Niemandsland und Solothurn ein Fremdwort.

Kaffeepause vor der St.-Ursen-Kathedrale mit dem besten Cappuccino in der Stadt

Kaffeepause vor der St.-Ursen-Kathedrale mit dem besten Cappuccino in der Stadt

Marlies Czerny

Obwohl die Sonne hinter den Wolken verstecken spielte und der Himmel weinte, passte sich unsere Stimmung nicht der trüben Wetterlage an. Es ging vorbei an bunt dekorierten Schaufenstern, pittoresken Brunnen und mächtigen Torbogen - die Augen haben keine Zeit zum Rasten, es gibt verdammt viel zu sehen.

Auf halbem Weg von der St.-Ursen-Kathedrale zur Aare blieb unsere Nase an einem Schaufenster kleben. Schweizer Taschenmesser! Ja, jeder Mann braucht doch ein Schweizer Taschenmesser! Bei der Messerschmiede von Thomas Künzi gibt es sie in allen Variationen. Wenn die Frauen im Schuhgeschäft mal länger brauchen, sind es hier die Männer.

Von pink über neongelb, vom klassischen kleinen Roten bis zum aktuellen Bestseller-Modell aus Holz - unser Tanz auf Messers Schneide dauerte länger als die Öffnungszeiten. Der Inhaber verlängerte sie kurzerhand. «Woooow», waren wir wie vor der St.-Ursen-Kathedrale sprachlos, «was ist denn das Riesiges»? Wir entdeckten ein Riesen-Taschenmesser, das jedes je von Victorinox entwickelte Feature vereint - und in keine XXXL-Hosentasche passen würde. Mit diesem Teil hätten Uhrmacher, Handarbeitstanten und Einbrecher ihre kollektive Freude.

Das Sackmesser in XXXL-Version: In welche Hosentasche das noch passt…?

Das Sackmesser in XXXL-Version: In welche Hosentasche das noch passt…?

Marlies Czerny

Für Freund Christoph ist es zu gross geraten (und mit mehr als 1000 Franken auch finanziell zu schwer). Es wird das hölzerne Modell - zufrieden zieht er weiter. In der einen Hand sein scharfes Taschenmesser - in der anderen seine scharfe Braut.

29. April 2012

Gefühls-Chaos

Na Servus! Diese Frage spukt mir schon lange im Kopf herum: Wie soll/muss/darf ich mich fühlen in der Schweiz? Laut Papier als Ausländerin, die mit dem Migrationsamt zu tun hat und ohne Ausländerausweis nicht einmal einen Mobilfunkvertrag abschliessen darf - und noch immer mit ihrem österreichischen Handy auf Draht ist. Als «Ausländerin» soll ich mich fühlen? Dieses Wort tönt nicht nach hohem Wohlfühl-Faktor. Vor allem, wenn die Ohren an die feindlichen Parolen einer rechtsorientierten freiheitlichen Partei in Österreich (FPÖ) gewöhnt sind (sich aber nicht daran gewöhnen möchten).

Eine Urlaubs-Reise in die Schweiz liess nichts Gutes ahnen. Wir fuhren vorbei an grünen Wiesen, auf die sich schroffe Berge stellten. Deren Gipfel trugen eine weisse Haube wie mein Lieblingskaffee in der Solothurner Suteria. Dass man hier im Kaffeehaus nicht «Schlagobers», sondern «Nidle» bestellt, weiss ich «Ausländerin» längst. Zurück auf die Strasse: Vor dem Furkapass radierte ein überdimensioniertes SVP-Plakat die Idylle mit einem Schlag aus: «Masseneinwanderung stoppen!» stand da. Passend, dass im Radio eines Thema war: Ausländer überschwemmen unsere Unis! Na, herzlich willkommen!

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Fremdenfeindlichkeit vernahm ich bisher nicht. Nur die Frage neuer Gesprächspartner, ob ich aus Österreich oder Deutschland stamme, quittiere ich mit leicht beleidigtem Blick und den Worten: «Hörst du das nicht?» Diese Antwort wird positiv zur Kenntnis genommen. Sogar Lokalpolitiker laden mich ein, wie beispielsweise Stephan Berger, der Chef der Amteiverwaltung Thal-Gäu (eine solche Bürokratie-Ebene sparen wir uns in Österreich übrigens). Seine Mutter stammt aus meiner Heimat. «Eigentlich bin ich ja ein Schweizer Landesverräter», gesteht Berger beim Gespräch im Schmelzihof in Balsthal, «meinen Urlaub verbringe ich immer in Österreich. Deswegen höre ich auch Vorwürfe». Doch die Österreicher seien viel gastfreundlicher. Das sieht nicht nur er so. Punkto Gastfreundschaft landete Österreich in einer aktuellen Umfrage des Reiseportals Zoovers unter 23 Ländern auf dem ersten Platz - die Schweiz auf dem letzten.

Als Wirtstochter bin ich sehr sensibilisiert auf das Thema. Noch hab ich keinen Grund zum Schimpfen - ausser über die Preise, aber das ist eine andere Geschichte ... Dass Österreichs Gastrokultur beliebt ist, habe ich gar im «Kreuz», der urigen Beiz an der Aare, erfahren. Bei einem Glas des roten Hausweins fühle ich mich gar nicht als «Ausländerin». Der Zweigelt stammt aus Deutschkreutz - und das liegt in: Österreich. Dann Prost!

22. April 2012

Entdeckung der Langsamkeit

«Wie zum Teufel... Wie soll ich da nur mithalten?», frag ich mich selbstzweifelnd vor dem ersten Skitouren-Ausflug mit dem SAC Weissenstein. «Die wollen also laufen. Da kann ich gleich zu Hause bleiben.» Der Angstschweiss war da, bevor der Schweiss der Anstrengung überhaupt auftauchen konnte.

Für ein halbes Jahr gewährt mir die hier stationierte Sektion des Schweizer Alpenclubs (SAC) Asyl. Und wenn ich gleich am Anfang schlappmache ...? Wie schaut denn das aus? Am tristen, trüben Oster-Wochenende folgte ich nicht dem Ruf meiner Freunde und Familie (noch hält sich das Heimweh in Grenzen). Trotz der Angst vor der überhöhten Geschwindigkeit meiner Tourenpartner zogen wir mit Fellen unter den Ski bei Andermatt los.

«Wir laufen etwa vier Stunden auf die Rotondohütte», kündigt Adi, unser Tourenleiter, an. Warum wollen alle Schweizer auf die Berge «laufen»? Sind die so gut in Form? Reicht nicht gemütliches «gehen»? Nach den ersten Schritten bin ich beruhigt; mein Aufatmen hat man wohl noch in Österreich gehört. Kein Angstschweiss. Keine Schweissausbrüche. Das soll «laufen» sein...?

Ich reime mir zusammen: Was die Schweizer «laufen» nennen, heisst mit meinem Sprachgebrauch «gehen». Was für mich «laufen» ist, bezeichnen Schweizer als «rennen». Puh ... Auf unterschiedliches Sprachverständnis beim Thema Geschwindigkeit hätte ich früher schliessen können. Ihr dürft nicht so schnell auf den Autobahnen fahren wie wir (120 statt 130 km/h). Ohnehin eilt den Eidgenossen eines voraus - der Ruf der Langsamkeit.

Albert Einstein sagte, im Falle eines Atomkrieges «will ich in die Schweiz gehen. Dort findet alles 20 Jahre später statt als anderswo.» Als ich mich von meinen österreichischen Kollegen verabschiedete, merkte ich frech an:«In der Schweiz brauche ich kein Diktiergerät. Die sprechen so langsam, da hab ich genügend Zeit zum Mitnotieren.»

Klar, werf ich nicht alle in einen Topf, immerhin ist sogar wissenschaftlich belegt, dass die Berner ein langsameres Tempo als die Zürcher anschlagen. Solothurn liegt in etwa dazwischen. Schön langsam - ja, schön langsam - überwinde ich immer mehr Sprachbarrieren. Über manche stolpere ich halt noch.

15. April 2012

Schlumpfine vs. Schotter-Mitzi

Diese Woche befand ich mich zwischen den Fronten. Ein Auge warf ich nach Bern, eines nach Wien - in den Hauptstädten gings ums Geld. Bis zu 25 Milliarden Euro an österreichischem Vermögen sollen auf hiesigen Banken illegal parken. Einen Strafzettel gibts für die Steuersünder wegen des Bankgeheimnisses ja nicht, eine sanfte Abmahnung soll folgen. Am Freitag besuchte die österreichische Finanzministerin Maria Fekter in Bern Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf zum Unterschreiben des Steuer-Deals.

Der Vertrag soll unseren maroden Finanzhaushalt alleine 2013 um eine Milliarde Euro aufputzen. Dass unsere Ministerin diese Summe bereits vor Wochen in den Sparpaket-Plänen präsentiert hatte, war eine kühne Prognose. Unter Dach und Fach ist der Vertrag noch immer nicht. Eine schöne Vorbildwirkung hat die Regierung, nicht fixes Geld fix zu verplanen. Vielleicht kaufe ich mir gleich eine Altstadtwohnung in Solothurn - immerhin spiele ich hin und wieder Lotto ...

Detail am Rande: Finanzministerin Maria Fekter wurde schon im Kindergarten «Schotter-Mitzi» genannt. Ich wette, auch die Schulkameraden von Widmer- Schlumpf waren in der Namensfindung recht kreativ. Dass in Schlumpf-Hausen die österreichischen Steuersünder so einfach davonkommen, spaltet meine Landsleute. Ein ironischer Zeitpunkt, dass in Solothurn ausgerechnet diese Woche wieder diskutiert wurde, die Steuern zu senken. Welch Luxusproblem, denk ich mir, bei uns ist immer nur von Erhöhungen die Rede. Anstatt eines budgetierten Minus von zwei Millionen Franken präsentierten die Solothurner einen zehn Millionen Franken schweren Finanzüberschuss. Solche Rechenfehler dürften mir ruhig auch öfter unterlaufen.

So schlimm kann es um uns Österreicher aber nicht bestellt sein. Auf Internetforen wird ein Thema heftiger diskutiert als die Schwarz-Weiss-Geld-Malerei: die Käsekrainer, die Lieblingswurst vieler. Die Slowenen haben sich doch erdreistet, bei der EU zu beantragen, nur noch sie und keine Wiener Würstelstand-Betreiber dürften die Wurst weiterhin als Käsekrainer verkaufen. Schliesslich stamme sie aus ihrer Region Krain. Eines beruhigt mich: Am Donnerstag haben die Schweizer in Brüssel Bemühungen in Gang gesetzt, den Namen «Glarner Kalberwurst» schützen zu lassen. Bei diesen Themen geht es echt um die Wurst.

8. April 2012

Schwiizerdütsches Unwort

Unsere Gast-Redaktorin aus Linz beleuchtet im «Sonntag» ihren neuen Schweizer Alltag. Heute geht es um ein schweizerdeutsches Unwort: zügeln. Damit hat Marlies Czerny Erfahrung.

Wohin ich denn ausgewandert sei, fragen Freunde. Der Antwort «Solothurn» folgt stets ratloses Stirnrunzeln. «Solo-Touren? Ja, was will unsere Freundin der Berge alleine auf Touren?» Für alle mit besseren geografischen Kenntnissen eine Erörterung der Frage: Meine erste Wohnung lag gleich ums Eck der Redaktion. Zentral in Solothurn, im Dachgeschoss einer betagten, netten Frau. 93 Jahre hat sie auf dem Buckel, aber weh tut ihr nichts. Dagegen klingt mein jüngstes Leiden kleinlich. Auf ihren Rosshaar-Matratzen konnte ich kein Auge zudrücken, denn die sind noch älter als sie. Wenn schon schlaflose Nächte in Solothurn, dann bitte aus anderen Gründen: früh aufbrechen zu Bergtouren ins Berner Oberland zum Beispiel oder spät heimkehren von nächtlichen Lokal-Augenscheinen ...

... aber das ist eine andere Geschichte. Koffer einpacken, ins Auto laden, Koffer auspacken. In meiner zweiten Unterkunft an der Weissensteinstrasse, Ortsgebiet Langendorf, kehrt der gesunde Schlaf zurück. Das 10-Quadratmeter-Zimmerli ist aber nur eine Übergangslösung zum Ziel meiner Träume. Eine Siedlung weiter steht das hübsche Haus, über dessen Vermieter-Stockwerk ich mich einquartiere, sobald die Oster-Feriengäste über alle Berge sind. Apropos: Da in Langendorf ist es atemberaubend, direkt vor der Haustür «Solo-Touren» auf die Jura-Berge zu starten. Und am Heimweg zu staunen, wie im Abendlicht die Berner Oberländer Giganten am Horizont rot werden. So als würden sie sich schämen, weil ihnen etwas peinlich ist.

Zurück auf den Boden der Tatsachen. Koffer-ein-Koffer-aus, alles von vorne. Dreimal Wohnungswechseln in drei Wochen – mein Rekord offenbart mir schon im Frühling mein schwiitzerdütsches Unwort des Jahres: zügeln. Auf gut Österreichisch sagt man ja siedeln. Doch es soll sich auszahlen (was sich hoffentlich nicht nur im wortwörtlichen Sinne auf den Mietzins bezieht, der dreimal höher ist als zu Hause, sondern auf die Schlafqualität). Dafür, dass ich vor drei Wochen mit dem Wort «zügeln» nichts anfangen konnte, hab ich schon verdammt viel Erfahrung mit dem Haus- und Sprachgebrauch. Und versprochen: Einige Österreicher werden auch bald genau wissen, wo Solothurn liegt ...

26. März 2012

Es geht um die Wurscht!

Nein, diesen Fehler habe ich nicht begangen, obwohl er für eine Ortsunkundige nahe gelegen wäre. «Schützenmattweg 15 in Olten» war meine Weginformation für den FDP-Tag, den ich als guten Anlass fand, ein paar politisch bewegte Menschen kennen zu lernen. Dass just an dieser Adresse ein riesiger Zirkus seine Zelte aufgeschlagen hat, passte mir gut in mein vertrautes österreichisches Bild. Was sich in meiner Heimat manchmal auf den politischen Bühnen und hinter den Kulissen abspielt, erinnert oft mehr an satirische Clowneinlagen als an ernsthafte Kunst der hohen Tiere im Parlament.

In die Manege wurde ich nun doch nicht irregeführt, sondern fand den Weg ins Kulturzentrum Schützi. Draussen schien die Sonne, drinnen, in einer abgedunkelten Halle, schwangen die Schweizer Freisinnigen ihre Reden. Ob diese Hell-dunkel-Stimmung sinnbildlich war? Man erzählt sich in Solothurn ja, dass die FDPler ein bisserl die Katerstimmung plagt. So als hätten sie in den starken Jahren zu viel gefeiert und hätten jetzt noch Kopfweh davon.

Wenn so die «Krisensitzung» einer Partei aussieht, dann dürfen diese Krisen gerne über die Alpen nach Österreich schwappen. Nicht nur freisinnige Parteifreunde waren zum Gedankentausch eingeladen, auch mit anderen Ansichten war man nicht der Buhmann. Punkto Redekultur können wir Österreicher uns einiges abschauen. Ihr seid euch nicht ins Wort gefallen, Humor hatte ebenso Platz wie Respekt. Aus Rücksicht auf die Welschen (da hab auch ich Glück gehabt...) wurde versucht, Hochdeutsch zu sprechen. Meistens ist es gelungen. In sieben Rede-Duellen haben sich die Diskutanten aber recht wenig duelliert - warum sollen sie sich auch in die Haare kriegen, wenn sie letztlich ohnehin gleicher Meinung sind... Die Antworten waren meist kurzweilig. In Österreich reden sie oft stundenlang, um am Ende doch nichts gesagt zu haben.

Am Merkwürdigsten war die Begebenheit nach der Polit-Show: Beim Programmpunkt «Wurst, Bier, Brot und Cremeschnitte» stellten sich die Besucher geduldig an, um für ihre Grillwurst sechs Schweizer Franken zu zahlen. Sechs Franken! Aus der eigenen Tasche! Undenkbar in Österreich. Da würde der Bürger erwarten, dass ihm die Wiener Würstchen serviert werden. Mindestens würden sie aus der Parteikasse gesponsert. Und befinden wir uns im Wahljahr, wäre es keine Überraschung, würde ein Politiker fragen: «Welche Extrawurst darf es sonst noch sein?»

22. März 2012

«Es heisst also Grüezi und Grüessech statt Grias di!»

Eine kurzer Beitrag über die Unterschiede zwischen «ihrem» Österreichisch und des - wie sich herausstellte - doch nicht ganz so einfachen «Schwiizerdütsch»Ich beherrsche also doch nicht einfach Schwiizerdütsch, indem ich bei allen Wörtern ein «li» anhänge. Geld holt man von einem Bänkli, Brot vom Bäckerli und auf den Weissenstein führt hoffentlich doch bald wieder ein Sesseli - oder eine Gondeli. Nein, so einfach geht das nicht...

hmmmm?! Was hat mir mein neuer Kollege sagen wollen? Nachdenkpause. Fragender Blick. «Ach, entschuldige», erwidert Andreas freundlich und leistet Nachbarschaftshilfe, indem er seine Sprache fliessend von Schwiizerdütsch auf Hochdeutsch verändert. Solch verbale Gastfreundschaft ist mir netterweise mehrmals begegnet in der Stadt.

Als ich in der Solothurner Hauptgasse in einem Handyshop (pardon: «Natel» muss das hier ja heissen) ein Angebot suche mit günstigem Tarif nach Österreich, meint die Verkäuferin lachend: «Das höre ich doch.» Sehr verständnisvoll, denk ich mir.

Immerhin verstehe ich als Oberösterreicherin eine Zahl perfekt, die euch Solothurnern recht wichtig ist, wie ich schon mitbekommen hab. «Öufi» heisst auch in meinem Wortschatz Elf, «Zwöufi» folglich zwölf. Irgendwie schade, es wäre eine gute Ausrede gewesen, wäre ich einmal zu spät zu einem Elf-Uhr-Termin gekommen. «Nix verstanden» hätte die Antwort gelautet. Ihr habt bei uns ja den Ruf, üüüüüberpünktlich zu sein...

Was dafür der Stiftungsrat von mir Österreicherin glaubt? Warum soll ich ein Pferd mitnehmen? «Wann zügelst du?», fragte er vor ein paar Wochen. Zügeln? Was bitte? Ich will schreiben, kein Pferd dirigieren! Ich schüttle noch den Kopf, bis mir dämmert, dass er mein österreichisches «Siedeln» meint, was eben auf gut Schwiizerdütsch «Zügeln» heisst. Bist narrisch, im nächsten halben Jahr muss ich höllisch aufpassen, die Solothurner nicht falsch zu zitieren ...

Der Herr Chefredaktor gab mir am ersten Arbeitstag eine verständliche Schonfrist: Die Redaktionssitzung leitete er auf Hochdeutsch. «Morgen sprechen wir wieder Schwiizerdütsch», warnte er vor. Es gibt kein Zurück mehr in die vertraute österreichische Dialekt-Welt. Auch wenn ich ab und zu nur Bahnhof verstehe. Oder muss es Bahnhöfli heissen?